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Die diebische Elster (La gazza ladra)

Melodramma in zwei Akten
Text von Giovanni Gherardini nach Théodore Baudouin d'Aubigny und Louis-Charles Caigniez
Musik von Gioacchino Rossini


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Premiere an der Oper Frankfurt am 30. März 2014



Oper Frankfurt
(Homepage)
Ein Schwarm von Elstern

Von Thomas Molke / Fotos von Wolfgang Runkel


Dass Rossinis Gazza ladra nicht zu den Werken des Pesaresen zählt, die größtenteils vergessen sind, dürfte, obwohl das Werk als Ganzes eher selten auf den Spielplänen steht, vor allem der berühmten Ouvertüre zu verdanken sein, die häufig in Wunschkonzerten zum Besten gegeben wird. Rossinis Anekdote über die Entstehung dieses Vorspiels dürfte hingegen wohl eher im Bereich der Legenden zu verorten sein. Zu unwahrscheinlich scheint es bei dem programmatischen Charakter dieser Ouvertüre, dass er sie wirklich erst am Tag der Uraufführung komponiert habe, eingesperrt im Dachgeschoss der Mailänder Scala und bewacht von vier Maschinisten, die jedes Notenblatt sofort nach der Fertigstellung aus dem Fenster werfen mussten, damit es von den unten wartenden Kopisten abgeschrieben werden konnte, und die Auflage gehabt haben sollen, Rossini selbst aus dem Fenster zu werfen, falls er keine Noten zu Papier bringen werde. Bemerkenswert an diesem Werk ist, dass Rossini einen Großteil der Musik neu komponiert hat und nur selten auf früher komponierte Melodien zurückgreift, weshalb der Rossini-Experte Alberto Zedda der Oper eine besondere Stellung in Rossinis Schaffen einräumt, zumal sie auch seiner Meinung nach die Reinform einer Opera semiseria darstellt.

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Pippo (Alexandra Kadurina) und die Elster

Die Handlung geht zurück auf eine wahre Begebenheit, die sich Ende des 18. Jahrhunderts zugetragen haben soll und von Théodore Baudouin d'Aubigny und Louis-Charles Caigniez zu dem Theaterstück La pie voleuse verarbeitet wurde, das sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit auf den europäischen Bühnen erfreute und den italienischen Librettisten Giovanni Gherardini veranlasste, für einen Opernwettbewerb in Mailand ein Libretto mit dem Titel Avviso ai giudici zu verfassen, welches zunächst Ferdinando Paër zur Vertonung angeboten wurde, der sich allerdings weigerte den Stoff zu vertonen. Rossini hingegen war sofort von der Geschichte begeistert und vertonte sie unter dem neuen Titel La gazza ladra. Darin wird das Dienstmädchen Ninetta beschuldigt, ihrer Herrin einen silbernen Löffel und eine silberne Gabel gestohlen zu haben. Als sie dabei beobachtet wird, wie sie ein ähnliches Besteck, das sie von ihrem auf der Flucht befindlichen Vater Fernando erhalten hat, an den Händler Isacco verkauft, scheint ihre Schuld bewiesen. Um ihren Vater zu schützen, verschweigt sie die Wahrheit und soll zum Tode verurteilt werden. Erst in letzter Sekunde kann der Bauernjunge Pippo beweisen, dass die eigentliche Übeltäterin eine diebische Elster ist, die das Besteck in ihrem Nest versteckt hat. Ninetta wird begnadigt und einer Hochzeit mit Giannetto steht nun nichts mehr im Wege.

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Gerichtsverhandlung im Haus der Vingraditos: auf der linken Seite: Ninetta (Sophie Bevan), Giannetto (Francisco Brito), Lucia (Katarina Leoson), Fabrizio (Federico Sacchi) und vorne Pippo (Alexandra Kadurina), rechts: Gottardo (Kihwan Sim), im Hintergrund Mitte. Amtsrichter (Carlos Krause)

David Alden entwickelt in seiner Inszenierung eine recht eigenwillige Sicht auf die Elster. Während der Ouvertüre scheint sie nämlich Pippos liebgewonnenes Haustier zu sein, das dieser in einem Käfig hält. Erst am Ende der Ouvertüre lässt Pippo den Vogel aus dem Käfig frei und fortan flattert er in einer Videoprojektion von Bibi Abel über den grauen Vorhang und entwickelt sich im weiteren Verlauf des Stückes zu einem regelrechten Schwarm, was in den Videosequenzen stellenweise an Alfred Hitchcocks Vögel erinnert. Mit diesem Schwarm von Elstern scheint aber im Stück auch eine ganze Reihe von Dieben aufzutreten. Dass der Händler Isacco seine Mitmenschen bestiehlt, scheint inhaltlich noch nachvollziehbar sein, auch wenn es sehr albern wirkt, wenn er während der ersten Verhandlung im Hause der Vingraditos über den Tisch läuft und den drei Richtern ihre hohen schwarzen Hüte stiehlt. Auch dass er im zweiten Akt auftritt, um dem schlafenden Amtsrichter einen Ring zu stibitzen, wirkt absolut unmotiviert. Das wesentlich größere Problem stellt allerdings die Deutung Pippos dar. Wenn Ninetta beschuldigt wird, das Besteck gestohlen zu haben, sieht man ihn schuldbewusst das Besteck aus seiner Tasche ziehen. Soll er die diebische Elster sein, motiviert von der unerfüllten Liebe zu Ninetta, die ihn zwar gern hat, deren Herz aber Giannetto gehört? Führt er deshalb den Kerkermeister und den Diener des Bürgermeisters zu einem Turm, in dem sie die gestohlenen Gegenstände finden? Am Ende drückt er auch die anfangs freigelassene Elster wieder inniglich an sich, obwohl er sie im Verlauf des Stückes ständig verflucht.

Ein weiterer zentraler Moment der Inszenierung ist eine riesige Kutsche, in der der Bürgermeister Gottardo bei seinen Auftritten auf die Bühne gefahren wird. Nachdem Ninettas Unschuld bewiesen worden ist, tritt auch sie in der mittlerweile etwas ramponierten Kutsche auf, was zunächst noch so gedeutet werden könnte, als ob sie doch dem Drängen des Bürgermeisters nachgegeben habe. Nach und nach besteigen allerdings auch die Vingraditos und Pippo die Kutsche, so dass damit wohl eher zum Ausdruck gebracht werden soll, dass der Podestà nun endlich besiegt ist. Wenn er dann zu den feierlichen Gesängen des Volkes schließlich selbst wieder die Kutsche besteigt, um die Bühne zu verlassen, fängt die Kutsche Feuer, und das Volk befreit sich mit der Kutsche auch von der Willkürherrschaft des Bürgermeisters.

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Verurteilung im Gerichtssaal: von links: Amtsrichter (Carlos Krause), Ninetta (Sophie Bevan), Gottardo (Kihwan Sim), Fernando (Jonathan Lemalu), Fabrizio (Federico Sacchi) und Giannetto (Francisco Brito), im Hintergrund: Chor und Statisterie)

Während Aldens Personenregie in den Seria-Momenten wunderbar aufgeht, wirken die buffonesken Szenen extrem aufgesetzt, was vor allem bei den Szenen im Kerker diskutabel ist. Ob es lustig ist, wenn Michael McCown als Kerkermeister Antonio mit im Takt zitternder Hand zum Telefonhörer greift oder in ein Mikrophon mit Echo spricht, ist sicherlich Geschmackssache. Gleiches gilt für die Gerichtsszene, wenn Fernando bei seinem Auftritt mit einem Gewehr im Rhythmus der Musik einzelne Mitglieder des Chors abschießt oder sich die Soldaten nach Ninettas Verurteilung im Walzerschritt wiegen. Die düsteren Szenen gehen hingegen unter die Haut. Sei es der brutale Versuch des Bürgermeisters, sich Ninetta gefügig zu machen, Lucias späte Reue, weil sie sich dafür verantwortlich fühlt, dass Ninetta verurteilt worden ist, oder Ninettas Leiden selbst, da sie einerseits nicht die Wahrheit sagen will, um ihren Vater zu schützen, andererseits sich nicht dem Bürgermeister hingeben will, um begnadigt zu werden. Das Bühnenbild von Charles Edwards ist mit dem riesigen runden Raum im Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts, in den das Haus der Vingraditos in Form einer kleinen Guckkastenbühne hineingezogen wird, zwar bombastisch, erschließt sich inhaltlich allerdings nicht. Unklar bleibt auch, wieso die Mitglieder des Chors wie die Amish in Amerika eingekleidet sind.

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Glückliches Ende in der Kutsche: Fernando (Jonathan Lemalu) und Ninetta (Sophie Bevan) mit Chor und Statisterie

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau. Sophie Bevan glänzt als Ninetta mit eindringlichem Spiel und warmem Sopran, der sich federleicht durch die Koloraturen bewegt. Besonders eindringlich gelingt ihr Gebet im zweiten Akt, kurz bevor sie zur Hinrichtung abgeführt wird. Francisco Brito verfügt als Giannetto über eine voluminöse Mittellage, stößt allerdings in den Höhen stellenweise an seine Grenzen. Jonathan Lemalu stattet Ninettas Vater Fernando mit einem fundierten Bass-Bariton aus, der sich in den Koloraturen ebenfalls absolut beweglich zeigt. Alexandra Kadurina gefällt als Pippo stimmlich mit warmem Mezzo. Ob man Aldens Personenregie dieser Figur folgen kann, ist Ansichtssache. Auch Federico Sacchi, Katarina Leoson und Nicky Spence können als Fabrizio und Lucia Vingradito und Händler Isacco stimmlich überzeugen. Star des Abends ist Kihwan Sim als Bürgermeister Gottardo. Sein durchschlagender Bass ist so schwarz wie der Charakter dieser Figur. Mit welcher Leichtigkeit er sich in diesen Tiefen durch die schnellen Läufe bewegt, verdient ganz großen Respekt. Henrik Nánási fängt mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester den leichtfüßigen Esprit von Rossinis Partitur wunderbar ein und rundet diesen Abend musikalisch hervorragend ab.

FAZIT

Musikalisch hat die Gazza ladra wesentlich mehr zu bieten als die bekannte Ouvertüre, so dass sich über einzelne Regie-Einfälle hinwegsehen lässt und man schon um der Musik willen diese Produktion in Frankfurt nicht versäumen sollte.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Henrik Nánási

Regie
David Alden

Bühnenbild
Charles Edwards

Kostüme
Jon Morrell

Licht
Olaf Winter

Choreographie
Maxine Braham

Videodesign
Bibi Abel

Chor
Matthias Köhler

Dramaturgie
Zsolt Horpácsy

 

Chor und Statisterie
der Oper Frankfurt

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester


Solisten

Ninetta, Dienstmädchen
Sophie Bevan

Fernando Villabella, ihr Vater
Jonathan Lemalu

Fabrizio Vingradito
Federico Sacchi

Lucia, seine Frau
Katarina Leoson

Giannetto, sein Sohn
Francisco Brito

Gottardo, Bürgermeister
Kihwan Sim

Isacco, Händler
Nicky Spence

Pippo, Bauernbursche
Alexandra Kadurina

Antonio, Kerkermeister
Michael McCown

Giorgio, Diener des Bürgermeisters
Iurii Samoilov

Ernesto
Thomas Charrois

Amtsrichter
Carlos Krause


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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