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Blind im Labyrinth der Erkenntnis
Von Joachim Lange
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Fotos von Monika Rittershaus Zum Glück für das neugierige Opernvolk gehen der Ehrgeiz und das Selbstbewusstsein des Frankfurter Opern-Intendanten Bernd Loebe weiter als bis zum demonstrativ ausgestellten Verweis auf einen neuen, britischen Opera Award für sein Haus, während der heimische Titel "Opernhaus des Jahres" die Komische Oper in Berlin ziert. Tatsächlich riskiert er in seinem Programm auch immer mal wieder Ungewohntes. So wie jetzt George Enescus Oedipe mit Hans Neuenfels (72) als Regisseur. Der Regie-Veteranen hatte hier 1981 mit seiner Putzfrauen-Aida nicht nur seinen Ruf als Polarisierer und Lieblingsfeind aller Regietheatergegner begründet. Quasi als inhaltliche Vorbereitung war in Frankfurt vor zwei Jahren auch seine Basler Penthesilea von Othmar Schoeck zu sehen, die mit der Dresdner Inszenierung von Günter Krämer eine hochinteressante Doppel-Ausgrabung für dieses Werk bildete. Oedipe und der blinde Seher
In der einzigen, 1936 in Paris uraufgeführten Oper des vor allem als Geigenvirtuose und Musikpädagoge berühmten Rumänen George Enescu (1881-1955) geht es um den Königssohn, dessen Geburt von dem Orakelspruch verdüstert wird, dass er seinen Vater umbringen und seine Mutter heiraten werde. Es kommt, wie es in der griechischen Tragödie und in dem darauf basierenden, von Henry Arnold ins Deutsche übersetzten Libretto kommen muss: Alles, was gegen die vorhergesagte Katastrophe unternommen wird, führt sie herbei. Man will den Knaben aus dem Weg räumen, doch er überlebt und wächst bei Pflegeeltern auf. Der Mann, den er am Kreuzweg erschlägt, ist natürlich sein Vater Laios (Hans-Jürgen Lazar). Und die Königin Jokaste, deren Hand der Preis für die Befreiung Thebens von der Sphinx ist, stellt sich als seine Mutter heraus. Selbstbestimmtes Handel des Menschen auf der Basis von Wissen? Eine Utopie. Dass in dem Schuldlosen unwissentlich der Abgrund Mensch lauert, machte den antiken Helden nicht zufällig zum Namensgeber in der Psychoanalyse. In Frankfurt findet der sich zunächst wie ein beobachtender Wissenschaftler des Weltzusammenhangs in einem Labyrinth aus altmodischen Wand-Tafeln, die über und über mit mathematischen und chemischen Formeln bedeckt sind. In typisch Neuenfelsscher Manier wird er alsbald zum reflektierenden Mitspieler in einer szenischen Suche nach sich selbst. Seine Geburt aus einem einschwebenden Ei erlebt er noch als Beobachter, dann ist er Akteur. Die Bühnen-Ästhetik von Rifail Ajdarpasics Tafelwänden (die genauso gut Palastwände sein könnten), gelegentlich leuchtende Pfeile am Portal und die Opulenz der Kostüme von Elina Schnizler zwischen gruftigem Punk fürs Volk, einem Glitzerfummel für Kreon und Revueeleganz für die Sphinx ermöglichen dem Gedankenexperiment über schuldloses Schuldigwerden viele Richtungen. Oedipe und die Sphinx
Erzählt wird chronologisch. Von der Geburt aus dem Ei und der düsteren Prophezeiung, dem Vatermord, der erotisch knisternden Begegnung mit der Theben bedrohenden Sphinx (virtuos: Katharina Magiera) über die Verbindung mit Mutter und Gattin Jokaste (mit fulminanter Eloquenz: Tanja Ariana Baumgartner) bis hin zum Schock der Selbsterkenntnis, die der blinde Seher Tiresias (Magnús Baldvinsson) erzwingt und der Selbstblendung. Der bislang zurückhaltende Kreon (Dietrich Volle) übernimmt die Macht und Oedipe wird, getreu seinem eigenen Richterspruch über den Königsmörder, den er in Unkenntnis der eigenen Schuld fällte, am Arm seiner Tochter Antigone in die Verbannung geschickt. Bei Neuenfels ist da nach 100 Minuten Schluss. Der vierte Akt, bei dem Oedipe in Kolonos einer Art Erlösung findet, ist hier gestrichen. Mit der Einblendung "Es gibt keine Erkenntnis außer der Hoffnung" zieht Neuenfels sein zuspitzend pessimistisches Fazit. Als Denkanstoß. Szenisch entfaltet diese intelligente, leicht distanzierte Eigenwilligkeit ihre Wirkung, weil das Ensemble mit einem überragenden Simon Neal in der Titelrolle und der Chor ebenso überzeugend mitziehen. Das Fundament liefert das Frankfurter Opernorchester mit Alexander Liebreich am Pult. Der lässt die massiven Klangwolken des Rumänen, der sich von der Musikgeschichte inspirieren lässt, aber in seiner eigenwillig dunklen Schönheit keiner Mode verhaftet ist, dunkel erblühen und trägt seinen Teil zu der beabsichtigten Klarheit des Gesungenen bei. Es gab viel Beifall und ein paar matte Buhs für Hans Neuenfels.
Mit gewohnter Souveränität auch bei Eingriffen in die Vorlage hat sich Hans Neuenfels in Frankfurt bei einem erneuten Versuch präsentiert, Enescus Meisterwerk Oedipe dem Vergessen zu entreißen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Chor und Extrachor
Dramaturgie
Solisten
Ödipus
Tiresias
Kreon
Der Hirte
Der Hohepriester
Phorbas
Der Wächter
Laios
Jokaste
Die Sphinx
Antigone
Merope
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