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Musiktheater
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Cabaret

Musical in zwei Akten
Buch von Joe Masteroff nach dem Schauspiel I am a Camera von John van Druten und Erzählungen von Christopher Isherwood, Übersetzung von Robert Gilbert, reduzierte Orchesterfassung von Chris Walker
Musik von John Kander, Gesangstexte von Fred Ebb

in deutscher Sprache, Lieder teilweise in englischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere im Kleinen Haus des Musiktheaters im Revier am 15. September 2013

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Musiktheater im Revier
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Das Kleine Haus als Kit Kat-Klub

Von Thomas Molke / Fotos von Pedro Malinowski


"Willkommen, bienvenue, welcome" heißt es nicht nur in der Eröffnungsnummer von John Kanders berühmtem Musical Cabaret. Auch das Musiktheater im Revier begrüßt mit diesem Stück und diesem Song das Publikum zur neuen Spielzeit und hat dazu das ganze Kleine Haus in ein Cabaret verwandelt, das in der Ausstattung den Charme der ausgehenden 20er Jahre des letzten Jahrhunderts einfängt. Vom Kassenhäuschen bis zum Foyer wirkt die komplette Ausstattung nostalgisch und fängt mit im Hintergrund erklingender Tanzmusik aus der damaligen Zeit und den Kostümierungen des Personals von der Garderobiere bis zu den Mitarbeitern der Gastronomie den Geist der oft verklärten 20er Jahre ein. Auch der Zuschauerraum des Kleinen Hauses ist umgestaltet worden. So gibt es im Parkett nunmehr nur noch runde Vierertische, die mit einer kleinen Lampe, Mineralwasser und Salzstangen ausgestattet sind und an denen auch einzelne Darsteller Platz nehmen, so dass sich das Publikum mitten im Geschehen im Kit Kat-Klub befindet. Nur im Rang sind die alten Sitzreihen beibehalten worden, aber auch dieser Bereich wird von den Akteuren mit ins Spiel einbezogen.

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Der amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw (Alen Hodzovic) trifft im Berliner Kit Kat-Klub auf Sally Bowles (Judith Jakob).

Seit der Uraufführung 1966 wurde das Stück nicht zuletzt durch die berühmte Verfilmung mit Liza Minelli als Sally Bowles und Joel Grey als Conférencier zahlreichen Änderungen unterzogen. So wurden nicht nur die drei Lieder "Mein Herr", "Money, Money" und "Maybe this Time", die für Minelli komponiert worden waren, fester Bestandteil des Stückes, sondern auch die homoerotischen Komponenten, die in den Erzählungen des britischen Schriftstellers Christopher Isherwood bereits durchschimmerten, jedoch aus der Urfassung des Schauspiels und der darauf basierenden ersten Musical-Adaption gestrichen worden waren, nach und nach wieder eingefügt. In aktuellen Versionen verfügt der Kit Kat-Klub folglich neben dem recht androgynen Conférencier auch noch über Kit Kat-Klub Boys, die auf den amerikanischen Schriftsteller Clifford Bradshaw eine nahezu ähnliche Faszination ausüben wie Sally Bowles, die ihm für einen kurzen Moment die fragile Vision eines glücklichen Familienlebens bietet. Sandra Wissmann arbeitet diesen Aspekt in ihre Inszenierung ein, indem Clifford in der Silvesternacht eigentlich mit der Absicht hinter die Bühne geht, den Kit Kat-Klub Boy Bobby, einen alten Bekannten aus London, wiederzusehen, dann jedoch auf Sally Bowles trifft, die ihn vom ersten Moment an fasziniert.

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Sally Bowles (Judith Jakob, Mitte) und die Kit Kat-Klub Girls (von links Rosie (Daniela Günther), Helga (Isabell Classen), Lulu (Theano Makariou) und Frenchie (Julia Schukowski))

Doch auch in anderen Punkten bietet Wissmann in ihrer Inszenierung eine neue Sicht auf einzelne Figuren des Stückes. Fräulein Kost, die Untermieterin in der von Fräulein Schneider geführten Pension, in der Clifford ein Zimmer bekommt, hat beispielsweise einen kleinen Sohn, was die Besuche der diversen Matrosen in einem etwas anderen Licht erscheinen lässt. Jeannette Claßen lässt als Fräulein Kost in ihrer Darstellung eine bewegende Melancholie durchblitzen, wenn sie ihren Sohn nach dem Besuch der Matrosen wieder in ihr Zimmer holt oder verzweifelt um die Aufmerksamkeit von Ernst Ludwig (Michael Dahmen) kämpft, den sie sich wahrscheinlich als Versorger für eine glückliche Familienidylle wünscht. Diese Sehnsucht mag auch der Grund sein, warum sie in das sehnsuchtsvolle Duett "Heirat" einstimmt, in dem eigentlich der Obsthändler Herr Schultz und Frl. Schneider über eine mögliche Hochzeit nachdenken. Eine so differenzierte Personenregie hat man bei dieser oft als einfaches Flittchen dargestellten Figur selten erlebt.

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Das Kit Kat-Klub-Ensemble (vordere Reihe von links: Bobby (Markus Schneider), Lulu (Theano Makariou), mittlere Reihe von links: Helga (Isabell Classen), Hermann (Stefan Preuth), Victor (Nico Stank), Frenchie (Julia Schukowski), hinten: Rosie (Daniela Günther))

Eine große Aufwertung erfahren auch die Kit Kat-Klub Girls und Boys, die nicht nur in der Eingangsnummer individuell vorgestellt werden, sondern auch Musikpassagen übernehmen, die gewöhnlicher Weise der Darstellerin der Sally Bowles vorbehalten sind. Die Musiknummer "Mein Herr", mit der sich Sally Bowles zunächst aus dem Kit Kat-Klub verabschiedet, wird hier vom Conférencier und den beiden Kit Kat Boys Bobby und Victor begonnen. Erst in der zweiten Strophe übernimmt Sally Bowles. Vielleicht soll damit auch eine Parallele zu Clifford gezogen werden, der sich nun von der gleichgeschlechtlichen Liebe distanziert und Sally Bowles zuwendet. Passend dazu wird dann auch "Two Ladies" vom Conferéncier mit einem Kit Kat-Klub Girl (Lulu) und einem Kit Kat-Klub Boy (Hermann) präsentiert. Der Song "Money, Money", der eigentlich von Sally und dem Conférencier gesungen wird, nachdem Clifford beschlossen hat, für Ernst nach Paris zu fahren und Waren zu schmuggeln, bietet in der Vielstimmigkeit des Kit Kat-Klub-Ensembles ebenfalls ein ganz neues Hörerlebnis. Hinzu kommen die schmissigen Choreographien von Seân Stephens, der die Songs im Cabaret mit großem Einfallsreichtum in Szene setzt. Wie die Darsteller bei diesen Kräfte zehrenden Bewegungen auch noch genügend Luft zum Singen haben, verdient großen Respekt.

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"Two Ladies": Der Conférencier (E. Mark Murphy, Mitte) mit Lulu (Theano Makariou) und Hermann (Stefan Preuth)

Eine große Herausforderung jeder Inszenierung dieses Stückes besteht auch darin, wie der aufkeimende Nationalsozialismus umgesetzt wird, ohne durch allzu flache Plakativität an Bedrohlichkeit zu verlieren. Auch hier findet Wissmann einen stimmigen Ansatz. Wenn Fräulein Kost auf der Verlobungsfeier von Fräulein Schneider und Herrn Schultz das Volkslied "Der morgige Tag ist mein" anstimmt, um den überzeugten Nationalsozialisten Ernst Ludwig, der soeben erfahren hat, dass Herr Schultz ein Jude ist, zu überreden, entgegen seiner Überzeugung die Feier nicht sofort zu verlassen, geht dieses Lied nicht in einen militanten Rhythmus über, sondern der Chor erschallt lediglich aus dem Publikum. Die Bedrohung kommt also langsam schleichend von unten. Erst nach der Pause geht die Nummer "Ich liege richtig", die noch aus der Urfassung stammt und später durch "Money, Money" ersetzt wurde, in einen militanten Marsch-Rhythmus über, in dem sich die Kit Kat-Klub Girls und Boys aus Revuetänzern in Soldaten mit Helmen verwandeln. Frl. Schneider irrt zwischen diesen marschierenden Soldaten umher, was deutlich macht, dass sie diesem Sturm im eigenen Land nicht standhalten kann und ihre Verlobung mit Herrn Schultz wieder lösen muss. Schade ist, dass Wissmann auf das jüdisch klingende Lied "Miesnick" verzichtet, welches Herr Schultz eigentlich auf seiner Verlobungsfeier präsentiert und das den anschließenden Eklat mit Ernst Ludwig auslöst, zumal dieses Lied am Ende als Motiv für Herrn Schultz einmal kurz aufgegriffen wird. Von Joachim G. Maaß, der Herrn Schultz mit viel Wärme interpretiert, hätte man diese Ballade nur allzu gerne gehört.

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Zärtliche Bande mit der Ananas: Fräulein Schneider (Christa Platzer) und Herr Schultz (Joachim Gabriel Maaß)

Aufgenommen dagegen wurde in die Inszenierung eine Musiknummer, die Kander und Ebb erst in den 90er Jahren für den Conférencier eingefügt haben: "I don't care much", ein Song, der Sallys innere Zerrissenheit zum Ausdruck bringt, wenn Clifford mit ihr nach Amerika gehen und dort eine Familie gründen möchte, sie allerdings vor der politischen Realität in Deutschland die Augen verschließt und ihre Zukunft ohne Kind im Cabaret in Berlin sieht. E. Mark Murphy gelingt als Conférencier eine eindringliche Interpretation dieses Liedes, während Judith Jakob Sallys inneren Kampf glaubhaft darstellt. Wie sie im Anschluss im Cabaret den wohl berühmtesten Song aus dem Musical "Life is a Cabaret" präsentiert, verleiht diesem Klassiker eine Tragik, die regelrecht unter die Haut geht. Wenn dann auch noch Clifford im Zuschauersaal zwischen den Tischen von Ernsts Nazifreunden brutal zusammengeschlagen wird, kann das niemanden im Publikum mehr unberührt lassen. Einen weiteren Beitrag liefert die Band unter der Leitung von Wolfgang Wilger, die am Ende bei der Wiederaufnahme des Eingangssongs die Deutschland-Hymne mit leicht disharmonischen Tönen untermischt, was die düstere Atmosphäre, die sich im Verlauf des Abends über das Stück gelegt hat, noch unterstreicht.

Großes Lob gebührt auch der darstellerischen Leistung von Alen Hodzovic als Clifford Bradshaw, Christa Platzer als Fräulein Schneider und Judith Jakob, die als Sally Bowles ihren eigenen Stil findet und nicht versucht, Liza Minelli zu kopieren. Star des Abends ist allerdings E. Mark Murphy, der den Conférencier mit diabolischer Lust gibt und in fast allen Szenen als stiller Beobachter auf der Bühne präsent ist. Mit welchem Körpereinsatz sich Murphy in die Musiknummern schmeißt, ohne sich auch nur die geringste Anstrengung anmerken zu lassen, und dabei trotz aller sexueller Anzüglichkeiten immer eine gewisse Unnahbarkeit behält, macht ihn zu einer Idealbesetzung für diese Partie. Zu Recht wird er dafür vom Publikum frenetisch gefeiert. Auch die übrigen Beteiligten ernten uneingeschränkten Beifall.

FAZIT

Sandra Wissmann hat nach den Comedian Harmonists den zweiten Coup im Kleinen Haus gelandet, der sicherlich für zahlreiche ausverkaufte Vorstellungen sorgen dürfte.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wolfgang Wilger

Regie
Sandra Wissmann

Choreographie
Seân Stephens

Bühne
Dirk Becker

Kostüme
Uta Meenen

Licht
Patrick Fuchs

Dramaturgie
Anna Grundmeier
 

Band

Flügel / Synthesizer
Wolfgang Wilger

Trompete
Axel Riesenweber

Posaune
Peter Schwatlo

Reeds
Matthias Jahner
Kim Jovy
Lothar van Staa

Gitarre
Thorsten Drücker

Bass
Heiko Pape

Schlagzeug
Andy Pilger

Statisterie des MiR

Solisten

*Premierenbesetzung

Sally Bowles
Judith Jakob

Conférencier
E. Mark Murphy

Clifford Bradshaw
Alen Hodzovic

Herr Schultz
*Joachim G. Maaß /
Klaus Brantzen

Fräulein Schneider
Christa Platzer

Ernst Ludwig
*Michael Dahmen /
Vasilios Manis

Fräulein Kost
Jeanette Claßen

Kit Kat-Klub Girls
Isabell Classen (Helga)
Daniela Günther (Rosie)
*Theano Makariou /
Tina Podstawa (Lulu)
Julia Schukowski
(Frenchie)

Kit Kat-Klub Boys
Stefan Preuth (Hermann / Max)
*Markus Schneider /
Frank Wöhrmann (Bobby)
Nico Stank (Victor)

Sohn von Frl. Kost
Felix Fröhlich /
*Nicolas Groß /
Jan Christoph Meier
Nico Schlutt


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