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Musiktheater
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Drei Schwestern

Ballett von Cathy Marston
Nach Motiven von Anton Tschechow
Musik von Sergej Rachmaninow, Arvo Pärt und Galina Ustwolskaya

Aufführungsdauer: ca. 1 h 15' (keine Pause)

Premiere im Kleinen Haus des Musiktheaters im Revier am 25. Mai 2014
(rezensierte Aufführung: 13.06.2014)

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Musiktheater im Revier
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Kameradschaft der Einsamkeit

Von Thomas Molke / Fotos von Costin Radu


Nachdem Dortmunds Ballettdirektor Xin Peng Wang in dieser Spielzeit mit Ödön von Horváths Volksstück Geschichten aus dem Wiener Wald ein wortgewaltiges Drama in Tanz umgesetzt hat (siehe auch unsere Rezension), widmet sich nun das Ballett im Revier einem Schauspiel von Anton Tschechow, das auf den deutschen Bühnen zu den beliebtesten und bekanntesten Stücken des russischen Dramatikers zählt, mit seiner Dialoglastigkeit und Handlungsarmut allerdings auf den ersten Blick für das Tanztheater nicht gerade prädestiniert zu sein scheint: Drei Schwestern. Cathy Marston, die bereits in der letzten Spielzeit in Gelsenkirchen mit ihrer Choreographie Orpheus in dem Ballettdoppelabend Die Geschichte vom Soldaten / Orpheus auf sich aufmerksam gemacht hat (siehe auch unsere Rezension), interessiert sich dabei vor allem für das Unausgesprochene zwischen den Zeilen, für die Gefühlswelt der drei Schwestern, die in Bewegung und Tanz durchaus ihren Ausdruck findet. Während sich Yaroslav Ivanenko für seine Ballettadaption des Stoffes am Theater Kiel im März 2012 Kompositionen von Franz Schubert ausgewählt hat, greift Marston musikalisch auf Sergej Rachmaninow, Arvo Pärt und Galina Ustwolskaya zurück. Da die Aufführung im Kleinen Haus stattfindet, wird die Musik vom Band eingespielt.

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Olga (Kusha Alexi) lebt in der Vergangenheit.

Tschechows Drama handelt von den drei Schwestern Olga, Mascha und Irina, die nach dem Tod des Vaters in der russischen Provinz ein tristes Dasein fristen und hoffen, irgendwann wieder nach Moskau zu kommen, weil sie glauben, dass ihr Leben dort wieder einen Sinn bekommen könnte. Doch ihr Bruder Andrej zerstört diesen Traum. Er heiratet Natascha, die, obwohl sie von niedrigerem gesellschaftlichen Stand ist, das Regiment im Haus übernimmt, nachdem Andrej das Erbe verspielt hat und eine Hypothek auf das Haus aufnehmen muss. Während Ivanenko in seiner tänzerischen Umsetzung in Kiel relativ nah an der literarischen Vorlage bleibt, behält Marston nur das Kernpersonal bei und verlegt die Geschichte in einen Tanzsaal in der russischen Provinz. Die drei Schwestern sind hier keine richtigen Geschwister, sondern die Ballettmeisterin, Ballerina und Solistin einer Company, der es an männlichen Tänzern mangelt, was wohl in Russland weit abseits der großen Tanzmetropolen in Moskau und St. Petersburg durchaus der Realität entsprechen soll. Der Traum, den die "Schwestern" träumen, ist die Erlangung der Schwerelosigkeit, worauf das ganze tänzerische Training letztendlich abzielt. Wie bei Tschechow wird auch in Marstons Adaption diese Suche nach einem Sinn an Männer geknüpft, die im Ballett durch diverse Hebefiguren bei den Tänzerinnen die Illusion eines Schwebezustands vermitteln. So tauchen im Ballettsaal plötzlich einige Gasttänzer auf, die den "Schwestern" einen kurzen Moment der Hoffnung geben. Doch diese Gasttänzer verlassen die Company nach kurzer Zeit wieder und Natascha, eine junge Elevin, übernimmt mit einer neuen Tanzästhetik die Herrschaft, die sich von klassischen Idealen und der Abhängigkeit von Männern durch modernen Ausdruckstanz verabschiedet.

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Natascha (Ayako Kikuchi) und Andrej (Valentin Juteau) (im Hintergrund: Ensemble)

Die Bühne von Dirk Becker ist mit zwei Ballettstangen, an denen die Tänzerinnen ihr Training durchführen, und zwei beweglichen Bühnenelementen, die mit dem Vorhang einen Bühnenraum andeuten, relativ einfach gehalten. Scheinwerfer im Bühnenhintergrund vermitteln im Publikum den Eindruck, einer Aufführung der Company aus Sicht hinter der Bühne beizuwohnen. Kusha Alexi wirkt als Olga in ihrem schwarzen Kleid sehr streng. Sie fungiert in Marstons Adaption als Ballettmeisterin, die die anderen unterrichtet. Doch ihre Schritte sind häufig rückwärts gerichtet, was andeutet, dass sie an der Vergangenheit festhält und nicht bereit ist, sich neuen tänzerischen Strömungen zu öffnen. Mit starkem Ausdruck macht Alexi deutlich, in welch starren Strukturen diese Olga lebt und dass sie am Ende der Elevin Natascha unterliegen muss. Ayako Kikuchi wirkt in ihrem kurzen Rock und den knallroten Strümpfen nicht nur jünger, sondern beweist auch mit modernem Ausdruckstanz, dass mit ihr eine neue Zeit angebrochen ist, die sich von alten verkrusteten Strukturen, die Olga verkörpert, verabschiedet hat. Auch musikalisch wird die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Antipoden unterstützt. Während Olgas Auftritte mit Musik von Sergej Rachmaninow begleitet wird, wird bei Natascha die zeitgenössische Komponistin Galina Ustwolskaya verwendet. Valentin Juteau spielt hierbei als Andrej eine eher untergeordnete Rolle. Als einziger Solist der Company ist er vom Auftauchen der männlichen Gasttänzer nicht begeistert, da damit seine Vormachtstellung infrage gestellt wird. Hier spendet ihm Natascha Trost, indem sie sich als einzige nicht von ihm abwendet.

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Leidenschaftliche Affäre: Mascha (Bridget Breiner) und Werschinin (Petar Djorcevski)

Die Ballettdirektorin des Ballett im Revier, Bridget Breiner, ist in dieser Produktion nicht als Choreographin, sondern als Solistin zu erleben. Als Ballerina Mascha begeistert sie mit schwerelos wirkendem Spitzentanz und atemberaubender Fragilität. Hier wird deutlich, welche Träume diese Mascha hat und wie leicht sie zerbrechen können. Wie im Drama ist sie verheiratet mit Kulygin, der in Marstons Adaption der Choreograph der Company ist, in den Mascha als Ballerina folglich alle Hoffnungen auf eine große Karriere als Tänzerin setzt. Doch Kulygin (Ordep Rodriquez Chacon) kann oder will Maschas Träume nicht erfüllen. So beginnt sie eine leidenschaftliche Affäre mit Werschinin, einem charismatischen Gasttänzer. Petar Djorcevski gelingt ein überzeugender Auftritt als "Star aus einer anderen Welt", der mit Breiner in einem bewegenden Pas de deux zu einer wunderbaren Innigkeit findet. Wenn er die Truppe wieder verlässt, lässt er Mascha zerbrochen zurück. Wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln liegt Breiner nun auf dem Boden und versucht verzweifelt, wieder auf die Beine zu kommen. Doch ihr fehlt die Kraft. Letztendlich ist es Maschas Gatte Kulygin, der seiner Frau wieder aufhilft. Er hat ihren Treuebruch verziehen. Ob ein Neustart zwischen Mascha und Kulygin allerdings wirklich möglich ist, bleibt offen.

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Kurzer Traum vom Glück: Irina (Aidan Gibson) und Tusenbach (Joseph Bunn) (im Hintergrund: Ensemble)

Als dritte Schwester Irina begeistert Aidan Gibson mit sauberem Spitzentanz. Als Solistin in der Company hat auch sie Träume von einer großen Karriere, die sie in der Ballettgruppe als nicht realisierbar erkennt, da der Platz der Primaballerina bereits von Mascha blockiert ist. Da kommt ihr der einflussreiche Mäzen Tusenbach gerade recht. Als Impresario vermittelt er ihr den Eindruck, sie weiter fördern zu können. Joseph Bunn gibt den Tusenbach mit magischer Eleganz, die deutlich macht, wie er das Mädchenherz verzaubert. Mit gewaltigen Sprüngen und cooler Lässigkeit nimmt er Irina für sich ein und findet mit Gibson in dem gemeinsamen Pas de deux zu einem weiteren Höhepunkt des Abends. Umso härter ist es für Irina, wenn Tusenbach sich dann mit den Gasttänzern von der Company verabschiedet und sie allein zurücklässt. Doch anders als Mascha scheint Irina nicht völlig am Boden zerstört zu sein. Wie bei Tschechow entschließt sie sich am Ende fortzugehen, auch wenn unklar bleibt, wohin ihr Weg sie führen wird.

Auch Maiko Arai, Francesca Berruto, Nora Brown, Rita Duclos, Fabio Boccalatte, Hugo Mercier und Samuel Maxted überzeugen als Tänzerinnen der Company und Gasttänzer, so dass es am Ende großen, begeisterten Applaus des Publikums gibt.

FAZIT

Auch wenn Cathy Marston Tschechows Drama gegen den Strich bürstet, erzählt ihre Ballett-Adaption eine bewegende Geschichte, die vom Ballett im Revier samt der Ballettchefin Bridget Breiner in großartigem Tanz umgesetzt wird.


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Produktionsteam

Choreographie
Cathy Marston

Bühne
Dirk Becker

Kostüme
Ines Alda

Licht
Andreas Gutzmer

Dramaturgie
Anna Grundmeier


Solisten

Olga, Ballettmeisterin
Kusha Alexi

Mascha, Ballerina
Bridget Breiner

Irina, Solistin
A
idan Gibson

Andrej, Solist
Valentin Juteau

Natascha, Elevin
Ayako Kikuchi

Kulygin, Choreograph,
Maschas Ehemann

Ordep Rodriquez Chacon

Werschinin, Gastsolist
Petar Djorcevski

Tusenbach, Impresario
Joseph Bunn

Tänzerinnen der Ballettcompany
Maiko Arai
Francesca Berruto
Nora Brown
Rita Duclos

Gasttänzer
Fabio Boccalatte
Hugo Mercier
Samuel Maxted


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