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Arbeitersprechchor als Sprechchorarbeit
Von Stefan Schmöe
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Fotos: Pedro Malinowski
Man muss den Begriff Musiktheater schon etwas weiter fassen, um die Stadt der 1000 feuer noch darunter zu fassen: Als Bühnenhörspiel für Sprechchor und vier Solisten bewegt sich das hart am Rand von Musik wie von Theater und passt trotzdem schön in das Repertoire des Gelsenkirchener Musiktheater im Revier. Nicht nur, weil es Chor und Extrachor beschäftigt sind wenn auch weitgehend als Sprechchor (kurz vor Schluss dürfen sie einen Kanon von Hanns Eisler Oh endless ist this misery wirklich singen), auch, weil es thematisch auf das Selbstverständnis der Arbeiter-Stadt Gelsenkirchen inmitten des Strukturwandels zielt und weil es, Hörspiel hin oder her, eben doch theatralische Qualitäten hat.
Ensemble
Die Schablone liefert ein Sprechchor Der gespaltene Mensch des ziemlich vergessenen Arbeiterdichters Bruno Schönlank (1891 1965) aus den 1920er-Jahren, vom Chor und Extrachor des Theaters unter der Leitung von Christian Jeub rhythmisch genau gesprochen, geflüstert, geraunt - die Choristen machen das ordentlich, eine noch pointierter gestaltete Interpretation scheint indes denkbar. Da geht es um den Rhythmus der Maschinen, aber auch um das Ethos, von dem das Phänomen Arbeit umgeben ist Arbeit als Wert an sich, der gleichzeitig den Menschen zerstört. Die 35 Choristen stehen streng positioniert in Alltagskleidung auf der Bühne, vor jedem ein Mikrophon. In der schmucklos harten Beleuchtung ist das von wirkungsvoller Nüchternheit.
Sprechchor
Davor sitzen an einer Tischreihe die vier Solisten und sprechen Texte, die der 1981 geborene Schriftstekller John Birke für dieses Projekt verfasst hat. Da geht es in virtuos ironisch verdrehtem Soziologendeutsch um den modernen Begriff der Arbeit, hart am Rand und immer wieder auch im Bereich der Komödie. Birke untersucht seinen Gegenstand und stellt diese Untersuchung selbst direkt wieder mit gehörigem Witz infrage. Frieder Butzmann und Sven-Åke Johansson spielen virtuos mit Birkes Sprache und machen die musikalische Dimension davon deutlich. Bernadette La Hengst benötigt einige Anlaufzeit, um dieses Niveau zu erreichen, Gina V. D'Oro bleibt im Vergleich dazu blass und wirkt den ganzen Abend über etwas fahrig.
Sven-Åke Johansson (vorne), Frieder Butzmann
Der Abend ist in sechs Abschnitte (Bilder) mit Vor- und Nachspiel strukturiert. Im ersten Bild geht es um Karl Marx, was angesichts der Sprechchortexte in der Luft liegt, von Birke aber sofort gebrochen wird nicht der propagandistische Gehalt ist Thema, sondern Marx erscheint als historische Gestalt, todkrank am Kapital schreibend ein Fall für Biographen. Im Bild Werkmaschine wird der 3D-Drucker zum zeitgemäßen Gegenstück der Fließband-Maschinerie. Gastarbeiter erzählt ziemlich komisch von der Absurdität, dem einemillionsten bundesrepublikanischen Gastarbeiter ein Mofa zu schenken und damit gleichzeitig Macht und Willkür des Staates gegenüber den beinahe rechtelosen Fremden zu demonstrieren. In ihrer überzogenen Zuspitzung recht bemüht wirken die Bilder Musik (in der die vermeintliche Kunst zur Ware wird) und Opferagentur (die den Dienstleistungsgedanken auf die Spitze treibt, indem sie den Menschen als Berufsopfer gegen Bezahlung den Gewaltphantasien anderer überlässt). Dazwischen gibt es noch das Praktikum, ein bissiger Dialog über die unbezahlte Ausbeutung von Berufsanfängern: Arbeit als Joberwerb und nicht mehr als Broterwerb. Wir sind da auf Ihre Begeisterungsfähigkeit angewiesen.
Bernadette La Hengst
Das gibt es nicht nur hier in Gelsenkirchen, wie Birke mit einem leicht variierten Georg-Kreisler-Zitat konstatiert, und so ist die von Oliver Augst komponierte und inszenierte Arbeit in Zusammenarbeit mit dem Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt entstanden und im vorigen Oktober dort auch schon aufgeführt worden. Aber das gibt es eben auch in Gelsenkirchen, und weil es klug gedacht und kurzweilig umgesetzt ist, hätte das 75-Minuten-Stück mehr Publikum verdient als bei der Premiere, zu der das Kleine Haus des Musiktheater im Revier vielleicht zur Hälfte gefüllt war.
Ein bissiges, kleines, intelligentes Stück am Rande, bei dem Sprache (in Grenzen) zu Musik wird.
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Produktionsteam
Inszenierung
Bühne
Chor
Dramaturgie
Solisten
Sprecher
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