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Gasthof "Unterm Kruzifix"
Von Thomas Molke /
Fotos von Rolf K. Wegst
Bohuslav Martinůs Opernschaffen fristet auf den deutschen Bühnen eher ein
Schattendasein. Umso erstaunlicher ist es, dass am letzten Märzwochenende direkt
an zwei Theatern Werke dieses nach Janáček bedeutendsten tschechischen
Komponisten Premiere feierten. Während das Theater Bremen am Samstag mit der
lyrischen Oper Juliette, die thematisch ganz dem Surrealismus des 20.
Jahrhunderts verhaftet ist (siehe auch unsere
Rezension), den Anfang machte, folgte einen Tag später am Stadttheater
Gießen mit Mirandolina ein Werk, das mit Blick auf das italienische
Temperament in der Musik und die komödiantische Handlung einer Opera buffa
näherkommt. Zwischen der Entstehung der beiden Opern liegen
nahezu 20 Jahre, in denen Martinů sich 15 Jahre lang gar nicht mit diesem Genre
beschäftigt hat, bevor er 1953 nach seiner Rückkehr nach Europa von der
Guggenheim-Stiftung ein Stipendium für die Komposition einer neuen Oper erhielt.
Infolgedessen entstand nach langer Suche nach einem geeigneten Libretto Mirandolina.
Zur Uraufführung gelangte dieses Werk am Prager Nationaltheater aber erst am 17.
Mai 1759, ein paar Monate vor Martinůs Tod in einem Schweizer Sanatorium.
Mirandolina (Francesca Lombardi Mazzulli) wird
vom Conte Albafiorita (Eric Laporte, links) und Marchese Forlimpopoli (Calin
Valentin Cozma, rechts) umworben.
Die Handlung geht zurück auf Carlo Goldonis berühmte Komödie La Locandiera,
die in Deutschland auch unter dem Namen Mirandolina bekannt ist. Martinů
hat den italienischen Text mit Unterstützung des italienischen Schriftstellers
Antonio Aniante und des Komponisten Eleuthere Lovreglio selbst zum Libretto
umgestaltet. Mirandolina hat von ihrem verstorbenen Vater ein Gasthaus geerbt,
das sie gemeinsam mit ihrem Diener Fabrizio bewirtschaftet. Während der reiche
Conte Albafiorita und der verarmte Marchese di Forlimpopoli ihr den Hof machen,
weil sie sie für eine gute Partie halten, zeigt sich der dritte Gast, der
Cavaliere Ripafratta, eher abweisend, was Mirandolinas Interesse weckt. So setzt
sie alles daran, diesen selbst erklärten Frauenfeind zu verführen. Als er
schließlich ihren Avancen erliegt und ihr seine Liebe gesteht, lässt Mirandolina
ihn abblitzen und verkündet, dass sie ihren Diener Fabrizio heiraten werde. Der
Conte und der Marchese trösten sich mit den beiden Komödiantinnen Hortensia und
Dejanira, die sich als zwei adelige Damen im Gasthaus eingemietet haben, während
dem Cavaliere nichts anderes übrig bleibt, als wütend abzureisen.
Der Cavaliere Ripafratta (Tomi Wendt) zeigt
Mirandolina (Francesca Lombardi Mazzulli) die kalte Schulter.
Sicherlich ist die Handlung für eine Oper des 20. Jahrhunderts ungewöhnlich.
Auch muss man nicht erwarten, dass das Stück im Stil der Commedia dell'arte
erzählt wird, weil die Musik zwar Anklänge an die Opera buffa des frühen 18.
Jahrhunderts aufweist, in der Rhythmik und den Melodienbögen aber doch deutliche
Unterschiede aufweist. Dennoch scheint sich Andriy Zholdak bei seinem Versuch,
das Stück zu modernisieren, zu vergaloppieren und stülpt der Geschichte einen
rituellen religiösen Kontext über, der dort nun wirklich nichts zu suchen hat.
Ausschlaggebend ist hier vor allem der Einsatz von Statisten, der für reichlich
Verwirrung sorgt. Wieso ein halbnackter Jüngling und zwei Dienstmädchen an der
Rückwand ständig die Pose des gekreuzigten Jesus einnehmen müssen, sie dazu auch
noch mit einer weißen beziehungsweise schwarzen Blume im Haar geschmückt werden,
erschließt sich genauso wenig wie die Tatsache, dass der Jüngling sich später
mit einem Dienstmädchen auf dem Fußboden vergnügt oder auch mit Mirandolina
leidenschaftliche Küsse austauscht. Auch die anderen Protagonisten stellen sich
bisweilen wie ein gekreuzigter Heiland an die Rückwand, die zugegebener Maßen
sehr weit vorne ist, da nur die Vorderbühne bespielt wird, so dass den Solisten
wenig Platz zum Agieren bleibt.
Mirandolina (Francesca Lombardi Mazzulli) liebt
ihren Diener Fabrizio (Ralf Simon).
Wieso eine junge Statistin im Programmheft als Engel ausgewiesen wird, wenn sie
im Vorspiel zum dritten Akt regelrecht genüsslich zwei Jünglinge abknallt und
anschließend mit weiteren Schüssen ihre Körper zum Zucken bringt, bleibt genauso
unklar, wie der alte Mann, der ständig über die Bühne läuft, Requisiten von der
einen zur anderen Seite trägt, und dabei nach seinem Auftritt und vor seinem
Abgang immer die Brille zurechtrückt und an seinem Schnurbart zieht. Sollen die
beiden Mirandolina und ihren verstorbenen Vater darstellen? Schließlich
überlässt Zholdak den beiden Figuren den Schluss des Abends, wenn sich die
anderen Figuren nach dem eigentlichen Finale bereits in das Dunkel der dann
offenen weiten Bühne zurückgezogen haben und einige Zuschauer mit einem scheuen
Applaus bereits der Meinung sind, dass das Stück jetzt eigentlich zu Ende sein
müsse. Da geht der alte Mann nämlich zu der jungen Frau, die auf einem Stuhl
Platz genommen hat, nimmt noch einmal alles in Augenschein und verlässt
gemeinsam mit ihr die Bühne, bevor der musikalische Schlussakkord nun wirklich
das Ende des Abends einleitet.
Leseprobe? (von links: Conte Albafiorita (Eric
Laporte), Marchese Forlimpopoli (Calin Valentin Cozma), Mirandolina (Francesca
Lombardi Mazzulli), Fabrizio (Ralf Simon), Dejanira (Stine Marie Fischer) und
Hortensia (Naroa Intxausti), im Hintergrund: der "gekreuzigte" Jüngling (Glenn
Buchholtz))
Dabei hätte man in dem von Zholdak und Lukas Noll konzipierten Bühnenbild trotz
der Enge so viel machen können. Die beiden großen Türen auf der rechten und
linken Seite und der über den Orchestergraben ragende Holzfußboden deuten an,
dass dieser Gasthof einmal gute Zeiten gehabt hat. So ist die linke Tür noch in
vollem Glanz erhalten, während bei der rechten Tür der Lack ab ist, was andeutet
könnte, dass der Gasthof nun in einer finanziellen Krise steckt. Auch der
brüchige Holzfußboden weist auf einen allmählichen Verfall des Gasthofs hin. In
diesem Ambiente hätte die Handlung wunderbar auch ohne rituellen Schnickschnack
stattfinden können. Auch die Szene vor der Ouvertüre, in der der Conte und der
Marchese bereits um Mirandolina buhlen und diese heftig mit den beiden flirtet,
macht Sinn, wobei das Stimmen des Orchesters dabei etwas störend wirkt. Aber
muss man denn im dritten Akt einen Tisch mit Sprechmikrophonen auf die Bühne
stellen und alle Figuren ihren Text aus dem Libretto ablesen lassen, während sie
sich wie zu einem Arbeitskreis um den Tisch gruppieren? Und was bitte schön hat
Angela Merkel mit der ganzen Geschichte zu tun, die auf einem großen Bild,
natürlich in meditativer, wenn nicht gar betender, Pose, über den Türeingang
gehängt wird? Bei diesen Ansätzen verwundert es nicht, dass sich nach der Pause
die Reihen im Zuschauersaal gelichtet haben.
Musikalisch hingegen kommt man auf seine Kosten. Francesca Lombardi Mazzulli
begeistert in der Titelpartie mit vollem Sopran, der in den Höhen enorme
Strahlkraft besitzt. Auch darstellerisch gefällt sie als verführerische Wirtin
und spielt mit ihren Reizen, soweit es Zholdaks Personenregie zulässt. Herrlich
natürlich klingen bei ihr auch die gesprochenen italienischen Passagen, bei
denen sie in der Intonation wirklich alle gängigen Klischees bedient. Eric
Laporte und Calin Valentin Cozma statten ihre Rollen als verschmähte Liebhaber
ebenfalls mit großer Komik aus. Dabei glänzt Laporte als Conte Albafiorita mit
sauberen tenoralen Höhen, während Cozma den Marchese Forlimpopoli mit profunden
Tiefen versieht. Tomi Wendt gefällt als Cavaliere Ripafratta mit hellem Bariton
und gestaltet einen glaubhaften Wechsel vom Frauenfeind zum Verehrer
Mirandolinas. Ralf Simon bleibt als Diener Fabrizio in Zholdaks Personenregie
etwas blass, stattet die Partie aber mit einem ins baritonale Fach reichenden
Tenor ebenfalls überzeugend aus. Auch Naroa Intxausti und Stine Marie Fischer
zeigen als Hortensia und Dejanira große Bühnenpräsenz. Michael Hofstetter bringt
mit dem Philharmonischen Orchester Gießen Martinůs vielschichtige Musik
regelrecht zum Klingen und macht dabei deutlich, dass dieser Komponist
hierzulande zu Unrecht vernachlässigt wird. Vielleicht sollte man sich noch die am 30. April 2014 im Opernstudio der Bayrischen Staatsoper herauskommende Produktion ansehen, um sich ein abschließendes Urteil über die Qualitäten dieses Stückes machen zu können. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Bühne und Licht Bühne und Kostüme Licht
Dramaturgie
Philharmonisches Orchester
SolistenMirandolina
Der Cavaliere Ripafratta
Der Conte Albafiorita Der Marchese
Forlimpopoli Fabrizio Hortensia
Dejanira
Der Diener des Cavaliere
Zwei Dienstmädchen
Ein Engel
Ein alter Mann
Jünglinge
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