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Cavalleria rusticana

Melodramma in einem Akt
Libretto von Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menasci
Musik von Pietro Mascagni

Der Bajazzo (I Pagliacci)

Dramma in zwei Akten (1892)
Musik und Libretto von Ruggero Leoncavallo

in italienischer Sprache mit  deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden  (eine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 12. Januar 2014

 

 

 



Staatsoper Hannover
(Homepage)

Ein Spiel im Spiel des Spiels

Von Bernd Stopka / Fotos von Jörg Landsberg

Seit scheinbar ewigen Zeiten führen Mascagnis Cavalleria rusticana und Leoncavallos Der Bajazzo eine glückliche Ehe auf den Opernbühnen dieser Welt. Zwar gibt es immer wieder einmal Versuche eines Partnerwechsels, aber dieses Fremdgehen war nie wirklich erfolgreich  - hatte aber glücklicherweise auch nicht die tödlichen Folgen, die der Ehebruch ihrer Protagonisten heraufbeschwört.

In Hannover hat Regisseur Philipp Himmelmann mit Bühnenbildner Johannes Leiacker diese Kurzopernehe nicht nur erneut gesegnet, sondern sie auch noch inniger miteinander verbunden, zeigt Parallelen auf und unterstreicht diese auch musikalisch, indem er Vorspiel und Prolog des Bajazzo gleich zu Beginn vor der Cavalleria rusticana spielen lässt. Das ist nicht neu, aber effektiv. Vor allem, wenn es so herrlich dargeboten wird: Ein Ansager, Talk- oder Showmaster tritt mit Textkarten und Lesebrille vor den Vorhang, möchte eigentlich nur die berühmten einleitenden Worte verkünden, gerät dabei immer stärker unter die Erinnerungslast eigener Erlebnisse, betrachtet und betritt das Schlussbild der Cavalleria rusticana, das zum Beginn des anschließenden Cavalleria rusticana-Vorspiels gezeigt wird, um dann als Alfio, und später als Tonio im Bajazzo beide Geschichten selbst zu erleben. Der Rest des Vorspiels und des Eingangschores wird von einem Musterbeispiel lästiger und höchst unnötiger, ja ärgerlicher Projektionswut optisch verkleistert, der verschiedene Menschen, einzeln oder gruppiert in Großaufnahmen zeigt. Doch damit ist das Thema Projektionen für diesen Abend glücklicherweise auch erledigt.

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Lola (Hanna Larissa Naujoks, liegend), Alfio (Stefan Adam), Santuzza (Khatuna Mikaberidze)

Eine schneeweiße Bogenwand vor einem schwarzen Hintergrund, rechts ein ähnliches  schwarzes Element, dessen Bogen den Eingang zum Wirtshaus bildet, reichen als Szenenbild völlig aus. Vor der Kneipe stehen schwarze Stühle und Tische. Auch die individuellen Kostüme (Gesine Völlm) sind in düsterem Schwarz oder Grau, gelegentlich mal in mattem Graubraun gehalten. Farbtupfer bilden lediglich Lolas rote Schuhe und der ausgeschenkte Rotwein. Turiddu ist ein schmieriger Widerling, der in höchster Not ein wenig lächerlich nach seiner „Mamma“ schreit. (Eine Parallele zu Siegfried, die auch dort im Publikum regelmäßig nur dezent unterdrücktes Lachen hören lässt). Alfio ist ein zunächst fröhlich-unbeschwerter, dann stolzer und wütender anständiger Mann mit Grandezza, der sein liebevolles Mitleid mit Santuzza entdeckt, die Sache schlussendlich aber als Frage der Ehre sieht, seinen Widersacher im Zweikampf tötet und Lola ganz sachlich die Kehle durchschneidet. Das Messer zu beiden Taten reicht ihm Santuzza, die zwischen Liebe, Existenznot, Rachedurst und Verzweiflung hin und her gerissen ist, auf Lolas Leiche wütend einstechen will, dies jedoch nicht übers Herz bringt. In einem nur leicht abstrahierten, realistischen Bühnenbild ohne Unnötiges, aber mit allem Nötigen (Marienprozession, Messern, Wein und dem archaischen Biss ins Ohr als Forderung zum Duell), unter den besten Voraussetzungen also, spielen sich die Protagonisten  die Seele aus dem Leib. Aber dennoch hat mich das Ganze irgendwie kalt gelassen.

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Nedda (Sara Eterno), Tonio (Stefan Adam)

Ganz anders dagegen Der Bajazzo: Das Bühnenbild hat die gleiche Grundstruktur, ist aber ganz realistisch gehalten. Die Bogenwand erscheint in romantisch-schmutzigem Lehmbraun mit Verkabelungen, die sie als Rückseite der weißen Wand vermuten lassen. Das Wirtshaus hat die gleiche Farbe, aber braune statt schwarzer Möbel. Mamma Lucia erscheint auch hier als  Frau Wirtin und erinnert spätestens jetzt mit ihrer Frisur an Lia Wöhr in gleicher Funktion einst im Blauen Bock. Santuzza sitzt von allem unberührt vor sich hin starrend an einem der Tische, in dem, wie schon zuvor in der Cavalleria rusticana, das Messer steckt. Leider passiert nichts weiter mit ihr, sie nimmt nicht am Geschehen teil, nimmt es noch nicht einmal wahr, ob sie hier nun sitzt oder nicht… Das Ganze ist in warmes, südländisches Licht getaucht, das fast unmerklich in Dämmerung und Nacht übergeht. Der Hintergrundprospekt zeigt eine bergige mediterrane Gegend mit Dorf oder Stadt, zunächst von der Sonne, dann von den Lichtern aus den Häusern erhellt. Bunte Kostüme und ebenso buntes Treiben der Gauklertruppe (mit echten Artisten) zeigen quicklebendig und ganz realistisch, dass Oper auch heutzutage in solchen Bildern nicht nur Spaß macht, sondern ebenso anrührt und bewegt.

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Colombine (Sara Eterno), Harlekin (Edward Mout)

Tonio erscheint als sozial benachteiligter Tölpel, dessen schüchterne Annäherungsversuche in heiße Wut und Rache umschlagen (nicht umsonst ist diese Parallele zu Alfio durch die Besetzung mit demselben Sänger verdeutlicht). Auch Canio erscheint eher unattraktiv und fände sicher so leicht keine Frau, wenn er Nedda nicht als Bedürftige von der Straße aufgelesen und sich ihrer angenommen hätte. Sie wiederum kann mit ihrer Dankbarkeit dafür ihre Sehnsucht nach echter Liebe nicht zum Schweigen bringen. Der Hintergrundprospekt der Gauklerbühne vereint, ein bisschen gewollt wirkend, die beiden Seiten der Bogenwand – die weiße und die graubraune, von der aus ein menschlicher Schatten auf die Straße dazwischen fällt. Nachdem Canio als Bajazzo Nedda als Columbine erdrosselt hat, fällt die Bühne ins Probenlicht und der Abenddienst habende Dramaturg, der das hannoversche Opernpublikum vor Beginn der Aufführung so freundlich um das Ausschalten der Handys gebeten hatte, stürzt auf die Bühne und verkündet dann vor dem schnell geschlossenen Vorhang „La commedia è finita!“. Dieser Schluss ist mehr als ein Gag. Er holt das Geschehen ganz eindrucksvoll auf eine andere Ebene, in die Gegenwart, und lässt den Eindruck entstehen, dass nicht nur die Zuschauer der Gauklerbühne, sondern auch die der Opernaufführung in Hannover eine dramatisch-emotionale Wendung ins Reale erlebt haben. So wird im Nachhinein die Ansage zum Prolog vor dem Prolog und der Mord zum Übergriff eines Sängers, der als Darsteller des Bajazzos auf der Opernbühne in Hannover einen Eifersuchtsmord an einer Kollegin begeht, weil er in der Komödie, die als Teil der Handlung   dieser Oper gespielt wird, Spiel und Realität nicht mehr auseinander halten kann.

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Bajazzo (Robert Künzli), Colombine (Sara Eterno), Chor

Hannovers GMD Karen Kamensek dirigiert keine veristischen Schmachtfetzer, sondern  gestaltet subtiler, verliert dabei in der Cavalleria rusticana aber gelegentlich den Großen Bogen und die Spannung. Dabei verzichtet sie nicht auf gewaltige Ausbrüche und das musikalische Auftrumpfen, mit dem sie zuweilen die Sänger überdeckt. Der Bajazzo gelingt dagegen ganz und gar überzeugend, klingt wie aus einem Guss, reißt mit und bewegt. Khatuna Mikaberidze singt die Santuzza, mit vielen schönen Tönen, großen Phrasen und  brillanten Spitzentönen. Gelegentlich klingt die Stimme unausgewogen, was aber der intensiven  und überzeugenden Gestaltung geschuldet sein mag. Diane Pilcher gibt auch sängerisch eine in Würde gealterte Mamma Lucia. Hanna Larissa Naujoks verleiht der Lola die nötige Erotik und Verführungskunst. Ricardo Tamura hat strahlende Spitzentöne, andererseits klingt seine Stimme auch immer mal wieder angestrengt und gepresst. So ganz scheint ihm die Partie des Turiddu nicht zu liegen. Sara Eterno ist eine wundervolle Nedda mit warmem, substanzreichem, leidenschaftlich blühendem Sopran, der vielfarbig aufblüht und sinnlich betört – eine sängerische und darstellerische Offenbarung! Robert Künzli steht ihr mit kraftvoll strahlendem, herrlich klangvollem Tenor als Canio nicht nach. Ein kongeniales Bühnenpaar! Francis Bouyer ist Neddas attraktiver Liebhaber. Er singt den Silvio stimmschön, könnte aber etwas mehr Durchschlagskraft vertragen. Edward Mout ist auch stimmlich ein angemessen lebendig quirliger Harlekin. Nachhaltig beeindruckt Stefan Adam, der als quasi darstellerisches Leitmotiv den Abend beherrscht. Als Ansager/Tonio, als Alfio und als Tonio/Taddeo verkörpert und gestaltet er schauspielerisch wie stimmlich die oben bereits beschriebenen Leidenschaften und Entwicklungen dieser Figuren höchst eindrucksvoll und überzeugend. Ein ebenso homogen wie prachtvoll klingender Chor und das bestens disponierte, seiner Dirigentin gern folgende Orchester runden die musikalische Seite des Abends würdevoll ab.

FAZIT

Während Cavalleria Rusticana trotz guter szenischer Voraussetzungen etwas blass bleibt, zeigt die Produktion des Bajazzo echte Oper nach allerbester Manier. In wunderschönen realistischen Bildern und Kostümen, unterhaltsam, berührend und bewegend und doch nicht platt, nicht oberflächlich. Dabei gibt sie der Musik und den Sängern den gebührenden Raum und lässt Oper eben auch Oper sein. Allein das Gelingen dieser Kombination ist außergewöhnlich, bemerkenswert und unbedingt sehenswert.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Karen Kamensek

Inszenierung
Philipp Himmelmann

Bühne
Johannes Leiacker

Kostüme
Gesine Völlm

Licht
Susanne Reinhardt

Video
Martin Eidenberger

Einstudierung Artistik
Pantelis Zikas

Chor
Dan Ratiu

Dramaturgie
Christopher Baumann

 

Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover

Chor und Extrachor der
Staatsoper Hannover

Statisterie der
Staatsoper Hannover

Solisten

Cavalleria rusticana

Santuzza
Khatuna Mikaberidze

Turiddu
Ricardo Tamura

Mamma Lucia
Diane Pilcher

Alfio
Stefan Adam

Lola
Hanna Larissa Naujoks

Der Bajazzo (I Pagliacci)

Nedda / Colombine
Sara Eterno

Canio / Bajazzo
Robert Künzli

Tonio / Taddeo
Stefan Adam

Beppo / Harlekin
Edward Mout

Silvio
Francis Bouyer

1. Contadino
Woo-Jung Kim

2. Contadino
Karel Mac-Lean




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




Da capo al Fine

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