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Der Schrank der Georgi

Eine tänzerische Recherche von Maria Hilchenbach und Riccardo Fernando
Musik von Igor Strawinsky, Henk Badings, Ólafur Arnalds, Camille Saint-Saëns, Darius Milhaud,
Gottfried von Einem und Max Richter

Aufführungsdauer: ca. 2 h 25' (eine Pause)

Premiere im Theater Hagen am 17. Mai 2014

(rezensierte Aufführung: 21.05.2014)


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Theater Hagen
(Homepage)
Synthese von klassischem Tanz und Moderne

Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre

Obwohl Yvonne Georgi als Meisterschülerin von Mary Wigman an der Entwicklung des modernen Ausdruckstanzes in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts maßgeblichen Anteil gehabt hat, ist diese schillernde Figur der deutschen Tanzgeschichte kaum erforscht und heute nur sehr wenigen bekannt. Dabei wurde sie bereits 1925 im zarten Alter von 22 Jahren die jüngste Ballettmeisterin Deutschlands und leitete am Theater in Gera eine Tanzgruppe, deren Stil zwar dem Publikum in Gera missfiel, in größeren Städten aber gefeiert wurde, so dass sie bereits in der folgenden Spielzeit nach Hannover wechselte, wo sie nach längerem Aufenthalt in Holland und einigen Tourneen durch die USA ab 1954 ihre Hauptwirkungsstätte fand. Dank der Unterstützung des Tanzfonds Erbe, einer Initiative der Kulturstiftung des Bundes, konnte der Hagener Ballettdirektor Ricardo Fernando gemeinsam mit seiner Dramaturgin Maria Hilchenbach dieser bedeutenden Choreographin des letzten Jahrhunderts einen Ballettabend als Uraufführung widmen, in der in einer Art Collage unterschiedliche Arbeiten der Georgi rekonstruiert werden, wobei man mit Ausnahme der Choreographie Glück, Tod und Traum das Bewegungsvokabular nur aus alten Fotos erarbeiten oder im Sinne der Georgi neu entwickeln konnte.

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Melanie Lopez Lopez vor historischen Aufnahmen von Yvonne Georgi

Der Titel des Abends spielt dabei auf eine Geschichte an, wonach die Georgi ihre Tänzerinnen und Tänzer nach den Premieren häufig zu sich eingeladen habe und bei diesen Feiern immer der große Schrank im Wohnzimmer geöffnet worden sei, in dem die Georgi Kostüme und Requisiten als Erinnerung an alte Aufführungen aufbewahrt habe. Die auf Video eingespielten Zeitzeugnisse zeigen, wie die Georgi auf einer Feier ihren Schrank öffnet und ihren Gästen mehrere Kostüme zeigt, die aus einer ihrer Choreographien stammen. Ein ähnlicher Schrank wird dann in einer Video-Animation auf die Rückwand projiziert und geöffnet, während Melanie Lopez  Lopez als Yvonne Georgi die Bühne betritt und Erinnerungen an ihre alten Choreographien aufleben lässt. Fernando und Hilchenbach halten sich dabei nicht an eine chronologische Erzählstruktur, sondern lassen die einzelnen Choreographien so aufeinanderfolgen, wie man bei einer Erzählung vielleicht auch mit einer Geschichte anfängt, die einem zuerst in den Sinn kommt.

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Eunji Yang als Ballerina und Bobby Briscoe als Mohr in Petruschka

Der Abend beginnt mit vier Auszügen aus dem Handlungsballett Petruschka von Igor Strawinsky, mit dem Georgi 1926 ihren ersten Ballettabend in Hannover präsentierte. Während auf den Bühnenhintergrund ein Jahrmarkt projiziert wird, sieht man die drei Protagonisten des Stückes, Petruschka, die Ballerina und den Mohr, auftreten. Shinsaku Hashiguchi verleiht dem Antihelden Petruschka durch ausdrucksvolle Bewegungen eine ergreifende Melancholie, die das Unglück der Titelfigur widerspiegelt. Eunji Yang gestaltet die Ballerina als nahezu seelenloses Wesen, das sich nur von Äußerlichkeiten beeindrucken lässt und sich somit zum charismatischen Mohr viel stärker hingezogen fühlt. Für Bobby Briscoes Solo als Mohr wird eine beeindruckende Wüstenlandschaft mit kleinen Oasen auf den Hintergrund projiziert, durch die Briscoe regelrecht majestätisch schreitet. Erst am Ende befindet man sich wieder auf dem Jahrmarkt, wenn es dann zum dramatischen Showdown zwischen dem Mohren und Petruschka kommt.

Während dieses erste Stück mit der klaren Handlung noch durchaus klassische Strukturen aufweist, wird im zweiten Teil unter dem Titel Evolutionen eine Choreographie zu elektronischer Musik von Henk Badings gezeigt, bei der man sich nicht vorstellen kann, dass dieses "elektronische Ballett" bereits 1958 im Ballhof Hannover seine Uraufführung erlebt hat. Fernando erzeugt hier mit auf den Kostümen angebrachten Lichtern Effekte, die die Tänzer in ihren ansonsten schwarzen Anzügen vor einem schwarzen Hintergrund nur schemenhaft erkennen lassen. Man muss diese elektronischen Klänge nicht mögen, wird sich aber dennoch kaum dem Sog dieser fantastischen Bilder entziehen können. Als Synthese von Klassik und Moderne folgt dann Der Schwan zur Musik von Camille Saint-Saëns. Während auf den Hintergrund ein leicht wogender See vor einem im Nebel schimmernden Schloss projiziert wird, sieht man Huy Tien Tran als gebrochenen weißen Schwan mit modernem Ausdruckstanz, während Yoko Furihata auf Spitze absolut leichtfüßig über die Bühne schwebt.

Der letzte Teil vor der Pause wird mit einer simulierten Probe im Ballettsaal eingeleitet. Melanie Lopez Lopez übt als Yvonne Georgi mit dem Ensemble einzelne Sequenzen aus Saudades do Brasil, einem Ballett, welches sie auf Musik von Darius Milhaud als eines der ersten während ihrer Zeit in Gera choreographierte. Nachdem Lopez Lopez den einzelnen Tänzerinnen und Tänzern zunächst Anweisungen gegeben hat, wie sie sich die einzelnen Bewegungen vorstellt, sieht man anschließend die Choreographie im Ganzen, wobei man die einzelnen Szenen, an denen in der Probe zunächst gearbeitet wurde, in den einzelnen Duetten wunderbar wiedererkennt. Für den Brasilianer Fernando hat dieses Werk natürlich seinen ganz besonderen Reiz und knüpft zum einen an den letzten Tanzabend Terra brasilis an, gibt zum anderen allerdings auch schon einen Ausblick auf die bald beginnende Fußballweltmeisterschaft, was in den pittoresken Animationen von Brasilien auf der Rückwand deutlich wird. Wenn dann die berühmte Statue des Cristo Redentor auf dem Berg Corcovado die ausgestreckten Arme zum Gruß schwenkt und das Publikum freundlich anlächelt, kommt hier auch die humoristische Seite zum Zuge.

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Tiana Lara Hogan und Péter Matkaicsek als Tod in Glück, Tod und Traum zur Musik von Gottfried von Einem

Nach der Pause folgt die einzige Choreographie, die anhand einer Videoaufnahme rekonstruiert werden konnte. Sieben Jahre nach der Uraufführung wurde Georgis Glück, Tod und Traum bei den Wiener Festwochen 1961 mitgeschnitten. Diese Choreographie zur Musik von Gottfried von Einem lässt Fernando von seinem Ensemble nach der vorhandenen Aufzeichnung nachstellen. Nach einer kurzen Videosequenz, in der Yvonne Georgi in einem Interview bekundet, dass sich Musik in ihrem Kopf sofort in plastische Gestaltung umsetze, wird auf den Bühnenhintergrund ein Holzsteg projiziert, der wohl dem originalen Bühnenbild nachempfunden ist. Bobby Briscoe tritt zunächst als Schreiber auf, der nicht nur von Einems Musik in Bewegung umsetzt, sondern auch die von Thomas Weber-Schallauer eingesprochenen Texte, in denen der Sprecher über die drei Begriffe "Glück", "Traum" und "Tod" reflektiert und die seinen Schreibprozess nachhaltig beeinflussen, dabei aber eigentlich nicht richtig greifbar sind. Für jeden Begriff tritt ein Paar auf, dass die Begriffe umsetzt: Hayley Macri und Huy Tien Tran als Glück mit einer spielerischen Leichtigkeit, Yoko Furihata und Brendon Feeney als Traum mit phantasievollen Bewegungen und Tiana Lara Hogan und Péter Matkaicsek mit einer gewissen Härte, die den Tod repräsentiert. Ein Band ist hierbei um Hogan gefesselt, mit dem Matkaicsek sie am Ende regelrecht stranguliert.

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Die Tänzer in Le sacre du printemps

Den Abschluss macht der 1. Teil von Strawinskys Le sacre du printemps. Auf dem Bühnenhintergrund erscheint zunächst eine Art Kühlschrank auf einer grünen Wiese, der beim Öffnen Grashaufen zeigt. Anschließend fallen aus dem Schnürboden Grasklumpen herab, die im Folgenden von den Tänzerinnen und Tänzern beim Tanz auf der Bühne verteilt werden. Bei den teilweise aggressiven Klängen wird der Geschlechterkampf gezeigt, wobei die Tänzerinnen und Tänzer den pulsierenden Rhythmus punktgenau umsetzen. Am Ende tritt Lopez Lopez noch einmal als Georgi auf und öffnet ein letztes Mal den Schrank. Die echte Georgi ergreift in einer kurzen Videosequenz noch einmal das Wort und zieht das Fazit des Abends und des Tanztheaters im Allgemeinen: Es sei egal, ob man klassisches Ballett oder modernen Ausdruckstanz kreiere. Es komme nur auf die Qualität an. Von Qualität hat man sich an diesem Abend gewiss überzeugen können, was der große Applaus am Ende des Abends belegt.

FAZIT

Fernando leistet mit seiner Compagnie einen wunderbaren Beitrag dazu, Yvonne Georgi und ihre Choreographien dem Vergessen zu entreißen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
David Marlow

Choreographie und Inszenierung
Ricardo Fernando

Bühne
Peer Palmowski

Kostüme
Rosa Ana Chanzá

Video / 3D
Lieve Vanderschaeve

Licht
Achim Köster

Dramaturgie
Maria Hilchenbach

 

Philharmonisches Orchester Hagen

 

Solisten

Yvonne Georgi
Melanie Lopez Lopez

Petruschka

Petruschka
*Shinsaku Hashiguchi /
Péter Matkaicsek

Ballerina
*Eunji Yang /
Tiana Lara Hogan

Der Mohr
*Bobby Briscoe /
Leszek Januszewski

Evolutionen

Gruppe
*Sandra Resende
Shinsaku Hashiguchi
Eunji Yang
Yoko Furihata
*Matt Williams
*Péter Matkaicsek
*Debora Buhatem
Tiana Lara Hogan
*Tomoaki Nakanome
Huy Tien Tran
*Helena Balla
*Ana Rocha Nené
Leszek Januszewski
*Brendon Feeney

Duett

Duett
Melanie Lopez Lopez
*Brendon Feeney /
Huy Tien Tran

Der Schwan

Weiblicher Schwan
*Yoko Furihata /
Sandra Resende

Männlicher Schwan
*Huy Tien Tran /
Brendon Feeney

Saudades do Brasil

Gruppe
*Hayley Macri
*Bobby Briscoe
Debora Buhatem
Shinsaku Hashiguchi
*Tiana Lara Hogan
*Péter Matkaicsek
Helena Balla
Leszek Januszewski
*Ana Rocha Nené
*Brendon Feeney
Sandra Resende
Matt Williams
*Eunji Yang
*Huy Tien Tran
Yoko Furihata

Duett

Duett
Melanie Lopez Lopez
*Bobby Briscoe /
Leszek Januszewski

Glück, Tod und Traum

Schreiber
*Bobby Briscoe /
Leszek Januszewski

Glück
*Hayley Macri /
Eunji Yang
*Huy Tien Tran /
Tomoaki Nakanome

Tod
*Tiana Lara Hogan /
Debora Buhatem
*Péter Matkaicsek /
Matt Williams

Traum
*Yoko Furihata /
Sandra Resende
*Brendon Feeney /
Shinsaku Hashiguchi

Sprecher
Thomas Weber-Schallauer

Duett

Duett
Melanie Lopez Lopez
Bobby Briscoe

Le sacre du printemps
Teil 1

Gruppe
Helena Balla
Debora Buhatem
Yoko Furihata
Tiana Lara Hogan
Melanie Lopez Lopez
Hayley Macri
Ana Rocha Nené
Sandra Resende
Eunji Yang
Bobby Briscoe
Brendon Feeney
Shinsaku Hashiguchi
Leszek Januszewski
Péter Matkaicsek
Tomoaki Nakanome
Huy Tien Tran
Matt Williams

Pianist
Michael Albert /
*Christopher Bruckman

Kommentator
Tillmann Schnieders
 

Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




Da capo al Fine

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