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Don Quichotte

Heroische Komödie in fünf Akten
Dichtung von Henri Cain nach Miguel de Cervantes
Musik von Jules Massenet

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)


Premiere im Theater Hagen am 26. April 2014

Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Altmodischer Tugendheld im Räderwerk von Industrie- und Spaßgesellschaft

Von Stefan Schmöe / Fotos von Klaus Lefebvre (© Theater Hagen)

Was zählt heute schon noch so etwas wie "Tugend"? Pflichtgefühl, Standhaftigkeit - das seien Sekundärtugenden, mit denen man auch ein KZ leiten könne, befand vor ziemlich langer Zeit ein gewisser Oskar Lafontaine mit Blick auf den seinerzeitigen Parteifreund und Noch-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Am Unzeitgemäßen seiner Tugendvorstellung ließ rund 400 Jahre zuvor Miguel de Cervantes den traurigen Ritter Don Quijote scheitern, der aber postwendend in seinem sprichwörtlich gewordenen Kampf gegen Windmühlenflügel eine der ganz großen Figuren der europäischen Kulturgeschichte wurde. Wenn jetzt binnen eines Jahres gleich drei Stadttheater in unmittelbarer Nachbarschaft, nämlich die in Wuppertal, Gelsenkirchen und jetzt Hagen, den aus der Zeit gefallenen Ritter in der Vertonung von Jules Massenet für sich und das Publikum entdecken, mag das ein Stück Zufall sein, und es mögen auch ähnliche theaterpraktische Überlegungen eine Rolle spielen - das schöne Stück lässt sich offensichtlich auch an kleingesparten Häusern noch wirkungsvoll realisieren. Aber vor allem Gregor Horres' Hagener Inszenierung zeigt, wie aktuell der Stoff in unserer modernen Spaßgesellschaft ist - ohne dass die je direkt ins Bild kommt.

Vergrößerung in neuem Fenster Da kampieren sie mit ihren Reittieren: Don Quichotte, Ritter von der langen Gestalt (links), und Diener Sancho Pansa mit Mechanikerqualitäten.

Das Bühnenbild von Jan Bammes ist ein mehrdeutiger, Assoziationen in viele Richtungen zulassender Raum: Zunächst denkt man an ein Varietétheater der Zeit um 1910, als Don Quichotte uraufgeführt wurde, mit einer dekadent aufgemotzten Gesellschaft mit Hang zur Travestie - die Unsicherheit, was wirklich ist und was nicht, das bleibt eine Leitidee der Regie. Mit seinen Zahnrädern ist der Raum aber auch Maschinenraum, vielleicht auch (Stunden-)Hotel oder Gefängnis. Don Quichotte reitet auf einem lebensgroßen, in der Form ziemlich naturalistischen Pferd aus Metallgestängen und Zahnrädern ein, das den Kopf heben und senken kann: Man muss schon ein ausgemachter Narr sein, um diese Maschine des Industriezeitalters für ein edles Ross zu halten, und doch ist es bei einem Minimum an Phantasie genau das. Sancho Pansas Esel hat einen verrosteten Einkaufswagen als Grundbaustein, was seinem konsumfreundlichen Besitzer natürlich gut ansteht. Für diese beiden Kunsttiere, die allein den Besuch der Aufführung lohnen, haben Ausstatter und Werkstätten höchstes Lob verdient.

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Varieté und Maschinenraum - und lauert im Hintergrund Fritz Langs Maschinenstadt Metropolis? In der Mitte Dulcinea mit Weiblichkeitskorsett, umgeben von der Spaßgesellschaft.

Vielleicht ist alles, was wir an diesem Abend sehen, nur Varieté; jedenfalls spielt die mit sorgsamer Personenregie gut nachvollziehbare, trotz mancher hübschen Pointe fast klassisch erzählte Geschichte stets im Kreis der zeitlich nicht fixierbaren Varieté-Gesellschaft (Kostüme: Yvonne Forster). Die Räuber, von denen Don Quichotte das gestohlene Collier seiner angebeteten Schönheit Dulcinea (in der Oper anders als im Roman eine allseits begehrte Salonschönheit) zurück erobern muss, das sind eben die Varieté-Besucher (oder sind es längst die eigentlichen Darsteller?), die ihr böses Spiel mit dem scheinbar trotteligen Ritter spielen. Wie groß die Nähe zum Varieté ist, das unterstreicht Chefdirigent Florian Ludwig am Pult des sehr guten und außerordentlich engagierten Hagener Philharmonischen Orchesters, der die Musik sehr plastisch, ja teilweise zupackend plakativ dirigiert, die delikate Instrumentierung ebenso hervor hebt wie die unterschiedlichen Stilebenen, mit denen Massenet spielt (für eine "heroische Komödie" aus alter Zeit verwendet er auch Anklänge an ältere Musikformen). Die Streicher sind ausgedünnt (was ein sehr farbiges, von den Bläsern dominiertes Klangbild ergibt) und spielen bewusst kernig zupackend - so tritt an Stelle eines samtig-einlullenden Schönklangs ein aufgerauhter, vom ersten Akkord fesselnder Orchestersound. Und die Regie, die sehr genau zuhört, reagiert darauf mit einer Vielzahl von faszinierenden Bildern: Das ist großes Hör- und Sehtheater, sehr genau zwischen Bühne und Orchestergraben abgestimmt.

Vergrößerung in neuem Fenster Chalie Chaplins Moderne Zeiten grüßen herüber, wenn der Mensch zum Teil der Industriemaschinerie wird - Don Quichottes Auflehnung dagegen ist fürwahr ein Kampf gegen Windmühlenflügel.

Was aber ist wirklich, wo beginnt der Irrsinn? Die Windmühlenflügel, gegen die der sympathische Ritter ankämpft, das sind die allgegenwärtigen Zahnräder und damit eine technisierte Welt, in der wir längst gefangen sind wie in der Welt des ununterbrochenen Amusements. Man muss ein Narr sein, dagegen anzukämpfen, und doch gibt es diesen kurzen Moment im dritten Akt, als Don Quichotte, längst besiegt, mit seinen altmodischen Idealen die Räuber aus der Fassung und zu einem kurzen Moment der Besinnung bringt. Die unerreichbare Dulcinea ist eine eigentlich moderne Frau, die sich wehrlos ein altmodisches Korsett wie ein Rollenbild anlegen lässt - und sich nicht für den unpassenden, aber doch so viel sympathischeren Don Quichotte entscheiden kann, obwohl sie um ihre austauschbare Rollenkonformität in der Spaßgesellschaft weiß.

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Am Ende bleibt nur die Phantasie, aber die sprengt den engen Raum: Ein letztes Mal bäumt sich Don Quichotte auf vor seinem Tod.

Im Untertitel der Oper ist Don Quichotte der Ritter von der langen Gestalt, und der riesige, schlaksige Orlando Mason ist optisch da sicher eine kaum zu übertreffende Idealbesetzung, zumal er sehr charmant in der richtigen Balance zwischen Komik und Tragik spielt. Die stimmlichen Mittel sind dagegen eher klein (immerhin sang kein Geringerer als Fjodor Schaljapin die Titelrolle in der Uraufführung), aber Mason gestaltet die Partie mit diesen in Volumen und heller Farbe begrenzten Mitteln klug und nuanciert, dank des sehr sängerfreundlichen Dirigats auch nie angestrengt. Das gilt, weniger ausgeprägt, auch für die Dulcinea von Kristine Larissa Funkhauser, die mit schlankem, beweglichem Sopran ein differenziertes Rollenportrait gibt. Rainer Zaun ist ein tadelloser Sancho Pansa, und auch er findet sehr schön die Mischung zwischen Buffo-Tönen, feiner Melancholie und dem notwendigen Pathos. Auch die kleineren Rollen sind ordentlich besetzt, der Chor (Einstudierung: Wolfgang Müller-Salow) bewältigt seinen Part sehr zuverlässig.


FAZIT

Mit einer engagierten Ensembleleistung und einer klugen, vielschichtigen und immer wider auch poetisch schönen Regie gelingt dem Theater Hagen eine in vielen Momenten berührende Aufführung.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Florian Ludwig

Inszenierung
Gregor Horres

Bühne
Jan Bammes

Kostüme
Yvonne Forster

Licht
Ulrich Schneider

Choreinstudierung
Wolfgang Müller-Salow

Dramaturgie
Dorothee Hannappel


Statisterie des Theater Hagen

Chor des Theater Hagen

Philharmonisches
Orchester Hagen


Solisten

Don Quichotte
Orlando Mason

Sancho Pansa
Rainer Zaun

Dulcinea
Kristine Larissa Funkhauser

Pedro
Maria Klier

Gracias
Veronika Haller

Rodriguez
Kejia Xiong

Juan
Richard van Gemert

Tenebrun, Anführer der Banditen
Marilyn Bennett

Vier Banditen
Anja Frank-Engelhaupt
Verena Grammel
Sophia Leimbach
Christine Léa Meier

Diener
Dirk Achille
Wolfgang Niggel


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




Da capo al Fine

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