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Musiktheater
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Arminio

Oper in drei Akten (HWV 36)
Libretto nach Antonio Salvi
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 5' (eine Pause)

Premiere in der Oper Halle am 6. Juni 2014
im Rahmen der Händel-Festspiele Halle (Saale) 
(rezensierte Aufführung: 08.06.2014)

 

 



Opernhaus Halle
(Homepage)

Deutsche Geschichtsstunde als Theaterkrise

Von Thomas Molke / Fotos von Mikesh Kaos (© Theater, Oper und Orchester GmbH Halle)

Händels Spätwerk Arminio gehört zu den absoluten Opernraritäten im Schaffen des Hallenser Komponisten. Dass dem Stück auch zu Händels Lebzeiten kein großer Erfolg beschert war, dürfte wohl eher den damaligen Umständen als der Musik oder Handlung geschuldet sein. Die nachlassende Popularität der italienischen Opera seria beim Londoner Publikum war selbst mit einem heroisch-historischen Stoff nicht mehr zu stoppen, der zu den am häufigsten weiterverarbeiteten Opernlibretti des Barock zählte und den zahlreiche Komponisten wie Antonio Caldara, Johann Adolf Hasse und Alessandro Scarlatti bereits vertont hatten. Der Musik bescheinigen Händels Zeitzeugen sogar eine hohe Qualität, da sie mit zahlreichen Neuerungen wie den radikalen Kürzungen in den Rezitativen und der Loslösung von den traditionellen Da-capo-Arien zugunsten kurzweiliger Ariosi und Duette dem sich wandelnden Geschmack des Londoner Publikums Rechnung zu tragen versuchte. Dass dieses Werk anlässlich des 250. Geburtstags von Händel 1935 in einer neugestalteten deutschen Fassung unter dem Titel Armin und Thusnelda im Leipzig eine Wiederbelebung erfuhr und sogar drei Jahre später in Meyers Opernbuch als eine von vier Opern Händels neben Julius Cäsar, Rodelinde, Xerxes näher beschrieben wurde, dürfte wohl auf den gerade im Sinne "germanischen Großmachtdenkens" zum Mythos stilisierten Helden Arminius zurückzuführen sein, der Varus und den Römern bei der Schlacht im Teutoburger Wald eine Niederlage zufügte, die die Unabhängigkeit der Germanen vom Imperium Romanum auf Dauer sichern sollte.

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Tusnelda (Melanie Hirsch) und Arminio (Hagen Matzeit)

Dabei behandelt die Oper die historisch belegte siegreiche Schlacht von Arminius' Truppen nur am Rande. Dass Varus (Varo) im Kampf fällt und das römische Heer vernichtend geschlagen worden ist, wird gewissermaßen nur in einem Nebensatz am Ende der Oper vor dem lieto fine erwähnt. Vielmehr konzentriert sich das Werk auf den innergermanischen Konflikt zwischen Arminio (Arminius), dem Anführer der Chauken und Cherusker, und seinem Schwiegervater Segeste, dem Fürsten der Chatten, der mit den Römern verbündet ist und ihnen den gefangenen Arminio ausliefert. Dies bringt seinen Sohn Sigismondo in eine nahezu ausweglose Situation, da er einerseits Arminios Schwester Ramise liebt und sich damit verpflichtet fühlt, seiner Geliebten bei der Befreiung ihres Bruders zu helfen, andererseits aber auch glaubt, seinen Vater unterstützen zu müssen. Hinzu kommt, dass Varo auch noch in Arminios Gattin Tusnelda verliebt ist, die natürlich als Beweis seiner Liebe verlangt, ihren Ehemann freizulassen. Arminio wiederum ist fest entschlossen, als Vorbild für Mut und Würde hingerichtet zu werden. Varo hingegen verlangt, dass Arminio als Krieger im Kampf für die eigene Freiheit stirbt. Als ein weiterer nicht näher erwähnter germanischer Heerführer die römischen Truppe angreift und Varo in die Schlacht zieht, befreit Sigismondo auf Drängen von Ramise und seiner Schwester Tusnelda Arminio, so dass dieser Varo und seinen Truppen die legendäre Niederlage im Teutoburger Wald zufügen kann. Seinem Schwiegervater Segeste vergibt Arminio großmütig.

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Tullio (Ki-Hyun Park) rät Varo (Robert Sellier), Arminio zu töten.

Während Benjamin Lazar in seiner Inszenierung von Riccardo Primo bei den Händel-Festspielen in Karlsruhe auf barocke Aufführungspraxis mit Kerzenschein und barocke Gestik setzte (siehe auch unsere Rezension) und Paul Curran bei den Internationalen Händel-Festspielen in Göttingen Faramondo überzeugend in die Jetztzeit verlegte und in einem Casino spielen ließ (siehe auch unsere Rezension), wird bei Nigel Lowery leider nicht ganz klar, wo er mit seiner Inszenierung eigentlich hin will. Zu Beginn der Oper sieht man das Brandenburger Tor vor einer auf einem Bühnenprospekt aufgemalten Mauer, die bis in den Schnürboden hinaufreicht. Soll das eine zeitliche Verlegung ins geteilte Deutschland darstellen? Dagegen sprechen die Kostüme, für die Lowery ebenfalls verantwortlich zeichnet. Während die germanischen und römischen Soldaten in Kostümen auftreten, die aus einem Theatermuseum für historische Aufführungen entnommen sein könnten, erinnert Tusnelda mit ihrem Brustpanzer und dem geflügelten Helm eher an eine Walküre. Doch auch der historisierende Ansatz bei den Kostümen wird nicht durchgehalten. Varos Hauptmann Tullio tritt als Kardinal auf, Sigismondo erinnert an Robin Hood, Ramise scheint der Commedia dell'arte zu entstammen und Sigismondo entzieht sich in seinem schwarzen Kostüm jedweder Deutung. Erst wenn die Mauer fällt und in den Schnürboden entschwindet, löst sich das Rätsel. Wir befinden uns im Theater. Die einzelnen Figuren sind Schauspieler auf der Bühne, die Statisten Bühnenarbeiter, die ständig Requisiten und Bühnenbilder von links nach rechts bewegen.

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Sigismondo (Jeffrey Kim) zwischen seiner Schwester Tusnelda (Melanie Hirsch, links) und seiner Geliebten Ramise (Julia Böhme, rechts)

Doch was hat das mit der Geschichte um die Varus-Schlacht zu tun? Soll hier der Konflikt zwischen Römern und Germanen auf den Kampf um die Vormachtstellung in der Kultur übertragen werden? Wenn sich der Mauerprospekt hebt, öffnet sich der Blick auf den Zuschauerraum eines Theaters, das mit den zahlreichen Logen an die traditionellen Häuser in Italien erinnert. Unter den Namen der über der Logen verewigten Komponisten sucht man allerdings die italienischen Vertreter vergeblich. Man findet nur Telemann, Gluck, Humperdinck, Händel, Hasse, Mozart und Co. Während das Brandenburger Tor als Wahrzeichen Deutschlands beim Sieg der Römer zu Beginn der Oper in seine Einzelteile zerlegt wird, wird es am Ende, wenn die Germanen mit Arminio den Sieg über Varo und seine Truppen davontragen, im Zuschauerraum wieder aufgebaut. Die deutsche Kunst hat also über die italienische triumphiert. Vielleicht muss auch gerade deshalb Sigismondo wie Siegmund in der Walküre das Schwert aus der Esche Stamm ziehen, wenn er sich entscheidet, den Germanen Arminio gegen seinen Vater und die Römer zu schützen. Vielleicht schmiedet deshalb Arminio wie der germanische Held Siegfried des Schwertes Stücke neu. Aber ist es wirklich ein Sieg irgendeiner Kultur? Lowery führt einen stummen Beobachter in einem grauen Anzug ein, der immer wieder aus dem Zuschauerraum auftaucht, die Sänger ins Stocken bringt, im Zuschauerraum auf der Bühne sitzt und das Geschehen beobachtet. Ist dies ein Politiker oder Manager der die Wirtschaftlichkeit des Theaters untersucht?

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Arminio (Hagen Matzeit) schmiedet ein Schwert (im Hintergrund der Schlussmonolog von Hans Sachs aus den Meistersingern)

Nach der Pause flimmert eine Präsentation über eine Leinwand, die dem großen Verlustgeschäft des Theaters profitablere Projekte gegenüberstellt. Wo ein Theater steht und immense Kosten verursacht, scheint es wesentlich rentabler, das Gebäude abzureißen und durch ein Einkaufszentrum mit Kinocenter zu ersetzen, zumal sich die Bilanz des Kinos wesentlich besser als die des Theaters liest. Während dieser Präsentation sitzen die Figuren alle im Zuschauerraum auf der Bühne, und plötzlich heißt es im Kampf nicht mehr Germanen gegen Römer, sondern Kultur gegen Kommerz, wenn die Figuren des Stückes den Beobachter im grauen Anzug gewaltsam aus dem Theater vertreiben. Da stirbt auch Varo nicht wirklich, sondern mischt sich am Ende wieder quicklebendig unter die anderen Protagonisten. Doch der schleichende Tod der Kultur scheint nicht aufzuhalten zu sein. Am Ende überreicht die Souffleuse Arminio ein Schriftstück, das alle fassungslos lesen. Soll das die Kündigung der Verträge oder womöglich die Schließung des Theaters sein? Auch wenn diese Lesart mit Blick auf die Ereignisse im vergangenen Jahr mit den wegen der Flutkatastrophe ausgefallenen Händel-Festspielen äußerst aktuell anmutet, scheint das Publikum Lowery nicht folgen zu wollen oder zu können und straft das Regie-Team mit lautstarken Unmutsbekundungen ab.

Die musikalische Umsetzung hingegen lässt keine Wünsche offen und versöhnt mit der verstörenden Regie. Hagen Matzeit stattet die Titelpartie mit einem dunkel timbrierten Countertenor mit Registerwechsel ins Baritonfach aus und präsentiert sich in den Koloraturen absolut beweglich. Julia Böhme gefällt als seine Schwester Ramise mit einem warmen Mezzo und überzeugenden Tanzeinlagen. Ki-Hyun Park lässt als Tullio mit markantem Bass aufhorchen. Die Stars des Abends sind zweifelsohne Melanie Hirsch und Jeffrey Kim. Kim, der bereits vor zwei Jahren in Halle in der Partie des Oberto in Alcina aufhorchen ließ, stellt unter Beweis, dass sein Countertenor noch an Strahlkraft gewonnen hat. Seine Arie "Quella fiamma" am Ende des zweiten Aktes, in der er seinen inneren Konflikt zwischen Treue gegenüber dem Vater und Liebe zu Arminios Schwester Ramise zum Ausdruck bringt, avanciert zu einem Höhepunkt des Abends. Wie er mit seinem glockenklaren Gesang in einen bewegenden Dialog mit der Oboe tritt, geht regelrecht unter die Haut. Auch in seiner Arie "Posso morir" am Ende des ersten Aktes, wenn Segeste ihm Untreue vorgeworfen hat, präsentiert Kim mit atemberaubenden Höhen seinen inneren Konflikt. Hirsch steht ihm als Tusnelda mit ihrem leuchtenden Sopran in nichts nach. Dabei variiert sie hervorragend zwischen rasender Furie und leidender Frau. Das Händelfestspielorchester präsentiert sich unter der souveränen Leitung von Bernhard Forck auf Festspielniveau, so dass zumindest die musikalische Gestaltung des Abends mit frenetischem Applaus bedacht wird.

FAZIT

Im Vergleich mit den Opernaufführungen der anderen beiden Händel-Festspiele in Deutschland ist Arminio szenisch sicherlich die schwächste Produktion in diesem Jahr. Musikalisch sollte man sich allerdings auch diese Aufführung nicht entgehen lassen, zumal das Werk sehr selten auf der Bühne zu erleben ist.

Weitere Rezensionen zu den Händel-Festspielen 2014 in Halle


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Bernhard Forck

Inszenierung, Bühne und Kostüme
Nigel Lowery

Licht
Matthias Hönig

Videoprojektion
Anke Tornow

Dramaturgie
Susanne Holfter

 

Statisterie der Oper Halle

Händelfestspielorchester Halle


Solisten

Arminio, Fürst der Chauken und Cherusker
Hagen Matzeit

Tusnelda, Arminios Ehefrau und
Tochter von Segeste

Melanie Hirsch

Segeste, Fürst der Chatten und
Varos Verbündeter

Tomasz Raff

Varo, General der römischen Armee
Robert Sellier

Sigismondo, Segestes Sohn und
Ramises Liebhaber

Jeffrey Kim

Ramise, Arminios Schwester
Julia Böhme

Tullio, Varos Hauptmann
Ki-Hyun Park

Ein Beobachter
Bernd G. Albrecht

 


Weitere
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