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Musiktheater
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Almira

Oper in drei Akten HWV 1
Text von
Friedrich Christian Feustking nach Giulio Pancieri
Musik von
Georg Friedrich Händel

in deutscher und italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Koproduktion mit den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik

Premiere im Großen Haus am 25. Mai 2014
(rezensierte Aufführung: 19.06.2014)

 

Logo: Staatsoper Hamburg

Hamburgische Staatsoper
(Homepage)

Im Korsett der Macht

Von Thomas Molke / Fotos von
Ben van Duin und Jörn Kipping

Von den insgesamt vier Opern die Georg Friedrich Händel zu Beginn seiner Karriere für die Gänsemarktoper komponierte, ist nur sein Erstlingswerk Almira erhalten, und auch das nur dank einer Abschrift für eine von Telemann dirigierte Wiederaufnahme im Jahr 1732. Die Oper erfreute sich nämlich nicht nur bei der Uraufführung so großer Beliebtheit, dass die Einnahmen in der Gänsemarktoper in den insgesamt 20 Aufführungen um 80 % gesteigert werden konnten, sondern auch Telemann war von diesem Werk so begeistert, dass er das Stück wieder auf den Spielplan setzte. Dabei war Händel eher zufällig an diesen Kompositionsauftrag gekommen. Eigentlich sollte Reinhard Keiser, der zur damaligen Zeit berühmteste deutsche Opernkomponist, das Libretto, das auf eine italienische Vorlage von Giulio Pancieri für eine Oper von Giuseppe Boniventi zurückging, vertonen. Wegen zeitlicher Engpässe musste er diesen Auftrag allerdings abgeben, und so schuf Händel im zarten Alter von 19 Jahren ein Werk, das sich stilistisch noch deutlich von seinen späteren für London komponierten Opern unterscheidet. Als Koproduktion mit den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik widmet man sich in Hamburg erstmals seit über 100 Jahren wieder diesem Werk gewissermaßen am Ort seiner Entstehung und hat mit Alessandro De Marchi nicht nur einen ausgesprochenen Fachmann für historische Aufführungspraxis, sondern auch den Künstlerischen Leiter der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik am Pult.

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Almira (Robin Johannsen, vorne Mitte) liest als neu gekrönte Königin das Testament ihres Vaters (von links nach rechts: Bellante (Rebecca Jo Loeb), Raymondo (Florian Spiess), Consalvo (Wolf Matthias Friedrich), Osman (Manuel Günther), Edilia (Mélissa Petit) und Fernando (Viktor Rud)). (Foto von Jörn Kipping)

Die Handlung weist die typischen Verwicklungen einer Barockoper auf. Almira wird nach dem Tod ihres Vaters zur Königin von Kastilien gekrönt und soll gemäß Testament des verstorbenen Königs einen Sohn ihres ehemaligen Vormunds Consalvo heiraten. Doch Almira liebt Fernando, ihren Sekretär, der natürlich für eine Hochzeit nicht standesgemäß ist. Consalvos Sohn Osman hingegen ist eigentlich mit Edilia verlobt, die er allerdings mit Ausblick auf den Thron sofort eiskalt abserviert. Edilia flirtet daraufhin mit Fernando, was nicht nur Osman eifersüchtig macht, sondern auch Almira an der Treue ihres Geliebten zweifeln lässt. Hinzu kommen noch der maurische Prinz Raymondo, der Almira ebenfalls den Hof macht, und Bellante, die heimlich in Osman verliebt ist. Um Fernando bei der Königin in Ungnade fallen zu lassen, beschuldigen ihn Consalvo und Osman, ein Verhältnis mit Edilia zu haben, woraufhin Fernando von der Königin in den Kerker geworfen wird und zum Tode verurteilt werden soll. Dank eines Rubinherzes mit der Aufschrift "Almirens Eigentum" begreift Almira allerdings nicht nur, dass Fernandos Liebe ihr allein gehört, sondern auch Consalvo erkennt an diesem Schmuckstück seinen verschollenen Sohn Floraldo wieder, den er für tot hielt, weil er damals mit seiner Mutter bei einem Schiffsunglück untergegangen ist. So kann Almira mit einer Hochzeit mit Fernando die Auflage des Testaments erfüllen. Raymondo gewinnt Edilias Herz, und für Osman bleibt Bellante übrig.

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Zeitensprung zum Beginn des 20. Jahrhunderts: von links: Raymondo (Florian Spiess), Osman (Manuel Günther, von hinten), Almira (Robin Johannsen), Edilia (Mélissa Petit, von hinten) und Consalvo (Wolf Matthias Friedrich), unter dem Tisch: Tabarco (Sara-Maria Saalmann, rechts) mit den Tabarchi (Emilia Hartmann und Charlotte Salje)) (Foto von Jörn Kipping)

Das Regieteam um Jetske Mijnssen interessiert sich weniger für die teilweise recht unglaubwürdigen Verwicklungen und die drei glücklichen Paare am Ende der Oper als für die Zwänge, denen eine Frau in einer Machtposition ausgesetzt ist und die wie ein Korsett ihren Handlungsspielraum einengen. Da sich dies über die Jahrhunderte nicht verändert habe, stattet Ben Baur die Figuren im Verlauf des Stückes mit Kostümen aus unterschiedlichen Epochen aus, die die Zeitlosigkeit dieses Ansatzes unterstreichen sollen. Den Anfang macht dabei die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Wie Marie Antoinette im gleichnamigen Film von Sofia Coppola aus dem Jahr 2006 wird Almira zu Beginn der Oper nach ihrer Krönung in ein opulentes Kostüm gezwängt. Im weiteren Verlauf wechselt man in die Zeit um 1910, wo die Frauen in dunklen hochgeschlossenen schwarzen Kleidern auftreten, die in ihrer Eleganz ein wenig an die britische Fernsehserie Downton Abbey erinnern. Wenn Almira von Fernando enttäuscht ist und den Männern entsagen will, gibt es einen Sprung in die Renaissance zu Elisabeth I., die sich für den Erhalt ihrer Macht bewusst gegen eine Vermählung entschieden hatte, bis man am Ende in der heutigen Zeit ankommt, die, so Mijnssen, noch die gleichen zwanghaften Strukturen aufweist und dem Individuum kaum Handlungsspielraum lässt. Die aufwändigen Kostüme bieten dem Zuschauer zwar optisch ein großes Spektakel, sind mit dem Handlungsablauf allerdings nicht immer in Einklang zu bringen und teilweise auch kontraproduktiv. Zum einen verändern sich die Figuren dadurch optisch so sehr, dass man sie bei ihrem Auftreten nicht immer sofort wiedererkennt. Zum anderen steht der gesungene Text besonders im Teil vor der Pause dadurch häufig im Gegensatz zur Szene. Raymondo beispielsweise ist bei den ganzen "Umkleideaktionen der Königin" bereits auf der Bühne, obwohl er in der Szene eigentlich noch gar nicht vorkommt. Auch wird nicht klar, wieso Edilia eine treibende Kraft in diesem Spiel ist, da sie doch eigentlich das geringste Interesse an einer standesgemäßen Hochzeit Almiras mit Osman haben dürfte.

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Almira (Robin Johannsen) im Kampf mit ihrem Renaissance-Kostüm (im Hintergrund links: Fernando (Viktor Rud), rechts: Tabarco (Sara-Maria Saalmann)) (Foto von Ben van Duin)

Eine weitere Umdeutung erfährt die Figur des Tabarco, der als volkstümliche Buffo-Partie im damaligen Personal der Gänsemarktoper fest verankert war, mit komischen Kommentaren außerhalb des Geschehens stand und dem Publikum mit derben Witzen den Spiegel vorhielt. Mijnssen ersetzt diesen Bariton durch eine junge Sängerin, der sie dann noch zwei Mädchen als stumme Rollen an die Seite stellt. Gemeinsam nehmen diese drei "Tabarchi" die Funktion Amors, Justitias und des Todes ein. Zunächst treten sie mit weißen Kleidern und Engelsflügeln als Liebesgötter auf, die die Liebeswirrungen unter den Protagonisten noch weiter entfachen. Wenn Almira später als Elisabeth durch einen von Männern dominierten Saal wandelt, in dem sie augenscheinlich nichts zu sagen hat, obwohl sie doch die Herrscherin ist, lassen die drei in schwarzen Umhängen einen Mann nach dem anderen leblos zusammensacken. Als Justitia erscheinen sie mit einer schwarzen Augenbinde und einer Waage auf, bevor sie am Ende Consalvo den Text soufflieren, mit dem er Fernando als seinen verschollenen Sohn Floraldo identifiziert. Einen besseren Zugang zum Werk erhält man durch diesen Regieeinfall nicht. Auch sind die wenigen Gesangspassagen für Tabarco, die in der Inszenierung nicht gestrichen werden konnten, für einen hohen Sopran nicht gerade geeignet. Sara-Maria Saalmann wäre textlich ohne Übertitel dabei kaum zu verstehen.

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Almira (Robin Johannsen, Mitte) mit den Tabarchi (Sara-Maria Saalmann, Emilia Hartmann und Charlotte Salje) als Justitia (Foto von Jörn Kipping)

Musikalisch wird ein Motiv ausgeweitet, das in der Oper eigentlich nur als Sarabande auftaucht und später von Händel zunächst zu der Arie "Lascia la spina" für sein Oratorium Il trionfo del Tempo e del Disinganno erweitert wurde, bis es unter dem Titel "Lascia ch'io pianga" in seiner Londoner Oper Rinaldo Weltruhm erlangte. De Marchi und Mijnssen fügen diese berühmte Arie aus Rinaldo am Ende des ersten Teils vor der Pause ein, bevor Almira in das Elisabeth-Kostüm schlüpft, um die Isolation und Einsamkeit der Herrscherin zu manifestieren. Auch dem glücklichen Ende misstrauen Mijnssen und De Marchi und lassen nach dem Jubelchor zum Schluss noch einmal die Sarabande erklingen, wobei die Protagonisten allein zurückbleiben und nach den erlebten Enttäuschungen nun zu sich selbst finden müssen. Am Pult der Philharmoniker Hamburg präsentiert sich De Marchi als Spezialist für Barockmusik und erweckt Händels Partitur mit absoluter Frische zu neuem Leben. Bei den Solisten überzeugen vor allem die Sängerinnen. Robin Johannsen glänzt in der Titelpartie mit exorbitanten Höhen und glockenklaren Koloraturen. Höhepunkte sind ihre Arie "Sanerà la piaga un di" im zweiten Akt, in der sie, nur von zwei Theorben auf der Bühne begleitet, ihre Liebe zu Fernando zum Ausdruck bringt, und natürlich "Lascia ch'io pianga", das von Johannsen mit tiefer Melancholie präsentiert wird. Auch Mélissa Petit begeistert als Edilia mit einem leuchtenden Sopran, der in den Koloraturen über enorme Beweglichkeit verfügt. Rebecca Jo Loeb stattet die Dienerin Bellante mit einem warmen und weichen Mezzo aus.

Viktor Rud präsentiert den Fernando zwar mit kräftigem Bariton, dem allerdings in den Koloraturen die Beweglichkeit fehlt. In den Höhen ist er stimmlich gezwungen, ein wenig zu forcieren. Manuel Günther überzeugt in der Partie des Osman auch nur bedingt, da sein Tenor mit den schnellen Läufen etwas überfordert ist. Die Höhen wirken bei ihm bisweilen arg bemüht. Wolf Matthias Friedrich gefällt als Consalvo mit reifem Bass, der bei den schnellen Koloraturen allerdings ebenfalls an seine Grenzen stößt. Leider nimmt ihm die Personenregie die Möglichkeit, die Figur so komisch zu gestalten, wie er sie sicherlich von seinem darstellerischen Potential hätte anlegen können. Florian Spiess bleibt als Raymondo stimmlich und darstellerisch recht blass, so dass das sängerische Niveau insgesamt hinter der musikalischen Leistung der Philharmoniker Hamburg unter der Leitung von Alessandro De Marchi zurückbleibt.

FAZIT

Auch wenn Händels Erstlingswerk musikalisch seine Meriten hat und verdient, häufiger aufgeführt zu werden, gelingt Jetske Mijnssen trotz opulenter Kostüme szenisch kein Ansatz, der dramaturgisch überzeugt.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alessandro De Marchi

Inszenierung
Jetske Mijnssen

Bühnenbild und Kostüme
Ben Baur

Licht
Mark van Denesse

Dramaturgie
Kerstin Schüssler-Bach

 

Philharmoniker Hamburg

Komparserie der
Staatsoper Hamburg

 

Solisten

Almira
Robin Johannsen

Edilia
Mélissa Petit

Bellante
Rebecca Jo Loeb

Fernando
Viktor Rud

Osman
Manuel Günther

Consalvo
Wolf Matthias Friedrich

Raymondo
Florian Spiess

Tabarco
Sara-Maria Saalmann

Tabarchi
Emilia Hartmann
Charlotte Salje


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Hamburgischen Staatsoper
(Homepage)





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