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Episoden vom falschen LebenVon Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire
Und wär's mein Untergang - ach was, die Musik weiß nichts von Untergang, schwingt sich im Gegenteil jubelnd auf, und der jungen Sängerin auf der Bühne nimmt man diesen Moment des unbedingten, unvernünftigen, hoffnungslosen Verliebtseins sofort ab. Wie Oleysa Golovneva die Tantjana singt und spielt, ein blutjunges, gar nicht einmal hübsches Mädchen mit strähnigem Haar, in Bücherwelten lebend, und dem erstbesten Angeber in die Arme sinkend, wenigstens in Gedanken, vordergründig einen Liebesbrief schreibt und sich in diesem Moment der eigenen Sexualität bewusst wird, und wie genau und mit vielen Zwischentönen Dietrich Hilsdorf das inszeniert, das ist großes Theater. Es passt alles zusammen, weil die Darsteller (auch in den anderen Partien) klug ausgewählt sind, szenisch wie musikalisch, weil ein Regisseur etwas mit dem Ensemble anfangen kann, und natürlich auch, weil an diesem Abend große Musik geboten wird. Finden nicht zueinander: Tatjana (Olesya Golovneva) und Eugen Onegin (Andrei Bondarenko)
Allen voran die genannte Oleysa Golovneva: Mit unverbrauchter, soll heißen: leicht ansprechender, beweglicher, in den entscheidenden Momenten strahlend auftrumpfender Stimme, mit sehr natürlicher Deklamation, mit einem weniger auf runden Klang als auf Natürlichkeit bedachter Interpretation, im Piano vielleicht mit noch zu wenig Substanz, ist sie eine fast perfekte Tatjana, als naives junges Mädchen im ersten Akt ebenso glaubwürdig wie als verheiratete, selbstbewusste Frau im dritten. Andrei Bondarenko als schnöseliger, stimmlich kerniger Onegin kann da nicht ganz mithalten, dazu fehlen seiner Stimme ein paar warme Farben, und auch der bravourös gesungene, etwas eng klingende Lenskij von Matthias Klink nicht; und doch sind beide mehr als akzeptable Besetzungen. Das ist auch die attraktive Adriana Bastidas Gamboa als Tatjanas Schwester Olga, im roten Kleid Blickfang in der schwarzweiß gezeichneten Gesellschaft und mit apart eingedunkeltem Mezzo, der leider durch recht eintöniges Vibrato und ziemlich mechanische Phrasierung nicht recht zur Geltung kommt. Tatjana (Olesya Golovneva) flüchtet
Der Vorwurf gegen den Eugen Onegin lautet seit je, keine geschlossene Oper zu sein, zu oft wechselt Tschaikowskij die Perspektive (und hat das Werk eben nicht mit Oper, sondern mit lyrische Szenen bezeichnet). Die Regie aber macht genau daraus eine Tugend. Hilsdorf erzählt nicht eine, sondern viele Geschichten von Lebensentwürfen, die an der Realität scheitern, weil der eifersüchtige Dichter Lenskij doch viel besser zur melancholischen Tatjana, die verführerische Olga besser zum blasierten Onegin passen würden, weil sie alle an den gesellschaftlichen Zwängen leiden und diese doch hinnehmen wie Onegin, der widerwillig und wie nebenbei seinen Freund Lenskij im von niemandem gewollten Duell erschießt. In der Souveränität, mit der Hilsdorf die Handlungsstränge verknüpft, sogar um kleine Episoden erweitert Dalia Schaechter als Mutter Larina und Anna Maria Dur als Kinderfrau Filipjewna machen aus ihren Partien kleine (nein: große) Dramen für sich ist das wohl die zwingendste Operninszenierung des viel beschäftigten Regisseurs seit langem. Mentale Vorbereitung auf ein Duell, das er zwar fordert, aber eigentlich gar nicht will: Lenskij (Matthias Klink, vorne) mit Sekundant Saretzkij (Luke Stoker, hinten)
Dabei sind die Mittel durchaus konventionell. Dieter Richter hat einen der für dieses Regieteam so typischen bürgerlichen Säle gebaut, der die Atmosphäre der russischen Provinz nicht völlig ausblendet, mit Jugendstil-Ornamenten auf der Tapete und 50er-Jahre-Lampen aber sanft irritierende Akzente setzt; ein Saal der durch verschiebbare Wände von privater Zurückgezogenheit zum öffentlichen Ball- und noch viel mehr Wartesaal erweitert werden kann und in dem die Figuren gleichzeitig historisch und doch ungeheuer aktuell erscheinen. Fürst Gremin, Tatjanas Ehegatte, ist ein würdiger alter Herr wie aus dem Opernbilderbuch (Robert Holl verfügt über eine wunderbar sonore Tiefe, die Höhen flattern allerdings inzwischen bedenklich). Das alles könnte in hübsch dekorierter Langeweile aufgehen, wäre es nicht so präzise und mit viel Liebe zum anekdotischen, aber fast nie überflüssigen Detail inszeniert. Am bitteren Ende steht Gremin (Robert Holl) zwischen Tatjana (Olesya Golovneva) und Onegin (Andrei Bondarenko)
Musikalisch wird das vom Gürzenich Orchester, an diesem Abend in Hochform, ausgesprochen delikat begleitet. Dirigent Marc Piollet nimmt die Musik in den lyrischen Passagen luftig-leicht, sehr weich und durchsichtig, lässt es aber in den Ballszenen zupackend (aber nicht lärmig) wirbeln. Sehr flexibel folgt er der Sprachmelodie und dem szenischen Geschehen da passt an diesem Abend so ziemlich alles zueinander, auch der von Andrew Ollivant bestens einstudierte, klangvolle und präzise Opernchor.
Toller Saisonauftakt in Köln mit einer sehr eindringlichen Inszenierung auf hohem musikalischen Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Choreographie
Dramaturgie
Solisten
Larina
Tatjana
Olga
Filipjewna
Eugen Onegin
Lenskij
Fürst Gremin
Triquet
Ein Hauptmann
Saretzkij
Guillot
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