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Ein Dichter leidet an der WeltVon Stefan Schmöe / Fotos von Bernd Uhlig
"Den 20. ging Lenz durch's Gebirg." Der Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 1792) reiste auf Veranlassung seines Freundes Christoph Kaufmann, Schweizer Reformpädagoge, Arzt und Literat, in das elsässische Steintal und hielt sich dort bei dem mit Kaufmann bekannten Pfarrer Johann Friedrich Oberlin auf. Anlass war eine paranoide Schizophrenie des Dichters (dessen Schauspiel Die Soldaten die Vorlage zu Bernd Alois Zimmermanns gleichnamiger Oper lieferte), die er in der Obhut des Geistlichern, der sich auch als Sozialreformer einen Ruf verschaffte, auskurieren sollte. Lenz' Zustand verschlechterte sich während des zwanzigtägigen Aufenthalts, ein Selbstmordversuch scheiterte. Oberlin hat einen ausführlichen Bericht verfasst, der wiederum Grundlage für die Novelle Lenz von Georg Büchner bildete auf der dann Michael Fröhlings Libretto zu Wolfgang Rihms 177-78 entstandene Oper Jakob Lenz basiert. Bedenkt man noch, dass Lenz zeitweise eng mit Goethe befreundet war und sich in die von Goethe verlassene Sessenheimer Pfarrerstochter Friederike Brion verliebte, muss man konstatieren: Da ballt sich ziemlich viel deutsche Geistes- und Literaturgeschichte. So intensiv wie hier wird der Kirchenraum nicht durchgängig genutzt: Lenz (Miljenko Turk) auf dem Altar
Als reale Charaktere treten in der Oper neben Lenz noch Oberlin und Kaufmann auf, hinzu kommen sechs Stimmen und zwei Knaben als Visionen des geisteskranken Dichters. Im begleitenden Kammerorchester sind die Streicher auf drei Celli reduziert, ergänzt um Bläser, Schlagwerk und Cembalo. Nicht zuletzt der überschaubaren Besetzung wegen war Jakob Lenz nach der Uraufführung in Hamburg 1979 recht erfolgreich. Die expressive Tonsprache greift die Zeit der Handlung nicht nur durch die oft vom Wechselspiel von Cembalo und Holzbläsern bestimmten Klangfarben auf, sondern auch durch Rückbezüge auf Satztechniken und Formen der Zeit und nicht zuletzt auf Anklänge an Kirchenmusik, womit immer wieder das protestantische Milieu umrissen wird. Insofern ist die Kölner Trinitatiskirche nahe dem Heumarkt als Ausweichquartier für das wegen Sanierung geschlossene Opernhaus ein nicht unpassender Raum für diese Produktion. Auf dem Gummifelsen: Lenz (Miljenko Turk) und Oberlin (Wolf Matthias Friedrich)
Als Spielfläche dient ein Laufsteg durch das Kirchenschiff, an beiden Enden zu einer Bühne erweitert. Das ist sinnfällig im Chorraum, wo auch die Kanzel einbezogen wird (von der aus Lenz in einer Szene redigt), weniger überzeugend vor der rückwärtigen Orgelempore, wo Ausstatterin Nele Ellegiers aus Gummi einen erdartigen Hügel aufgeschichtet hat (davon gibt es noch zwei weitere), in den ein kleines Wasserbecken eingelassen ist schließlich stürzt sich Lenz gleich zu Beginn in einen kalten Brunnen. Das ist ein wenig bieder geraten, wie auch die Kostüme: Lenz und Kaufmann zeitlos bis heutig, Oberlin als Pfarrer wie aus dem realen Kirchenleben, die "Stimmen" und Kinder in historisch anmutenden Trachten als ziemlich handfeste Dorfbewohner, leicht verfremdet geschminkt. Regisseurin Béatrice Lachaussee bemüht einen Bühnenrealismus wie aus der guten alten Bauernzeit, der mitunter allzu beschaulich wirkt und mangels Bühnentechnik natürlich immer wieder an seine Grenzen stößt. Da ist der Raum, in seiner Eigenheit kaum genutzt, doch eher Notlösung als Chance. Etwas genervt von Lenz' absonderlichem Benehmen: Kaufmann (John Heuzenroeder, links). Oberlin (Wolf Matthias Friedrich, Mitte) kümmert sich da schon fürsorglicher um den geisteskranken Dichter.
Dass die Aufführung zumindest in Teilen unter die Haut geht, liegt an den guten Sängerdarstellern. Miljenko Turk leidet in der Titelrolle vielleicht etwas konventionell, aber doch sehr eindrucksvoll an der Welt, mit großem und schlagkräftigem, schön timbrierten, inzwischen leicht metallischem Bariton. Wolf Matthias Friedrich ist ein nicht ganz klischeefrei väterlicher Pastor Oberlin mit sattem Bass, auch er mit großer Stimme, und John Heuzenröder ein szenisch etwas eindimensional ungeduldiger und verärgerter Freund Kaufmann mit präsentem Tenor. Doch obwohl oder gerade weil die leicht hallige Akustik der Trinitatiskirche ziemlich dankbar ist und die Stimmen hervorragend trägt, legen sich die drei vokal mächtig ins Zeug und meinen es oft allzu gut mit den kräftigen Lautstärken etwas mehr Zurückhaltung und Zwischentöne statt Dauerespressivo hätte der Aufführung durchaus bekommen, und mehr Textverständlichkeit auch. Schade, denn hier sind drei ganz ausgezeichnete Darsteller beieinander, die solche Kraftmeierei gar nicht nötig hätten. Tadellos das Ensemble der sechs Stimmen, und ausgezeichnet singen auch die beiden Knaben Faris Wienecke und Moritz Bouchard von der Chorakademie Dortmund. (Wobei man sich schon fragt, warum in der Musikstadt Köln nicht zwei Knabensolisten zu finden sind.) Der argentinische Dirigent Alejo Pérez, der Jakob Lenz bereits im Teatro Colón in Buenos Aires (und zuletzt Rihms Eroberung von Mexiko in Madrid) dirigiert hat, hätte sicher mehr Einfluss auf die Lautstärkendisposition nehmen können, leitet die Aufführung aber umsichtig und souverän. Ein paar Ungenauigkeiten gibt es zwar, aber insgesamt spielen die Musiker des Gürzenich-Orchesters sehr zuverlässig. Am Ende zeigt Wolfgang Rihms Musik große Wirkung: Jubel für alle Beteiligten. Und das für eine gerade einmal 35 Jahre alte, also quasi moderne Oper, die keineswegs anbiedernd ist.
Die Inszenierung ist arg brav geraten, die Sänger sind ziemlich laut (aber auch ziemlich gut) keineswegs eine perfekte Aufführung, aber trotzdem eine sehens- und hörenswerte, nicht zuletzt weil hier ein richtig gutes Stück gespielt wird Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten
Lenz
Oberlin
Kaufmann
Stimmen
Kinder
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