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Musiktheater
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Die Frau ohne Schatten

Oper in drei Akten
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

in deutscher Sprache (mit Übertiteln)

Aufführungsdauer: ca. 4h 40'  (zwei Pausen)

Premiere im Nationaltheater München am 21. November 2013



Theaterlogo

Bayerische Staatsoper München
(Homepage)




Für Geist und Seele

Von Bernd Stopka / Fotos von Wilfried Hösl

Am 21. November 1963 hob sich im Münchner Nationaltheater der Vorhang für die erste Opernaufführung nach dem Wiederaufbau des im Krieg zerstörten traditionsreichen Hauses. Die Premiere der Frau ohne Schatten von Richard Strauss fand in geschlossener Gesellschaft vor geladenen Gästen statt. (Für die erste öffentliche und prunkvolle Premiere zwei Tage später hatte man Wagners Meistersinger ausgewählt). Auf den Tag genau 50 Jahre später feiert München nun das Jubiläum der Wiedereröffnung ebenfalls mit der Frau ohne Schatten.

Aber es war nicht nur das Jubiläum, das eine besondere Spannung hervorrief und auch nicht der im nächsten Jahr zu feiernde 150. Geburtstag des Komponisten. Zu einem besonderen Teil war es sicher das erlesene Sängerensemble, zu einem anderen Teil auch die Frage, wie Regisseur Krzysztof Warlikowski sich diesem Werk nähert, nachdem er hier mit einem viel beachteten Eugen Onegin Furore gemacht hatte. Aber vor allem war es die Vorfreude auf das erste Opernpremierendirigat von Kirill Petrenko in seiner Funktion als neuer Generalmusikdirektor des Hauses, der heuer für sein fantastisches Bayreuther Ring-Dirigat außerordentlich groß gefeiert wurde.

Die Erwartungen waren also hoch und wurden von Münchens neuem Chef am Pult nicht nur erfüllt, sondern übertroffen. Petrenko analysiert die Partitur und lotet sie feinsinnig aus, erarbeitet Details, die sich in höchster Präzision zu einem großen Ganzen fügen und nicht um ihrer selbst willen in den Vordergrund geholt werden, denn Petrenko verliert sich nicht in einem pseudointellektuellen Herumstochern in der Partitur wie so mancher seiner Kollegen. Er hat auch keine Angst vor großen Gefühlen, ungeheuren Ausbrüchen und sinnlichster Zartheit. Die Kombination von alldem in erstaunlich selbstverständlich wirkender Zusammensetzung lässt ein gleichermaßen intellektuelles wie leidenschaftliches Dirigat entstehen. Musik zum Erstaunen und darin Baden, Musik für Geist und Seele – gänzlich unmanieriert mit natürlichen, fließenden, dynamischen Bewegungen geformt.   

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Adrianne Pieczonka (Die Kaiserin), Johan Botha (Der Kaiser), Statisterie

Schon am Vormittag hängen in den Schaukästen am Nationaltheater Fotos der Neuinszenierung. Auf den ersten Blick sieht das einmal mehr nach unbequemem Regietheater aus – doch am Abend auf der Bühne stellt es sich ganz anders dar. Krzysztof Warlikowski erzählt im Bühnenbild und in den Kostümen von Malgorzata Szczesniak mit sowohl konkreten Aussagen als auch vagen Assoziationsangeboten eine spannende, sich überwiegend erschließende, in vielen Details überzeugend ins Heute geholte Geschichte.

Die Kaiserin befindet sich zur Behandlung und psychischen Verarbeitung ihrer Kinderlosigkeit in einem Luxussanatorium. Der Kaiser besucht sie, die Amme begleitet sie. Den Färbersleuten gehört die Wäscherei im Untergeschoss der Klinik. Barak kümmert sich um seine drei Brüder, von denen zwei sozial auffällig und einer geistig behindert ist (bewegend, wie er diesen anzieht und auf die Beine stellt).  Seine attraktive Frau singt davon, dass sie „bezahlt und gekauft“ wurde, was heutzutage die Assoziation einer aus dem Katalog ausgesuchten Ehefrau hervorruft. Auf jeden Fall arbeitet sie in der Wäscherei mit, fühlt sich aber zu einem anderen Leben bestimmt. Dabei ist sie keine wütende Furie, sondern eine verletzte Seele, eine unglückliche, an ihrem Schicksal leidende  Frau, die beim Ehekrisengespräch auf der Bettkante entschuldigend tröstend Barak die Hand auf das Knie legt „Dritthalb Jahr bin ich dein Weib – und du hast keine Frucht gewonnen aus mir und mich nicht gemacht zu einer Mutter“. Das sind die gleichen Probleme wie ein paar Etagen höher.

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 Wolfgang Koch (Barak), Elena Pankratova (Die Färberin)

Auf der Bühne erscheinen die Ebenen nebeneinander. Links die Luxusseite, rechts die Wäscherei mit Schlafstätte. Zwei auf und zu schwingende Wände zeigen einen vorderen dunkel holzvertäfelten und einen hinteren hellen, eher kühl sachlich ausgestatteten Raum.  Öffnet sich nur eine Wand, stehen Räume neben- und hintereinander. Nicht nur räumliche Dimensionen eröffnen sich dadurch. Als verbindendes Element steht in der Mitte ein Tisch, der von beiden Welten genutzt wird. Hier soll die Kaiserin speisen, hier legen Baraks Brüder die Füße hoch. Hier lässt sich der Kaiser über den Gesundheitszustand seiner Gattin unterrichten und hier verhandeln Amme, Färberin und Kaiserin den Schatten. Hier berät sich der Kaiser mit seinem Lieblingsfalken (der immer noch Blut im Gefieder hat), und andere Falken spielen Skat. Hier sitzt die Kaiserin ihrem Vater Keikobad gegenüber und schlussendlich wird am gleichen Tisch mit Champagner auf den künftigen Nachwuchs angestoßen, nachdem Barak einen passenden Trinkspruch zum Besten gegeben hat: „Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt“.

Doch so geradlinig und einfach bleibt die szenische Umsetzung nicht. Ein Kind, das von einer Hirschkuh geboren wird, in blutiges Rot gekleidet, könnte eine Darstellung der Kaiserin sein, einem Wesen aus einer anderen Welt,  die sich vom Kaiser verletzt aus einer Gazelle in eine Frau (zurück)verwandelt und auf dem Weg zur Menschwerdung jetzt noch ein Kind ist. Dieser Art gibt es einige Elemente, die Rätsel aufgeben, aber nicht kontraproduktiv (ver)stören. Sachlich unklar bleibt, warum Amme und Kaiserin zum Aufsuchen und Verlassen der Wäscherei manchmal den Fahrstuhl benutzen müssen und manchmal einfach nur die Bühnenseiten wechseln. Die Fische für Baraks Abendessen fängt die Amme kurzerhand aus dem Aquarium – das ja eigentlich zur Luxusabteilung gehört. Die zusammengestellten Ehebetten zieht sie schlicht nur ein Stück auseinander. Warum Falken die sich lasziv gebärdende Färberin umbuhlen und warum ein Falkenjunges Barak das Schwert gibt und nicht die Amme, erschließt sich nicht wirklich. Und bei allem, was an Tiefe und Überzeugungskraft auf der Bühne zu sehen ist: Es wird auch viel herumgestanden oder herumgesessen.

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Deborah Polaski (Die Amme), Johan Botha (Der Kaiser), Adrianne Pieczonka (Die Kaiserin), Statisterie

Besonders stark wirken stille Momente, wenn beispielsweise auch die Kaiserin den Gesang der Wächter hört und sehr nachdenklich ins Leere schaut. Ebenso, wenn die Amme mit Barak eine Zigarette raucht und nicht ganz klar wird, mit wem sie nun geschäftlich verbunden ist. Eindrucksvoll erscheint auch das Falknerhaus, das mittels grüner Beleuchtung einfach, aber überzeugend dargestellt wird. Hier gibt es viele Kinder mit Falkenköpfen. Es lebt nicht nur der Lieblingsfalke im Falknerhaus – es gibt noch mehr und die haben Junge.
Geradezu witzig wirkt die Angewohnheit der Amme, sich mit einer Schlafmaske auf die Lederliege zu legen, wenn alles nach ihrem Plan läuft. Der Jüngling, den sie herbei“zaubert“, ist ein käuflicher Stripper, dessen vom Libretto geforderte geistige Abwesenheit dadurch entsteht, dass er sich ganz der über Kopfhörer gehörten Musik hingibt. Im zweiten Akt erscheint er bekleidet, zieht sich dann aber bis auf einen transparenten Slip aus und wird anschließend von der Amme in bar ausgezahlt. Ein böser, aber guter Regieeinfall.

Zu Beginn des dritten Aktes sieht man einen sachlich kühlen Raum mit Echtzeituhr. Die Tiefe, in die Barak und seine Frau getrennt hinabgezogen wurden, heißt hier – der   Überschwemmung entsprechend – unter Wasser. Menschen, Soldaten, Tiere, Gegenstände versinken schattenartig im Hintergrund. War es ein Tsunami? Die leidenschaftliche Färbersfrau und ein genervter, rauchender Barak sitzen im geringen Abstand voneinander auf Stühlen. Ihre Trennung ist keine räumliche, sondern eine innere. Und es erscheint fast so, als wolle der Färber nun nicht mehr, was die Färberin nun endlich will. Zwei gouvernantenhaft alt wirkende Kinder führen sie aus ihren Kerkern. Statt eines Kahns mit Amme und Kaiserin zieht ein Kind ein Ruder über die Bühne. Ebenso wie Färber und Färberin sitzen Amme und Kaiserin auf zwei Stühlen und die Kaiserin vollzieht ihre innere wie äußere Trennung, die für die Amme eine rosa Zwangsjacke bedeutet, nachdem der Bote sie vom Suizid mit einer Büroschere abgehalten hat. Keikobad (der hier tatsächlich auftritt), durchschreitet als schwacher Greis die Bühne, ein  Greis in einer Welt voller unheimlich ausschauender Greise, die anbietend Gläser mit dem Wasser des Lebens hereintragen. Eine Welt, die Nachwuchs dringend nötig hat – vielleicht hat Keikobad seine Tochter deshalb zu den Menschen gehen lassen.

Scheintot liegt der Kaiser auf einem Seziertisch und wird von Ärzten untersucht, vielleicht entnehmen sie sogar Organe, ein alter Diener hält die Totenwache. Zum glücklichen Ende bringen Kinder Barak und seine Frau nacheinander auf die Bühne und beim jubelnden Finale sieht man die Kinder auf der Rückwand mit ihren Schatten Figuren malen und auf- und absteigen. Das wäre ein schönes, sinniges, das Kinder/Schattenthema verbindendes Schlussbild. Doch der Regisseur will mehr: Ganz am Ende werden dezent bewegte Bilder von Marylin Monroe, Siegmund Freud, Gandhi, dem jungen Buddha und King Kong samt ihn umfliegendem Flugzeug und weiteren markanten Persönlichkeiten und Figuren auf die Wände der Bühne projiziert. Was will uns das sagen? Vor allem eins: Weniger wäre hier mehr gewesen.

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                      Fenster Johan Botha (Der Kaiser), Elena Pankratova (Die Färberin), Adrianne Pieczonka (Die Kaiserin), Wolfgang Koch (Barak), Kinderchor und Statisterie

Bild- und Videoprojektionen scheinen ebenso wie Filmeinspielungen auf der heutigen Theaterbühne unverzichtbar zu sein, wobei sich in dieser Produktion zwei unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten zeigen. Zur Einstimmung in Zeit und Raum noch vor Beginn der Oper  werden Szenen aus dem Film L'année dernière à Marienbad aus dem Jahr 1961 eingespielt. Der Zuschauer durchschreitet barocke Räume und Flure eines Grand Hotels und beobachtet Begegnungen der High Society. Doch das ist eher verwirrend und unnötig und erscheint als ein sehr gewollter Verbindungsversuch von Film und Bühne.

Ganz fantastisch und als das Theaterereignis verstärkendes Mittel ist hingegen die Illusion der Wanderung des Kaisers als die ganze Bühne umfassende Projektion filmisch umgesetzt. Vom Sternenhimmel schwebt man erst in, dann durch einen Wald, geht an Grabsteinen vorbei und auf den Tempel zu. Ebenso großartig bebildert ein gewaltiger Wassereinbruch filmisch die Regieanweisung zum Ende des zweiten Aktes. Überzeugender können filmische Mittel auf der Theaterbühne nicht eingesetzt werden.

Elena Pankratova gelingt es sehr überzeugend, die von der Regie geforderte Entwicklung der Färbersfrau auch stimmlich darzustellen. Lyrisch, wenn sie als verletzte Seele mitleidsvoll ihren Gatten tröstet, furienhaft in ihrer Wut und geradezu ausufernd leidenschaftlich, wenn sie Baraks bestimmende, durchaus gewaltbereite Ader kennen und lieben lernt. Das Absprechen ihres Schattens könnte allerdings ein wenig mehr Gänsehaut vertragen. Als ihr Gatte lässt Wolfgang Koch viele balsamische Töne und einen formidablen finalen Trinkspruch hören. Hier und da fehlt aber noch die letzte Nuance oder ein satter Ton zu einer ganz und gar runden Leistung. Adrianne Pieczonka lässt ihren großen Sopran farbenreich strahlen und singt ausdrucksstark eine sehr leidenschaftliche, frauliche Kaiserin. Johan Botha ergeht sich als Kaiser mit den bekannten schauspielerischen Defiziten in ebenso bekanntem Schöngesang, stößt hier aber immer mal wieder an seine stimmlichen Grenzen. Ein bisschen mehr Dramatik und Volumen täte stellenweise gut. Deborah Polaski debütiert als Amme und singt die Partie intensiv gestaltend untadelig und kann auf ihre immense Darstellungskraft und Bühnenpräsenz bauen. Allerdings wird auch bei ihr hörbar, dass ein dramatischer Sopran nicht einfach als dramatischer Mezzosopran eingesetzt werden kann, wenn er sich vom Sopranfach verabschiedet. Da fehlt dann doch schmerzlich die (hier geforderte dämonische) Tiefe. Stellvertretend für ein bis in die kleinste Partie erlesenes Ensemble sei Sebastian Holecek als stimmgewaltiger Geisterbote genannt. Mit Leidenschaft und hoher Präzision folgt das Orchester seinem neuen GMD. Betörend schön umschwelgen Solo-Violine und Solo-Cello das Ohr. Chor und Kinderchor klingen prächtig, homogen und hochkultiviert.


FAZIT

Eine musikalisch hochkarätige, emotionsgeladene Produktion der Frau ohne Schatten (die unter Opernfreunden liebevoll „FroSch“ genannt wird). Spannend ist auch die szenische Umsetzung mit vielen überzeugenden Details. Nicht in jedem Moment verständliches, aber doch gutes Regietheater.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kirill Petrenko

Inszenierung
Krzysztof Warlikowski

Bühnenbild und Kostüme
Malgorzata Szczesniak

Licht
Felice Ross

Choreografie
Claude Bardouil

Video
Denis Guéguin

Videoanimation
Kamil Polak


Chor
Sören Eckhoff

Kinderchor
Stellario Fagone

Dramaturgie
Miron Hakenbeck


Bayerisches Staatsorchester

Chor der Bayerischen Staatsoper

Kinderchor der Bayerischen Staatsoper

Statisterie und Kinderstatisterie
der Bayerischen Staatsoper


Solisten

Der Kaiser
Johan Botha

Die Kaiserin
Adrianne Pieczonka

Die Amme
Deborah Polaski

Der Geisterbote
Sebastian Holecek

Hüter der Schwelle des Tempels
Hanna-Elisabeth Müller

Erscheinung eines Jünglings
Dean Power

Stimme des Falken
Eri Nakamura

Eine Stimme von oben
Okka von der Damerau

Barak, der Färber
Wolfgang Koch

Färberin, seine Frau
Elena Pankratova

Der Einäugige
Tim Kuypers

Der Einarmige
Christian Rieger

Der Bucklige
Matthew Peña

Keikobad
Renate Jett

Drei Dienerinnen
Iulia Maria Dan
Laura Tatulescu
Okka von der Damerau

Stimmen der Ungeborenen
Hanna-Elisabeth Müller
Eri Nakamura
Laura Tatulescu
Tara Erraught
Heike Grötzinger
Okka von der Damerau

Stimmen der Wächter
Andrea Borghini
Rafał Pawnuk
Leonard Bernad

Kinderstimmen
Iulia Maria Dan
Hanna-Elisabeth Müller
Eri Nakamura
Tara Erraught
Okka von der Damerau



Weitere Informationen
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