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Wenn die Kunst maßlos wird
Von Joachim Lange
Es war schon gegen halb drei Uhr nachts, als man das Nationaltheater in München wieder verlassen konnte. Erstaunlich viele der Zuschauer, die gegen 20.00 Uhr in dem mal eben zum Luxus-Kunst-Kino umfunktionierten Haus Platz genommen hatten, hielten durch bis zum Schluss. Staatsopernintendant Nikolaus Bachler hatte bei seinem Begrüßungsstatement für Matthew Barney schon vorgewarnt, dass es länger dauern würde als Richard Wagners Meistersinger. Dauerte es auch. Darunter macht es der 1967 in San Francisco geborene, heute in New York lebende US- Weltstar der Kunstszene nicht. River of Fundaments heißt das Werk, das am 12. Februar in New York uraufgeführt wurde.
Die Europapremiere dieses Kunst- bzw. Opernfilms der besonderen Art flankierte jetzt die Eröffnung der Mattew-Barney-Ausstellung im Haus der Kunst unter dem gleichen Titel. Vom finstersten Anti-Künstler der deutschen Geschichte initiiert, hat dieses Haus heute mit Okuwi Enwezor einen Chef aus Afrika und ist längst ein Ort für die raumgreifenden internationalen Großmeister wie Anish Kapoor, Ai Weiwei oder eben jetzt für Matthew Barney. Besucht man die Ausstellung mit den tonnenschweren Großobjekten vorher, so liefert der Film für einige die Genese. Theoretisch und auch ganz praktisch. Wie man in einem nächtlichen Spektakel ein 25 Tonnen schweres Eisengebilde gießt, für das man in München sogar einen temporären Erweiterungsanbau errichtet hat. Wie man Autos in der denkbar schwergewichtigsten Weise symbolisch aufgeladen verschrotten und aus den Erdenspuren, die das hinterlässt, als Akt einer Wiedergeburt, Kunstobjekte produziert. Wie man die Verehrung für Norman Mailer übersteigert, indem man den Dachstuhl seines Hauses mit den Versatzstücken seines Arbeitszimmers so als Objekt auf den Kopf stellt, dass sich die Assoziation zu einer mythischen Überfahrt ins Jenseits wie sie im alten Ägypten der Pharaonen Usus war, von selbst einstellt.
Bei Barney sind das keine zufälligen Bezüge der ästhetischen Form, die noch jede Kunst bietet. Er meint das todernst. Was bedeutet inklusive einer Reinkarnation. Wenn die nicht anders funktioniert, dann eben auch als Auto. Barney denkt vergangene und zukünftige Möglichkeiten zusammen und findet dafür eine Form und Bilder. Geht man durch die Säle im Haus der Kunst, so könnten seine Objekte allemal eine Erinnerung an die Gegenwart aus einer fernen Zukunft bebildern. Sieht man dann den in sieben Jahren (!) zusammen mit dem amerikanischen Komponisten Jonathan Bepler und einer Riesenportion Ehrgeiz (und wohl auch Geld) erarbeiteten Film, so ist das eine ins Maßlose gesteigerte Videoinstallation. Im Kern handelt sie davon, dass nichts an lebendiger Materie verloren geht, sondern in einem ewigen Kreislauf immer nur seine Form wechselt. Seelenwanderung inklusive. Dabei werden dokumentierende Aufnahmen von drei Live-Aufführungen in Los Angeles, Detroit und New York mit Spielfilmszenen um eine Totenfeier in der nachgebauten Wohnung Mailers in Brooklyn kombiniert
Aus Norman Mailers Roman Ancient Evenenigs (Frühe Nächte) von 1983 bezog Barney die Inspiration für die opernhaft zelebrierten Reinkarnationen Normans, wobei die dritte misslingt und Norman im Mutterleib stecken bleibt. Bei Barney wird Reinkarnation auch als Recycling begriffen. Was zwangsläufig dem Automobil (in Gestalt von zwei Kultmodellen von Chrysler aus den Jahren 1967 und 1979) eine Hauptrolle zuweist und einen ausführlichen Blick in die Hölle der Arbeitswelt einschließt.
Barneys Bildersprache ebenso wie Beplers Tonspur dazu ist manchmal poetisch. Die Bilder sind oft aber vor allem hardcore. Alle Zutaten, die es einzeln schon mal in Boschs Höllenvisionen, bei Hermann Nitschs Blutexerzitien oder den Tabubrüchen der Wiener Aktionisten gab, alles was der bürgerliche Geschmack als Tabu anerkennen, die Kunst aber mit guten Gründen immer wieder zu überschreiten trachtet, hat Barney hier zusammengezwungen.
Man sieht eine Totenfeier für Norman bei der die aufmarschierenden Promis ( bis hin zu Salman Rushdie) sich selbst mehr feiern als den Verstorbenen. Man sieht den Toten aus dem Fluss der Fäkalien auftauchen und zwischen den Lebenden herumgeistern, was wirklich so eklig aussieht wie es klingt. Man sieht Genitalien in Großaufnahme und Funktion, Körperflüssigkeiten und eine Dosis Ekelgewürm wie im Dschungelcamp, die Geburt eines Menschen aus einer Kuh und seinen Weg dahin zurück. Man sieht eine sterbende Industrielandschaft und die Übertragung von sexuellen und Kampf-Ritualen in die Banalität der untergehenden Maschinenwelten. Man sieht sterbende urbane und Industrie-Landschaften und sterbensschöne Landschaftsbilder.
Es ist für alle eine gewaltige Kraftanstrengung, die versucht, die altägyptische Jenseitsgewissheit für die Orientierung im pluralistischen Irrgarten der Gegenwart zu erschließen. Und den Obsessionen Barends Ausdruck zu verleihen. Der Film ist vieles von dem, was man sich so zwischen Faszinosum und Zumutung vorstellen kann. Eigentlich beides. Vor allem aber ist er ein grandioser Akt der Selbstbehauptung und wohl auch der Freiheit der Kunst.
River of Fundament von Matthew Barney und Jonathan Bepler ist eine Grenzerfahrung für das Nationaltheater und seine Besucher. Nicht nur die Maßlosigkeit des Unternehmens, auch die Rigorosität mit die im Allgemeinen geltende Tabus ignoriert werden, sprengt alle Grenzen.
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Produktionsteam
Director of Photography
Production Design
Editor
Producer
Set
Darsteller
Norman III
Norman II
Norman I
Hathfertiti
Ptah-Nem-Hotep
The Widow of Norman
Usermare
The Ka of Norman/Isis
The Ka of Norman/ Osiris
Nephtthys
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