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Stiffelio

Dramma lirico in tre atti
Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Drama Le Pasteur ou L’Évangile et le foyer
von Émile Souvestre du Eugène Bourgeois (1849)
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: 2 ½  Stunden – eine Pause

Premiere am 29. März 2014
(rezensierte Aufführung: 24. Mai 2014)


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Nationaltheater Mannheim
(Homepage)
Im Bann des Kreuzes

Von Christoph Wurzel / Fotos von Hans Jörg Michel

Verzeihen ist doch eben sehr schwer. Auch dann, wenn es eigentlich die religiösen Gebote vorschreiben. In Verdis Oper Stiffelio sollte es eigentlich aber gelingen. Hier wird im Verlauf einer Predigt über die Bibelstelle, in der Jesus der reumütigen Ehebrecherin ihre Sünde vergibt,  der weiblichen Hauptfigur das gleiche Vergehen verziehen - wenn auch nur unter großen Mühen. Wahrhaftig überzeugt hört sich diese Vergebung im Libretto freilich nicht an, wenn der Ehemann nur ein knappes „perdonnata“ aus der Bibel zitiert und gleich darauf ein kurzer Akkord die Oper abrupt beendet. Zu Recht traut in der Mannheimer Inszenierung aber die Regisseurin Regula Gerber diesem gerade noch idealistischen Schluss nicht. Sie lässt Stiffelio, den Ehemann, in einem emotionalen Ausbruch seine Frau am Schluss erwürgen. Das religiöse Gebot bleibt hier bloßes Lippenbekenntnis, sein unstillbarer Hass übt eine viel größere Macht über ihn aus. Gesteigert wird das Skandalon noch dadurch, dass der Mord direkt auf der Kanzel geschieht und Stiffelio der Prediger selbst ist, also Pastor eben der Gemeinde, vor der der Treuebruch seiner Frau Lina im Verlauf der Oper offenbar geworden ist.

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"Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein“: Eine Predigt über Reue und Verzeihung, die den Protagonisten selbst überfordert: Stiffelio (Martin Muehle) und seine Frau Lina (Galina Shesterneva/ beide Darsteller der Premiere)

Verdis Stiffelio handelt von der inneren Zerrissenheit von Menschen zwischen ihren Bedürfnissen und den gesellschaftlichen Ansprüchen, die hier die absolut gesetzten Forderungen einer Religionsgemeinschaft sind. Es ist dies eines der düstersten Libretti, die Verdi vertont hat. Den Menschen in dieser Oper gelingt kein Ausweg aus ihren Konflikten, der nicht in Gewalt besteht; vor allem nicht dem Protagonisten Stiffelio, der wohl über eine Verfehlung den Mantel der Nächstenliebe ausbreiten kann, wenn sie ihn nicht persönlich betrifft, handelt es sich aber um den Fehltritt seiner eigenen Frau, dann entflammt in ihm selbst ein heftiges Eifersuchtsfeuer und wilde Aggression bricht sich Bahn. Lina wendet ihre Schuldgefühle in Richtung Selbstaggression. In ihrer großen Reueszene fleht sie ihre verstorbene Mutter an deren Grab um Gnade an und möchte sich selbst am liebsten zur Strafe die Hand abhacken. Gleichzeitig vermag sie nicht, ihre sexuelle Leidenschaft gegenüber ihrem kurz danach auftauchenden Geliebten Raffaele zu zügeln, obwohl sie ihm eigentlich schon den Laufpass gegeben hat. Extrem zeigt sich der innere Zwiespalt zwischen moralischem Anspruch und unkontrollierten Trieben bei Linas Vater Stankar, der mit äußerster religiöser Strenge auf der Reinheit der Ehre beharrt und auch glaubt, diese mit allen Mitteln bis hin zum Mord als Akt der Bestrafung an Linas Geliebtem wieder herstellen zu müssen. Doch auch er zeigt angesichts des durch ihn angerichteten Elends einen Anflug von Erschütterung über sein Tun. Alle Figuren in dieser Oper töten letzten Endes im Zwang ihrer religiösen Fesseln die wahre Menschlichkeit in sich ab.

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Unerbittlich verurteilt der Vater Strankar den Fehltritt der Tochter Lina (Thomas Berau, Galina Shesterneva/ beide Darsteller der Premiere)

Inszeniert ist das in Mannheim als spannendes Kammerspiel auf ausschließlich grau- schwarzer Bühne. In einem überzeugenden Gleichgewicht zwischen Stilisierung und intensiv psychologischer Personenführung erzählt die Regisseurin  ungemein konzentriert und eindeutig klar das Geschehen als einen Prozess, der sich soghaft und unentrinnbar verstärkt. Schon zum Vorspiel wird hierzu als symbolisches Bild ein Meteorit auf den Bühnenhintergrund projiziert, der sich erst bedrohlich nähert und dann über den hoch aufwogenden Wellen des Meeres explodiert. Gebannt und fassungslos sieht sich das Volk dieser Naturgewalt ausgeliefert. Und wie Naturgewalten brechen auch die Aggressionen über die Protagonisten dieser Oper herein. Ein großes blendend weiß leuchtendes Kreuz beherrscht Bühnenboden und –hintergrund. In zwei zentralen Szenen gewinnt es eine derart magische Macht, dass aus ihm sogar Flammen emporschießen. Mit Gesichtsmasken und grauem Einheitskostüm ist der Chor als das entindividualisierte Volk dieser unheimlichen Religionsgemeinschaft gezeigt. Die Kostüme der anderen Akteure sind in stilisierter Weise historisiert und christlich konnotiert. Das entspricht der Textvorlage, die das Geschehen in einer protestantischen Gemeinde des frühen 19. Jahrhunderts ansiedelt. Dennoch lässt dieses Erscheinungsbild auch Schlussfolgerungen verallgemeinernder Art zu.

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Stiffelio, ein von kollektivem Druck Getriebener (Martin Muehle / Premierenbesetzung)

Nur wenige Monate vor Rigoletto uraufgeführt, ist die tinta musicale des Stiffelio nicht von derselben Eindrücklichkeit, wenngleich die Oper vor allem im 2. und 3. Akt packende Szenen enthält und Arien mit subtil ausgestalteter Instrumentalbegleitung, wie etwa das wunderbar elegische Englischhornsolo, das Linas Reue ihrem Gatten gegenüber in der entsprechenden Sequenz melodisch bekräftigt. Leider glückte in der besprochenen Aufführung die klangliche Balance zwischen Begleitung und Gesangsstimme nicht optimal. Auch sonst klang das Orchester an vielen Stellen zu laut und zu knallig. Andererseits gelang es Alois Seidlmeier am Pult durchaus dem Orchester einen kräftigen Schuss Italianità aus Verdis Musik zu entlocken.

Das Sängerensemble schlug sich vorzüglich. Mit aufblühendem Sopran war Ludmila Slepneva überzeugend eine seelisch durchs Feuer gehende Lisa. Michael Wade Lee zeigte stimmlich nuancenreich eindrucksvoll  Stiffelios Zwiespalt zwischen Pflicht und emotionalem Kontrollverlust. Und in der Rolle des rigorosen Vaters war Jorge Lagunes mit starkem Bass äußerst präsent. Auch Sung Ha verlieh mit Orgelstimme der Rolle des strengen Priesters Jorg machtvolle Größe.

FAZIT

Die Mannheimer Produktion verhilft dieser so selten gespielten Oper von Verdi eindrucksvoll zu ihrem Recht. Die Inszenierung besticht durch Konzentration und Klarheit. Die Darsteller bilden ein homogenes Ensemble auf hohem vokalem Niveau. Allein der Dirigent enttäuscht etwas durch stellenweise wenig sensible Klangbalance.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alois Seidlmeier

Inszenierung
Regula Gerber

Bühne
Roland Aeschlimann

Kostüme
Andrea Schmidt-Futterer

Licht
Bernhard Häusermann

Chor
Tilman Michael

Dramaturgie
Merle Fahrholz

Choreografie
Guido Markowitz

Video
fettFilm ( Momme Hinrichs,
Torge Møller)



Chor, Extrachor und Statisterie
des Nationaltheaters Mannheim

Orchester des
Nationaltheaters Mannheim

Solisten

*rezensierte Aufführung

Stiffelio
Michail Agafonov /
Michael Wade Lee* /
Martin Muehle

Lina
Galina Shesterneva /
Ludmila Slepneva*

Stankar
Thomas Berau /
Jorge Lagunes*

Raffaele
David Lee* /
Juhan Tralla

Jorg
Sung Ha* /
Peter Maruhn

Federico
Uwe Eikötter /
Benedikt Nawrath*

Dorothea
Ludovica Bello




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Nationaltheater Mannheim
(Homepage)



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