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Wenn der Wüstling zum unbedarften Träumer wird Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Oliver Berg
Londons Unterwelt leuchtet verführerisch in einem an lodernde Flammen erinnernden Spiel aus Neonfarben, aber der Schein trügt. Der erwartungsfroh gestimmte Tom Rakewell muss Liebesbegehren und Lust mit der gealterten Puffmutter Goose teilen. Und auch seinen weiteren Unternehmungen reich und berühmt zu werden, ist kein Glück beschieden. Münsters letzte Operninszenierung der diesjährigen Spielzeit zeigt Igor Strawinskys Meisterwerk The Rake’s Progress in einer stilisierten, an Scherenschnitt, Collage und Moritat erinnernden Schwarz-Weiß-Ästhetik. Sieht man einmal von der grotesk schlanken, riesenhaften Türkenbaba und auffälligen Kunstfrisuren ab, locken hier keine parodistischen Überzeichnungen oder teuflisch bunten Verführungen. Hier scheint ein naiv verträumter Jedermann ins schwarze Schattenreich hinabzugleiten, - ein nur manchmal grotesk verrücktes Schattenreich, das ebenso wie der unerschütterliche Glaube an die Liebe zu ihm gehört. Ann Trulove und Tom Rakewell im Garten der Liebe 69 Jahre alt war der Komponist, als das Werk unter seiner musikalischen Leitung 1951 im Teatro la Fenice in Venedig uraufgeführt wurde. Die Oper markiert nicht nur meisterhaft den Höhepunkt und das Ende seiner neoklassizistischen Schaffensperiode. The Rake’s Progress ist mit seinen ironisch verfremdeten, zahlreichen Stilzitaten und Anspielungen auf die klassische Oper ein musikalischer, melancholisch augenzwinkernden Abgesang auf die Gattung selbst. Aber dies versteht sich nicht von selbst, sondern will interpretiert werden. Regisseur Ulrich Peters hebt in seiner Inszenierung eher die tragischen Momente der Geschichte hervor. Nick Shadow ist kein Bösewicht und der junge Tom Rakewell hat wenig von einem Wüstling. Zwischen naivem Erstaunen, Ratlosigkeit und Verstörung pendelnd, wird er von seinem Alter Ego zu einem ausschweifenden Leben in London verführt, um verarmt im Irrenhaus zu sterben. Auch Vater und Tochter Trulove bewegen sich wie die Figuren einer Moritatenballade. Alle sind im historischen Niemandsland angesiedelt. Nick Shadow und Puffmutter Goose im Freudenhaus in London Ironischer Kontrapunkt zur mechanistischen Dramaturgie ist das, mit Scherenschnitt und Projektion arbeitende Bühnenbild Christian Floerens. Bei offenem Vorhang verfolgt man staunend wie sich der aus Hausprojektion und stilisiertem blühenden Baum bestehende Garten lautlos verwandelt, wie Wände, Gerüstteile und andere Bühnenelemente von mechanischer Zauberhand bewegt auffahren, sich drehen und kreisen, um sich zu neuen Räumen zusammenzufügen. Passend zur Regieinterpretation ist auch die musikalische Gestaltung angelegt. Glattgebügelt, differenziert, ausgewogen und von tänzerischer Leichtigkeit durchwebt erklingen Arien, Rezitative, Duette und Ensembleszenen, ohne die parodistischen Absichten Strawinskys hervorzuheben. Mit lyrisch gefärbtem Stimmklang stellt Youn-Seong Shim einen naiv sympathischen Tom Rakewell dar. Gregor Dalal gibt den kraftvollen Nick Shadow an seiner Seite. Henrike Jacob ist Ann Trulove, eine schillernd vibrierende Unschuld vom Lande und Tochter aus gutem Hause, die ihrem Verlobten selbst im Irrenhaus die Treue hält. Lisa Wedekind spielt mit schlankem, lyrischen Sopran die sich nach Liebe sehnende, riesengroße Türkenbaba. FAZIT Passend besetzt, schön gesungen und gespielt aber ohne Biss. Regie und Musik zeigen eine unerwartet glatte, ästhetisch ausgewogene Interpretation, die die parodistischen Absichten Strawinskys geradezu zu ignorieren scheint. Sehenswert ist das mit Scherenschnitt und Projektion arbeitende, ästhetisch überzeugende, bewegte Bühnenbild.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Opern- und Extrachor des Statisterie des Theaters Münster Sinfonieorchester Münster
Solisten *Premierenbesetzung
Trulove
Ann Trulove
Tom Rakewell
Nick Shadow
Mother Goose
Baba, gennant die Türkenbaba
Sellem Cembalo
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