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Die Frau ohne Schatten

Oper in drei Akten
Musik von Richard Strauss
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal


in deutscher Sprache (mit Übertiteln)

Aufführungsdauer: ca. 4 Stunden 30 Minuten  (zwei Pausen)

Premiere im Saarländischen Staatstheater Saarbrücken am 7. Juni 2014


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Saarländisches Staatstheater Saarbrücken
(Homepage)

Zwei Welten treffen aufeinander

Von Bernd Stopka / Fotos von Björn Hickmann

Als letzte Neuproduktion seiner saarländischen Amtszeit hat der scheidende Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal auf den Spielplan des Staatstheaters gesetzt und sich damit nicht nur einen persönlichen Wunsch erfüllt, sondern mit dessen Verwirklichung allen Beteiligten und Erlebenden ein ganz besonderes Geschenk zu seinem Abschied aus Saarbrücken gemacht.

Vergrößerung in neuem FensterBarak (Olafur Sigurdarson),  der Einarmige (Hiroshi Matsui), der Einäugige (Markus Jaursch), der Bucklige (János Ocsovai), Kaiserin (Marion Amman), Amme (Dalia Schaechter), Färberin (Sabine Hogrefe)

Dominik Neuner zeichnet bei dieser Produktion für Inszenierung und Bühnenbild gleichermaßen verantwortlich.  Zwei Gedanken verfolgt er bei der szenischen Gestaltung nachhaltig: Zum Ersten das Hereinbrechen der Geisterwelt Keikobads in die Welt der Menschen als Element der Handlung und zum Zweiten den geschichtlichen Hintergrund der Entstehung dieses außergewöhnlichen Kunstmärchens und dessen Vollendung in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Das Einheitsbühnenbild mit symbolträchtig eingesetzten verschiedenen Spielebenen und verschiebbaren Elementen zeigt ein teils unfertig wirkendes, teils zerstörtes, kirchenähnliches Gebäude, auf das ein riesiger Mond gestürzt ist (unwillkürlich assoziiert man die im Libretto immer wieder erwähnten „Mondberge“, die die beiden Welten trennen). Hinter den zerstörten Kirchenfenstern  sieht man die starken Äste eines sich später als kahler oder toter Baum herausstellenden Bühnenelementes, das fast ein bisschen surreal wirkt. Durch das Seitenportal des Gebäudes sieht man im Hintergrund immer wieder Figuren mit Gasmasken über die Hinterbühne irren. Diese Figuren überqueren zu Beginn und beim Finale zusammen mit einer im Kinderwagen brauchbare Dinge vor sich herschiebenden Frau die Bühne. Zusammen mit einer Soldatenleiche, die in einem künstlichen Wasserbecken vor der Kirche dahinmodert, bilden sie die offensichtlichsten Hinweise auf die Grausamkeiten des Ersten Weltkrieges, der ansonsten vor allem durch Kostüme (Susanne Hubrich) und Requisiten präsent ist. Sicher, das Regieteam hat seine Hausaufgaben gemacht und die Entstehungszeit und –umstände hinterfragt. Der Artikel dazu im Programmheft hätte aber voll und ganz genügt, denn das Sichtbarmachen auf der Bühne bringt das Stück kein Stück weiter, belastet es nur mit dem fahlen Beigeschmack eines „Ich weiß was!“.
Das ist besonders schade, weil die Regie sich hier Wasser in den Wein einer ganz exzellenten Personenregie schüttet. Durch sparsame Aktionen, manchmal nur angedeutete Details, zuweilen mit durchaus auch ganz konventionellen Elementen, wirkt sie ausgesprochen eindringlich und menschlich. Nie verfällt sie in wilden Aktionismus und – das ist besonders erwähnenswert – sie lässt dem Zuschauer viel Raum zu eigenen Assoziationen, Interpretationen, Gedanken und zum Genießen der ganz exzellenten musikalischen Seite dieser Produktion.   

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Färberin (Sabine Hogrefe), Amme (Dalia Schaechter)

Nach dem Auftritt der Gasmaskenträger, die irgendeine nicht näher erklärte Verbindung zur Amme haben, erscheint vor dem Mond auf der obersten Spielebene der Geisterbote in einer Rüstung, die Elemente verschiedener Zeitalter vereint. Der Kaiser schreitet hinter den zerstörten Fenstern eine Ebene tiefer zur Jagd, während Amme und Kaiserin später mit großem Gepäck (der letzten Habe von Kriegsflüchtlingen?) durch die Fenster in Baraks Welt gelangen. Eine übergroße Tasche liegt der Kaiserin besonders am Herzen, sie wird sie durch den ganzen Abend begleiten. Barak bringt Ware vom und für den Schwarzmarkt in Körben und im Rucksack heim und blickt beim Auspacken kurz, aber sehnsuchtsvoll auf einen Kinderschuh. Dies sei als ein Beispiel für viele kleine Gesten und dezente Andeutungen genannt, die die Personenregie so eindrucksvoll verfeinern. Seine Brüder sind tatsächlich von den im Textbuch beschriebenen Leiden gezeichnet. Höchst eindringlich gelingt die Auseinandersetzung zwischen Barak und seiner Frau, die keine wilde Furie, sondern eine sehnsüchtige, verzweifelte Frau mit einer verletzten Seele ist (immerhin wurde sie als Bettlertochter an Barak verkauft). Vielleicht will sie ihn sogar lieben – und kann es doch nicht. Wenn Barak sie berührt und sich an ihren Schoß schmiegt, erstarrt sie und scheint einen Teil von sich abzuspalten, der dies nicht ertragen, aber doch irgendwie hinnehmen muss. Das Trauma einer Vergewaltigung? Das kann ihr im Krieg geschehen sein – aber auch unter vielen anderen Umständen.
Als wahrhaft mephistophelische Erscheinung schmeichelt sich die Amme mit  verunsichernder, zickiger, einschmeichelnder, ja geradezu einwickelnder List bei der Färberin ein und zeigt ihr in einem beleuchteten Spiegel, den sie in ihren Zylinder eingebaut hat, die mit Diadem und edlen Kleidern geschmückte eigene Schönheit. Einen Jüngling für ihr persönliches Glück zeigt sie ihr nicht. Stattdessen dreht sie der Kaiserin das Gesicht des toten Soldaten im Wasser zu und verheißt ihr damit kein erotisches Glück, aber vielleicht das Glück des Kriegsendes und der Wiederkehr aller Vermissten und die Auferstehung aller Gefallenen.
Zum Braten der Fische heizt die Amme das Feuer im Kanonenofen geradezu teuflisch mit Teddybären an, während sich die Färberin bei der Aussicht des Verkaufs ihrer Fähigkeit Mutter zu sein unter Unterleibsschmerzen krümmt. Der eintreffende Barak findet seine Matratze vor der Kirchentür und kaut lieber an einem Kanten Brot, anstatt sich die Fische schmecken zu lassen, die dem feinfühligen Mann unwissend wissend nicht geheuer sind.

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Falke (Onur Abaci), Kaiser (hier: Marco Jentzsch)

Das kulinarische Freudenfest des zweiten Aktes fällt spärlich aus, verbreitet aber das  Glücksgefühl, in Kriegszeiten etwas zu essen zu haben. Mit den Bettelkindern (und ihren sie beobachtenden Müttern) erscheint auch der Falke, ein verletzter, vom Giftgas geblendeter Soldat in roter Uniform mit zerfledderter K. u. K-Fahne auf dem Rücken, der sich mühsam die Treppe zu den Kirchenfenstern hinaufzieht, um dort dann später vom Kaiser wiedergefunden zu werden. Auf dem Weg zur „Schwelle des Todes“ stellt er sich seinem Herrn entgegen, der jedoch entschlossenen Schrittes den Weg beschreitet, der ihm durch das Auseinanderdriften eines beweglichen Bühnenelementes geöffnet wurde. Eindringlich gelingt die Szene, in der sich die Kaiserin zum Mitleiden, zum Verzicht bekennt, ihr Glück nicht auf Baraks Leid aufbauen will und somit menschlich und zur Mutterschaft fähig wird. Ebenso eindrucksvoll vollzieht sich die Wandlung der Färberin, die ihren Verkauf der Mutterschaft wie eine fast schon irreale Beschwörungsformel erscheinen lässt und die in ihrem Gatten erst dann den richtigen Mann sieht, als er energisch wird und sie töten will. Das Messer dazu gibt ihm die Amme. Erst in letzter Minute wird es ihm von einer fremden Hand abgenommen.  Das Auseinanderdriften der vorderen Bühnenelemente wirkt dann als Umweltkatastrophe doch etwas zu dezent.

Zu Beginn des dritten Aktes stehen Färberin und Barak hinter der gleichen schmalen Mauer, einander so nah und doch so fern. Amme und Kaiserin sitzen tatsächlich in einem Kahn, dezente Projektionen suggerieren Wasser. Die Szene vor der endgültigen Verstoßung der Amme aus dem Geisterreich (Sie hat die Kaiserin nicht ausreichend bewacht, was ihre Aufgabe war, so konnte der Kaiser sie gewinnen. Diesen Fehler kann und konnte die Amme nicht wieder ausgleichen, daher die Strafe „nach dem Gesetz“.) gehört zu den gesanglich großartigsten Momenten des Abends.
Warum der verletzte Falke immer wieder leidend und kriechend auftritt, erschließt sich genauso wenig wie die Tatsache, dass er gleichzeitig als Hüter der Schwelle fungiert und man fragt sich, warum man diese beiden Figuren zu einer zusammengeführt hat.
Der „versteinerte“ Kaiser scheint in einem Wandausschnitt eingeschlossen zu sein. Zunächst wirkt es befremdlich, dass das Wasser des Lebens die Dreckwasserpfütze sein soll, durch die jeder hindurchwatet und in ihm auch den Dreck der Schuhe hinterlässt. Doch sind das nicht die Spuren des wahren Lebens? Dies ist einer der Momente, die dem Zuschauer ein Angebot zu eigener Interpretation machen. Ein  Stulphut mit schwarzem Hahnenfederbusch verleiht dem entkristallisierten Kaiser Autorität, doch auch damit bleibt er im Finale einsam. Glücklich ist nur die Kaiserin, die in der Bühnenmitte kniet und sich freut, Mensch geworden zu sein. Doch was nützt ihr nun das einsame Glück? Barak und seine Frau laufen ein um das andere Mal aneinander vorbei und als sie sich wirklich finden, finden sie doch nicht zueinander, erschrecken sich und schämen sich voreinander. Baraks Jubelgesang wirkt in dieser Situation doch sehr befremdlich. Es gibt keine Versöhnung, keine Freude, keine Umarmungen. Scham und Verletzungen sind zu groß.  Barak und Färberin wenden sich voneinander ab. Wie in Trance erscheint die Amme und hält das Tau des Kahns in der Hand, der sie eigentlich in Keikobads Welt, in ihre Welt, zurückbringen sollte (man denkt an Ariadne, die voller Sehnsucht den Faden nicht loslassen mag). Ja, wo soll die Frau auch sonst hin – unter den von ihr so gehassten Menschen kennt sie ja niemanden.

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                      Fenster Amme (Dalia Schaechter), Kaiserin (Marion Amman)

Neben einer sehr ansprechenden Inszenierung (abgesehen von einigen allzu flachen und für die Geschichte wenig bis gar nicht hilfreichen Hinweisen auf die Entstehungszeit) kann man  in Saarbrücken ein ganz exzellentes Sängerensemble erleben. Allen voran ist hier Sabine Hogrefe zu nennen, die die Färberin nicht als keifendes, giftiges Weib gestaltet, sondern als eine verletzte Frau, die ihre Sehnsüchte mit wunderschönen Tönen ausdrucksvollen Klang werden lässt. „Meine Seele ist satt worden der Mutterschaft, eh' sie davon verkostet hat“ singt sie mit sehnsuchtsvoller Bitterkeit zum Steinerweichen, um nur ein Beispiel zu nennen. Mit ihrem gleichmäßig durchgeformten, angenehm timbrierten, warmen Mezzosopran verleiht sie der Figur eine unglaublich eindrucksvolle, starke, ungewöhnliche, aber durch und durch überzeugende Dimension. Selten hat man die Färberin so schön und kultiviert gesungen gehört, selten so bewegend und unter die Haut gehend.
Dalia Schaechter steht ihr als Amme kaum nach. Es ist faszinierend, über welch große Palette stimmlicher und darstellerischer Möglichkeiten sie verfügt: farbenreich blühend, hinterlistig, zickig, überredend, dämonisch deklamierend und flüsternd, aber nicht aus stimmlicher Not, sondern als Ausdrucksvariante, denn sie kann daneben auch klangschön verführerisch singen und das ist in der Partie der Amme nicht selbstverständlich.

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Geisterbote (James Bobby), Färberin (Sabine Hogrefe), Amme (Dalia Schaechter)

Olafur Sigurdarson (einziges  Ensemblemitglied in einer der Hauptrollen) singt den Barak nicht mit den noblen Tönen eines Kavalierbaritons, sondern lässt auch das Raue des Handwerkers mit kernigem Timbre durchklingen, die Stimme strömt satt aber nie zu weich und er hat üppige Reserven für einen finalen wahrhaftigen Jubelgesang. Für den erkrankten Marco Jentzsch ist in der Premiere kurzfristig Torsten Kerl als Kaiser eingesprungen, der die Partie zuletzt an der MET gesungen hat und gerade auf dem Weg nach Bayreuth war.  Souverän fügt er sich in die Produktion ein, lässt eher die substanzreichen Töne eines schweren Heldentenors als hell strahlende Höhen hören und hat den langen Atem für ein extrem langsam genommenes „Falke, Falke, du wiedergefundener…“.  Marion Amman ließ sich wegen eventueller Atemprobleme aufgrund einer angeknacksten Rippe vor der Aufführung ansagen, hielt aber ohne Ausfallerscheinungen durch. Als Kaiserin könnte man sich eine hellere, klarere Stimme wünschen, aber auch mit ihrem eher dunklen Timbre und zuweilen auch abgedunkelten Höhen gestaltet sie die Partie sehr eindringlich und hat ihre stärkste Szene im zweiten Akt.  Wenn er schon nicht als schöner junger Mann auf der Bühne erscheinen darf, verleiht János Ocsovai dem Jüngling doch stimmlich Glanz und Schönheit. Ebenso Onur Abaci, die als Falke und Hüter der Schwelle besten Eindruck hinterlässt. Bis zu den drei Mägden, den Wächtern der Stadt, Chor und Kinderchor und nicht zuletzt dem stimmgewaltigen James Bobby als Luxusbesetzung des Geisterboten hinterlässt die Aufführung den ungemein beglückenden Eindruck einen Sängerfestes, ja einer musikalischen Sternstunde. 

Als Zentrum dieses Sternenhimmels steht am Pult des hochkonzentriert und leidenschaftlich spielenden Saarländischen Staatsorchesters der scheidende Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka, dem der ausgesprochen schwierige Spagat gelingt, in großen Bögen und unter intensiver Spannung den Sog und Zauber der Musik heraufzubeschwören und dabei immer wieder interessante Details herauszuarbeiten und die Partitur nicht nur in der Größe, sondern auch in der Tiefe auszuloten. Selbst die kammermusikalischen Passagen klingen satt und schwelgerisch, wo geschwelgt werden darf. Dabei wählt er zuweilen ungewöhnliche, sowohl frische als durchaus auch sehr langsame Tempi, ist darin aber immer dynamisch und spannungsreich. Es gibt Momente, in denen einem der Atem stockt, etwa bei der ungeheuren musikalischen Spannung vor dem wunderschönen Gesang der Wächter der Stadt. Die auf meinem Platz ausgesprochen gute Akustik setzte dem Gesamterlebnis eine klangvolle Krone auf. 


FAZIT

Eine musikalische Sternstunde und auch szenisch sehr gelungen, wäre da nicht diese wenig erhellende Idee, den Ersten Weltkrieg als Entstehungszeit des Werkes bildlich mit einzubeziehen.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Toshiyuki Kamioka

Inszenierung und Bühnenbild
Dominik Neuner

Kostüme
Susanne Hubrich

Chor
Jaume Miranda

Regieassistenz
Katharina Molitor

Dramaturgie
Caroline Scheidegger


Das Saarländische Staatsorchester

Opernchor und Kinderchor
des Saarländischen Staatstheaters

Statisterie
des Saarländischen Staatstheaters


Solisten

Der Kaiser
Torsten Kerl (Premiere)
Marco Jentzsch

Die Kaiserin
Marion Amman

Die Amme
Dalia Schaechter

Der Geisterbote
James Bobby

Stimme des Falken/
Hüter der Schwelle des Tempels
Onur Abaci

Stimme eines Jünglings
János Ocsovai

Eine Stimme von oben
Judith Braun

Barak, der Färber
Olafur Sigurdarson

Färberin, seine Frau
Sabine Hogrefe

Der Einäugige
Markus Jaursch

Der Einarmige
Hiroshi Matsui

Der Bucklige
János Ocsovai

Drei Dienerinnen
Yuna Maria Schmidt
Valérie Condoluci
Alexandra Paulmichl

1. Kinderstimme/
1. Solostimme der Ungeborenen

Yuna-Maria Schmidt

2. Kinderstimme/
2. Solostimme der Ungeborenen

Valérie Condoluci

3. Kinderstimme/
3. Solostimme der Ungeborenen

Onur Abaci

4. Kinderstimme/
4. Solostimme der Ungeborenen
Alexandra Paulmichl

5. Kinderstimme/
5. Stimme der Ungeborenen
Judith Braun

Stimmen der Wächter
James Bobby
Markus Jaursch
Hiroshi Matsui

Kinderstimmen
Kinderchor Cantamus


Weitere Informationen
erhalten Sie hier:
Saarländisches Staatstheater
Saarbrücken

(Homepage)





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