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Kurze Freude der Freiheit
Von Michael Magercord / Fotos von Frederic Godard
Aus dem Totenhaus so düster der Titel, so düster auch das Bühnenbild. Doch heißt das noch lange nicht, dass es ein düsterer Abend wird, wenn man sich trotzdem in das Operhaus von Straßburg oder die Filature von Mulhouse gewagt hat, um die letzte Produktion aus dem Zyklus von fünf Opern des tschechischen Komponisten Leos Janacek, den die Opera National du Rhin seit 2004 einstudiert hat, zu hören und zu sehen.
Ein Straflager ist der Spielort dieser in vielerlei Hinsicht besonderen Oper. Das Liberetto hat Janacek, der modernste aller Romantiker unter den Komponisten, 1923 aus einem Roman von Dostojewskij abgeleitet. Und der wusste, wovon er berichtete, hat er doch selbst vier Jahre in einem Gulag verbracht. Und genau wie dem Roman liegt auch der Oper kein fortlaufender Handlungsstrang zugrunde. Sie besteht aus den Erzählungen einzelner Häftlinge von ihren Bluttaten, von Menschen also, die wissen, dass sie in diesem Leben das Lager nie mehr verlassen werden. Ihr Leben ereignet sich nur noch in dieser eigenen Zeitlichkeit, die ohne Fluß ist, die das Ende kennt und von der nur die Geschichten zu erzählen sein werden, die bereits geschehen sind.
Die Abwesenheit einer wirklichen Erzählung macht nicht nur das Erzählen schwer, sondern auch das Inszenieren. Das hat in Straßburg einmal mehr der viel beschäftigte Kanadier Robert Carsen übernommen, der bereits die vier vorherigen Janacek-Opern am selben Haus in Szene gesetzt hatte, während er gleichzeitig noch weitere Inszenierungen an unterschiedlichen Bühnen ausführte. Im Französischen wird eine derartige Arbeitsintensität mit den russischen Begriff Stakanowist bezeichnet. Bei dieser Inszenierung lag nach Aussage des Regisseurs die größte Herausforderung darin, das Unerzählbare zu erzählen. Was macht man in so einem Falle? Man betont das universell Gültige, erzählt von Werten, Gefühlen und Leiden. Und somit erzählt man vielleicht von der einzigen wahren Geschichte, denn und das kann uns Dostojewskij lehren das Leben erzählt keine Geschichte, sondern nur Geschichten. Insofern ist sogar ein Straflager ein universeller Ort, oder wie es der Regisseur ausdrückte: auch der eigene Körper kann ein Gefängnis der Seele sein. Doch wie erzählt man davon auf einer Opernbühne? Zumal wenn diese direkt an der Kulturgrenze zwischen dem französischen Autoren-Theater und dem deutschen Regie-Theater steht?
Diese Inszenierung in Straßburg ist durch und durch werktreu gebleiben. Bis auf ein paar vage Andeutungen bei einem erotischen Schattentheater und ein wenig Homoerotik war es ein Opernabend fast ohne die übliche ironische Distanzierung des Regie-Theaters, sodass man fast annimmt, die Werktreue sei hier zu einem Prinzip herhoben. Und sollte es eine Absicht der Straßburger Intendanz unter Marc Clemeur sein, mit soviel Hang zum Original das inszenierungsmüde Publikum von der anderen Rheinseite anzusprechen, geht diese Rechnung auf: Über ein Fünftel der Zuschauer kommen in Straßburg aus Deutschland.
Musikalisch laviert diese hochmoderne, manchmal fast schon minimalistische und für die Ausführenden höchst anspruchsvolle Oper zwischen lyrischen und schroffen Passagen wie immer bei Janacek, und man sollte, will man auch hier werktreu bleiben, nicht den Fehler begehen, das ganze Stück auf nur eine der beiden Vortragsweisen zu beschränken. Das ist unter dem engagierten Dirigat von Marko Letonja nicht geschehen. Hatten seine Straßburger Philharmoniker noch einige Anlaufschwierigkeiten in der Premierenaufführung, so hatten sie sich schnell gefangen, und auch die Passagen der Soloinstrumente klangen letztlich recht ordentlich. An die Sänger hier sind es tatsächlich ausschliesslich Sänger stellt Janacek noch höhere Anforderungen. Manche sagen, es sei die schwierigste Oper überhaupt, zumal der ständige Wechsel von Gesang zu Sprechgesang und zurück größte Einfühlung verlangen. Und natürlich auch das Tschechische, wobei zwei Rollen von Muttersprachlern übernommen worden sind, und den anderen Sängern so gestand einer am Abend danach die Musik helfe, über den unverstandenen Text zu kommen.
Unverstanden bleibt dem Zuschauer nichts, denn Dank der Werktreue erschliesst sich die Botschaft auch durch die klaustrophobische und immer gleichbleibende Szenerie aus einer bühnenhohen Steinmauer ziemlich deutlich. Wem sich die Frage aufdrängt, ob es einem Regisseur schwerfällt, diese Einfachheit durchzuhalten, dem sagt Robert Carsen: Nein, es war die erste Entscheidung. Und so ist es so bedrückend wie möglich, nichts wird angedeutet, was über diese beengte Welt hinausgeht. Und auch die Schlussszene orientiert sich an der Urfassung und nimmt spätere Veränderungen, die ein hoffnungsvolleres Ende ersann, zurück.
Warum aber wird uns nach einem solchen Abend trotzdem nicht düster zumute? Nur die Freude, nicht zu den offensichtlich Gefangenen zugehören? Immerhin, einer der Protagonisten, dessen Tage im Lager wir begleiten, darf schliesslich das Bühnengulag wieder verlassen, und auch wir werden ja letztlich wieder in die Welt außerhalb der Bretter, die Welt doch nur bedeuten, entlassen. Und ein Adler, der im echten Leben ein Bussard ist, darf ebenso aus seinem Bühnenkäfig entkommen und über die Köpfe des Publikums auf den Arm seiner Falkenerin fliegen. Ein kurzes Vergnügen der Freiheit, ebenso kurz wie das des Zuschauers, sich nach der Aufführung wenigstens einen Moment lang wie befreit zu fühlen.
Eine durch ihre Werktreue sehr gelungende Inszenierung dieser hochmodernen Oper aus den 20er Jahren, die die Rheinoper in Straßburg auf die Bühne gebracht hat, deren musikalische Ausführung nur anfangs nicht ganz auf der Höhe war, aber die Aktualität der Komposition von Leos Janacek immer spürbar werden liess. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Dramaturgie Solisten
Alexander P. Gorjantschikow
Alej, ein junger Tatar
Filka Morosow
Der große Sträfling /
Der kleine Sträfling
Der Platzkommandant
Der ganz alte Sträfling
Skuratow, der Narr
Tschekunow
Der betrunkene Sträfling
Der Koch
Der Schmied
Der Pope
Sträfling in der Rolle des Don Juan
Kedril
Schapkin
Schischkow
Stimme hinter der Szene
1. Wache
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