Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Wuppertaler
Uraufführung mit grotesker Handlung
1989 wurde unter der Schirmherrschaft des damaligen NRW-Ministerpräsidenten
Johannes Rau die Kunststiftung NRW gegründet, die es sich zum Auftrag gemacht
hat, "herausragende Projekte und Experimente in Literatur, Musik, Tanz, Theater
und Visueller Kunst" zu fördern. Das 25-jährigen Jubiläum dieser Stiftung wird
nun an den Wuppertaler Bühnen mit einer Uraufführung eingeleitet, bei der der
1967 geborene Komponist Stephan Winkler einen Roman von Eugen Egner, der als ein
bedeutender zeitgenössischer Vertreter der Groteske im deutschsprachigen Raum
gilt und dessen Cartoons und Comics seit vielen Jahren in der Satirezeitschrift
"Titanic" und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erscheinen, als
"musikalische Bildgeschichte in drei Heften" vertont hat, wobei der Titel nicht
weniger verworren klingt als die Handlung des Stückes. Valerian (Hendrik Vogt) und
Erika (Annika Boos) versuchen, mit dem Ganghofer-Apparat Wunschmenschen zu
materialisieren. Als Stulp bezeichnet man eigentlich einen losen Pfosten an
einem Fenster, der als Profilleiste dient. Diese Bedeutung steht allerdings in
keinem Zusammenhang zum Universums-Stulp, wenn man nicht den Fenstersturz
des Protagonisten Traugott Neimann aus dem dritten Stock im Vorspiel als das
Lösen eines Pfostens betrachten will. Die folgende Reise, die Neimann
anschließend in völlig surreale Welten und groteske Geschichten führt, eröffnet
ihm dann ein ganzes Universum von abstrusen Erlebnissen. Maßgeblich für den
Titel dürfte vielmehr die Farbstiftzeichnung Universumstulp von Joseph
Schneller (alias "Sell") aus dem Jahr 1920 sein, die den Maler in einer
Badewanne zeigt, in der er über Drähte mit verschiedenen Sphären physischer und
metaphysischer Welten vernetzt ist. In der Oper ist dieses Bild allerdings ein
Roman, in dem der entmaterialisierte Neimann versehentlich landet, während er
eigentlich aus dem Roman Grammophonaugen von Magoz Inspiration für seine
eigene Dichtung schöpfen will, nachdem er als Preis für sein Leben nach dem
Fenstersturz jeglichem Drogenkonsum entsagen musste. Wie er allerdings aus
diesem Buch wieder herauskommt und im Zimmer seines Freundes Valerian landet,
kommentiert Valerian in der Oper selbst mit den Schlussworten: "Schwer zu sagen.
Wer kennt sich schon aus mit solchen Dingen?" Vesica Güterbock (Michaela
Mehring) und Traugott Neimann (Olaf Haye) bei der Peking-Ente (Katharina Greiß)
am Stadtrand Ob man nun in den sprechenden Namen Thalia Fresluder oder
Papst Probstenloch einen tieferen Sinn suchen soll oder gar verstehen muss,
wieso der Papst ein Prälatengummi entwickelt, Peking von Enten regiert wird oder
Neimann sich mit Vesica Güterbock in einen Brotaufstrich verwandelt, um Eingang
in den Papstpalast zu finden, die beiden allerdings bei der Rückverwandlung die
Körper getauscht haben und Neimann nun durch einen Briefschlitz schlüpfen muss,
um seine eigentliche Gestalt wiederzugewinnen, liegt im Ermessen des Zuschauers.
Am Premierenabend scheint sich der größte Teil des Publikums von diesen
Sinnfragen nicht das Vergnügen an der Geschichte nehmen zu lassen und folgt mit
großer Begeisterung dem Treiben auf der Bühne. Wiebke Schlüter hat mit Ausnahme
von Traugott Neimann für die Figuren farblich sehr knallige und fantasievolle
Kostüme entworfen, die dem grotesken Charakter des Stückes gerecht werden. Dass
Neimann in seinem grauen Pullover eher unscheinbar wirkt, passt gut ins Konzept,
da er ja als Fremdkörper in diese surreale Welten eintaucht. Erst wenn er sich
nach eigenem Befinden in die Figur des Neterer verwandelt hat, schlüpft er in
ein Kostüm im Safari-Look. Neimann (Olaf Haye) auf seiner
Reise durch die 099er Bestellnummern Wenn die Bezeichnung "Bildgeschichte in drei Heften"
suggerieren soll, dass dieses Werk von Winkler und Egner mit einer neuartigen
Integration von Comic, Zeichentrick, Theater und Musik ein "Zeitalter der
Graphic Novel auf der Musiktheaterbühne" einläutet, wird das Regie-Team um
Thierry Bruehl diesem Ansatz allerdings nur teilweise gerecht. Wird häufig bei
modernen Operninszenierungen der Einsatz von Videosequenzen als inflationär
wahrgenommen, wären in dieser Oper mehr Filmeinspielungen wünschenswert gewesen.
Der Fenstersturz, den Philippe Bruehl zu Beginn der Oper in einer
Zeichentricksequenz auf die beiden weißen Quader wirft, unter denen die
Bühnenbilder für die einzelnen Szenen entstehen, und die in ihrer Form an ein
aufgeschlagenes Buch mit leeren Seiten erinnern, zählt nämlich in der filmischen
Präsentation zu einem der Höhepunkte der Inszenierung, der nur noch von Neimanns
fantastischen Flug durch die 099er Bestellnummern übertroffen wird. Durch
großartigen Perspektivwechsel und bewegliche Bilder hat man wirklich den
Eindruck, dass Neimann, wenn er vor den beiden Quadern steht, durch diese Welt
fliegt. Die von Bart Wigger konzipierten Szenenbilder fangen zwar den absurden
Charakter des Textes ein, erwähnt seien an dieser Stelle die beiden Badewannen,
in die Neimann und Güterbock abtauchen, vermögen aber die Illusion der
Transformationen nicht zu vermitteln. Neimann 1 (Olaf Haye, links) und
Neimann 2 (Andreas Jankowitsch) Für die musikalische Begleitung hat man das Ensemble
musikFabrik aus Köln engagiert, das sich seit 1990 als Klangkörper der
zeitgenössischen Musik in besonderem Maße künstlerischen Innovationen
verpflichtet fühlt und in enger Kooperation mit zeitgenössischen Komponisten
schon häufig Auftragswerke umgesetzt hat. Hinter dem Geschehen auf der Bühne
untergebracht, wird es in doppelter Hinsicht Bestandteil des Stückes. Zum einen
sind die Musiker ebenfalls alle kostümiert, wobei die Frauen mit ihren
auftoupierten Haaren in den grauen Kostümen wie Büroangestellte wirken. Zum
anderen werden die Musiker zum Ende des Stückes gewissermaßen in das Geschehen
gefahren und scheinen mit diversen Geräuschen unmittelbarer Teil der Handlung zu
werden. Durch die Verstärkung der Musiker und Sänger durch Mikrophone kann ein
universelles Klangerlebnis erzeugt werden, indem einzelne Geräusche
beispielsweise aus unterschiedlichen Ecken des Zuschauerraums ertönen. Stephan
Winklers Musik orientiert sich stark am gesprochenen Wort. Daher hat er das
Libretto zunächst von vier Ensemble-Mitgliedern der Wuppertaler Schauspielsparte
einsprechen lassen, bevor er dann versucht hat, eine Musik zu erzeugen, die den
natürlichen Duktus des Wortes beibehält. Mit Ausnahme des Liedes "Neterer bin
ich. Neterer heiß ich", das in seiner Struktur ein wenig an den Vogelfänger
Papageno aus der Zauberflöte erinnert, entsteht dabei eine Klangsprache,
die zwar nicht atonal aber auch nicht melodisch wirkt. Papst Probstenloch (Christian
Sturm) mit Mona Zwanzig (Dorothea Brandt) Die dadurch erhoffte Textverständlichkeit bleibt allerdings
nur zum Teil erhalten. Besonders problematisch ist es beim Papst Probstenloch.
Die in der Komposition Winklers vorgeschriebene extreme Konzentration auf die Vokale und
die Live-Einspielung der Konsonanten von einem Sampler aus dem Orchester führen dazu, dass man bei Christian Sturm in dieser Partie noch nicht
einmal sagen kann, ob er einen deutschen Text singt, was schade ist, da Sturm
den Papst mit exaltiertem Spiel großartig umsetzt. Warum die Partie des Neimann
im Libretto gedoppelt ist, wird nicht nachvollziehbar, da eine klare Abgrenzung
von Neimann 1 und 2 nicht erfolgt. Olaf Haye und Andreas Jankowitsch statten den
Protagonisten stimmlich und darstellerisch überzeugend aus. Gleiches gilt für
die anderen Solisten. So gibt es am Ende für alle Beteiligten großen Beifall, in
den sich auch Winkler und Egner einreihen. Ob allerdings das Publikum der
Folge-Aufführungen ebenso aufgeschlossen der Klangsprache Winklers und der
abstrusen Handlung folgen wird wie der größte Teil der Premieren-Zuschauer, von
denen in der Pause übrigens nur wenige den Saal verlassen haben, bleibt
abzuwarten.
FAZIT
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Raum Ausstattung Kostüme Filme Klangregie Licht Dramaturgie
Ensemble musikFabrik SolistenTraugott Neimann 1 Traugott Neimann 2
Thalia Fresluder
Vesica Güterbock
Valerian, Haremswächter
Mona Zwanzig, Ente 1
Erika, Neimanns Mutter, Fürsorgerin,
Praxishilfskraft bei Thalia Fresluder,
Papst Probstenloch, Weihnachtsmann,
Bramm, Papstpalastelektriker,
Ente am Stadtrand Pekings, Ente 2
Koch-Enten
Ziegenkutscher, Millionär
|
- Fine -