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Der Universums-Stulp

Eine musikalische Bildergeschichte in drei Heften
Libretto von Eugen Egner, Stephan Winkler und Thierry Bruehl nach dem gleichnamigen Roman von Eugen Egner
Musik von Stephan Winkler

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus am 7. Februar 2014


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Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Wuppertaler Uraufführung mit grotesker Handlung


Von Thomas Molke / Fotos von Uwe Stratmann

1989 wurde unter der Schirmherrschaft des damaligen NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau die Kunststiftung NRW gegründet, die es sich zum Auftrag gemacht hat, "herausragende Projekte und Experimente in Literatur, Musik, Tanz, Theater und Visueller Kunst" zu fördern. Das 25-jährigen Jubiläum dieser Stiftung wird nun an den Wuppertaler Bühnen mit einer Uraufführung eingeleitet, bei der der 1967 geborene Komponist Stephan Winkler einen Roman von Eugen Egner, der als ein bedeutender zeitgenössischer Vertreter der Groteske im deutschsprachigen Raum gilt und dessen Cartoons und Comics seit vielen Jahren in der Satirezeitschrift "Titanic" und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erscheinen, als "musikalische Bildgeschichte in drei Heften" vertont hat, wobei der Titel nicht weniger verworren klingt als die Handlung des Stückes.

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Valerian (Hendrik Vogt) und Erika (Annika Boos) versuchen, mit dem Ganghofer-Apparat Wunschmenschen zu materialisieren.

Als Stulp bezeichnet man eigentlich einen losen Pfosten an einem Fenster, der als Profilleiste dient. Diese Bedeutung steht allerdings in keinem Zusammenhang zum Universums-Stulp, wenn man nicht den Fenstersturz des Protagonisten Traugott Neimann aus dem dritten Stock im Vorspiel als das Lösen eines Pfostens betrachten will. Die folgende Reise, die Neimann anschließend in völlig surreale Welten und groteske Geschichten führt, eröffnet ihm dann ein ganzes Universum von abstrusen Erlebnissen. Maßgeblich für den Titel dürfte vielmehr die Farbstiftzeichnung Universumstulp von Joseph Schneller (alias "Sell") aus dem Jahr 1920 sein, die den Maler in einer Badewanne zeigt, in der er über Drähte mit verschiedenen Sphären physischer und  metaphysischer Welten vernetzt ist. In der Oper ist dieses Bild allerdings ein Roman, in dem der entmaterialisierte Neimann versehentlich landet, während er eigentlich aus dem Roman Grammophonaugen von Magoz Inspiration für seine eigene Dichtung schöpfen will, nachdem er als Preis für sein Leben nach dem Fenstersturz jeglichem Drogenkonsum entsagen musste. Wie er allerdings aus diesem Buch wieder herauskommt und im Zimmer seines Freundes Valerian landet, kommentiert Valerian in der Oper selbst mit den Schlussworten: "Schwer zu sagen. Wer kennt sich schon aus mit solchen Dingen?"

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Vesica Güterbock (Michaela Mehring) und Traugott Neimann (Olaf Haye) bei der Peking-Ente (Katharina Greiß) am Stadtrand

Ob man nun in den sprechenden Namen Thalia Fresluder oder Papst Probstenloch einen tieferen Sinn suchen soll oder gar verstehen muss, wieso der Papst ein Prälatengummi entwickelt, Peking von Enten regiert wird oder Neimann sich mit Vesica Güterbock in einen Brotaufstrich verwandelt, um Eingang in den Papstpalast zu finden, die beiden allerdings bei der Rückverwandlung die Körper getauscht haben und Neimann nun durch einen Briefschlitz schlüpfen muss, um seine eigentliche Gestalt wiederzugewinnen, liegt im Ermessen des Zuschauers. Am Premierenabend scheint sich der größte Teil des Publikums von diesen Sinnfragen nicht das Vergnügen an der Geschichte nehmen zu lassen und folgt mit großer Begeisterung dem Treiben auf der Bühne. Wiebke Schlüter hat mit Ausnahme von Traugott Neimann für die Figuren farblich sehr knallige und fantasievolle Kostüme entworfen, die dem grotesken Charakter des Stückes gerecht werden. Dass Neimann in seinem grauen Pullover eher unscheinbar wirkt, passt gut ins Konzept, da er ja als Fremdkörper in diese surreale Welten eintaucht. Erst wenn er sich nach eigenem Befinden in die Figur des Neterer verwandelt hat, schlüpft er in ein Kostüm im Safari-Look.

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Neimann (Olaf Haye) auf seiner Reise durch die 099er Bestellnummern

Wenn die Bezeichnung "Bildgeschichte in drei Heften" suggerieren soll, dass dieses Werk von Winkler und Egner mit einer neuartigen Integration von Comic, Zeichentrick, Theater und Musik ein "Zeitalter der Graphic Novel auf der Musiktheaterbühne" einläutet, wird das Regie-Team um Thierry Bruehl diesem Ansatz allerdings nur teilweise gerecht. Wird häufig bei modernen Operninszenierungen der Einsatz von Videosequenzen als inflationär wahrgenommen, wären in dieser Oper mehr Filmeinspielungen wünschenswert gewesen. Der Fenstersturz, den Philippe Bruehl zu Beginn der Oper in einer Zeichentricksequenz auf die beiden weißen Quader wirft, unter denen die Bühnenbilder für die einzelnen Szenen entstehen, und die in ihrer Form an ein aufgeschlagenes Buch mit leeren Seiten erinnern, zählt nämlich in der filmischen Präsentation zu einem der Höhepunkte der Inszenierung, der nur noch von Neimanns fantastischen Flug durch die 099er Bestellnummern übertroffen wird. Durch großartigen Perspektivwechsel und bewegliche Bilder hat man wirklich den Eindruck, dass Neimann, wenn er vor den beiden Quadern steht, durch diese Welt fliegt. Die von Bart Wigger konzipierten Szenenbilder fangen zwar den absurden Charakter des Textes ein, erwähnt seien an dieser Stelle die beiden Badewannen, in die Neimann und Güterbock abtauchen, vermögen aber die Illusion der Transformationen nicht zu vermitteln.

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Neimann 1 (Olaf Haye, links) und Neimann 2 (Andreas Jankowitsch)

Für die musikalische Begleitung hat man das Ensemble musikFabrik aus Köln engagiert, das sich seit 1990 als Klangkörper der zeitgenössischen Musik in besonderem Maße künstlerischen Innovationen verpflichtet fühlt und in enger Kooperation mit zeitgenössischen Komponisten schon häufig Auftragswerke umgesetzt hat. Hinter dem Geschehen auf der Bühne untergebracht, wird es in doppelter Hinsicht Bestandteil des Stückes. Zum einen sind die Musiker ebenfalls alle kostümiert, wobei die Frauen mit ihren auftoupierten Haaren in den grauen Kostümen wie Büroangestellte wirken. Zum anderen werden die Musiker zum Ende des Stückes gewissermaßen in das Geschehen gefahren und scheinen mit diversen Geräuschen unmittelbarer Teil der Handlung zu werden. Durch die Verstärkung der Musiker und Sänger durch Mikrophone kann ein universelles Klangerlebnis erzeugt werden, indem einzelne Geräusche beispielsweise aus unterschiedlichen Ecken des Zuschauerraums ertönen. Stephan Winklers Musik orientiert sich stark am gesprochenen Wort. Daher hat er das Libretto zunächst von vier Ensemble-Mitgliedern der Wuppertaler Schauspielsparte einsprechen lassen, bevor er dann versucht hat, eine Musik zu erzeugen, die den natürlichen Duktus des Wortes beibehält. Mit Ausnahme des Liedes "Neterer bin ich. Neterer heiß ich", das in seiner Struktur ein wenig an den Vogelfänger Papageno aus der Zauberflöte erinnert, entsteht dabei eine Klangsprache, die zwar nicht atonal aber auch nicht melodisch wirkt.

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Papst Probstenloch (Christian Sturm) mit Mona Zwanzig (Dorothea Brandt)

Die dadurch erhoffte Textverständlichkeit bleibt allerdings nur zum Teil erhalten. Besonders problematisch ist es beim Papst Probstenloch. Die in der Komposition Winklers vorgeschriebene extreme Konzentration auf die Vokale und die Live-Einspielung der Konsonanten von einem Sampler aus dem Orchester führen dazu, dass man bei Christian Sturm in dieser Partie noch nicht einmal sagen kann, ob er einen deutschen Text singt, was schade ist, da Sturm den Papst mit exaltiertem Spiel großartig umsetzt. Warum die Partie des Neimann im Libretto gedoppelt ist, wird nicht nachvollziehbar, da eine klare Abgrenzung von Neimann 1 und 2 nicht erfolgt. Olaf Haye und Andreas Jankowitsch statten den Protagonisten stimmlich und darstellerisch überzeugend aus. Gleiches gilt für die anderen Solisten. So gibt es am Ende für alle Beteiligten großen Beifall, in den sich auch Winkler und Egner einreihen. Ob allerdings das Publikum der Folge-Aufführungen ebenso aufgeschlossen der Klangsprache Winklers und der abstrusen Handlung folgen wird wie der größte Teil der Premieren-Zuschauer, von denen in der Pause übrigens nur wenige den Saal verlassen haben, bleibt abzuwarten.

FAZIT

Den Wuppertaler Bühnen gelingt eine umjubelte Uraufführung, die sicherlich auch überregionales Interesse wecken dürfte. Ob das Stück repertoiretauglich wird, ist fraglich.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Peter Rundel

Inszenierung
Thierry Bruehl

Raum
Bart Wigger

Ausstattung
Tal Shacham

Kostüme
Wiebke Schlüter

Filme
Philippe Bruehl

Klangregie
Paul Jeukendrup

Licht
Henning Priemer

Dramaturgie
Johannes Blum

 

Ensemble musikFabrik


Solisten

Traugott Neimann 1
Olaf Haye

Traugott Neimann 2
Andreas Jankowitsch

Thalia Fresluder
Uta Christina Georg

Vesica Güterbock
Michaela Mehring

Valerian, Haremswächter
Hendrik Vogt

Mona Zwanzig, Ente 1
Dorothea Brandt

Erika, Neimanns Mutter, Fürsorgerin,
Engel, Papstpalastwache
Annika Boos

Praxishilfskraft bei Thalia Fresluder,
Ente 3, Ein mehr oder weniger
menschliches Wesen, Schalterangestellte
Joslyn Rechter

Papst Probstenloch, Weihnachtsmann,
Kondukteur
Christian Sturm

Bramm, Papstpalastelektriker,
Dr. Strogoff
Martin Js. Ohu

Ente am Stadtrand Pekings, Ente 2
Katharina Greiß

Koch-Enten
Livia Caruso
Wilfried Feldhausen
Bastian Bastian

Ziegenkutscher, Millionär
Ingmar Unteregge


Weitere Informationen
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Da capo al Fine

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