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Maria als Spielleiterin
Nachdem mit Schließung des Kleinen Schauspielhauses zum Ende
der letzten Spielzeit den Wuppertaler Bühnen bis zur für den Herbst 2014
geplanten Eröffnung der neuen Spielstätte nahe des Opernhauses kein weiterer Ort
für kleinere Produktionen im Bereich des Musiktheaters zur Verfügung steht,
haben die Wuppertaler aus der Not eine Tugend gemacht und lassen einzelne
Stücke unter dem Motto "Oper in der Stadt" an unterschiedlichen Standorten in
Wuppertal zur Aufführung gelangen. Während man mit einer neuen Version der
Odyssee, die die Laterna Magica-Technik des 19. Jahrhunderts nutzt, in
einzelne Schulen geht, lockt eine Heiligenlegende aus dem 6. Jahrhundert, die
Ottorino Respighi, der den meisten nur durch seine Rom-Trilogie mit dem - vor
allem durch
den Walt Disney-Film Fantasia - zum Klassiker avancierten Pini di Roma als Komponist von Orchesterwerken bekannt sein dürfte, nun in unterschiedliche Kirchen
der Stadt. Die Aufführungsorte sind für das Mysterium in einem Akt, das als
halbszenisches Semi-Oratorium 1932 in der Carnegie Hall in New York seine
Uraufführung erlebte, passend ausgewählt, da der hallende Klang in einer Kirche
den spirituellen Charakter des Werkes eindringlich einfängt. Hafen von Alexandria: von
links: Matrose (Christian Sturm), der eine Freund (Annika Boos) und Maria
(Dorothea Brandt) Die Geschichte erzählt in drei Stationen das Leben der Maria
von Ägypten, die von einer sündigen Prostituierten zu einer Büßerin in der Wüste
am Jordan mutiert. Ist es zu Beginn noch ein schöner Matrose, dessen trauriger
Gesang Maria so bewegt, dass sie ihn bittet, mit auf das Schiff nach Jerusalem
zu nehmen, und ihm als Gegenleistung ihren Körper anbietet, lässt sie sich von
der Begeisterung für das Christentum bei der Feier der Kreuzaufrichtung in
Jerusalem schnell anstecken, als sie erlebt, wie eine Frau über die ansteckende
Lepra-Krankheit eines Mannes hinwegsieht und ihn dennoch am Arm in die Kirche
führt. Doch noch halten sie innere Stimmen davon ab, ebenfalls die Schwelle zu
übertreten. So zieht sie sich an die Ufer des Jordan zurück, wo sie erneut auf
den Pilger Zosimo trifft, der ihr einst die Überfahrt nach Jerusalem wegen ihres
Lebenswandels verwehren wollte. Nun erkennt er, welchen inneren Wandel Maria
vollzogen hat und gewährt ihr Gottes Segen, so dass Maria in Frieden sterben
kann. Maria (Dorothea Brandt)
überredet den Matrosen (Christian Sturm), sie mit nach Jerusalem fahren zu
lassen. Respighis Musik, die sich mit einem gewissen Neomadrigalismus
einerseits deutlich von Verdi und Puccini abhebt, sich andererseits aber auch
deutlich von impressionistischen Strömungen aus Frankreich und dem kalten Stil
eines Schönberg unterscheidet, entfaltet sich in der Immanuelskirche zu einem so
mystischen Klang, dass man die szenische Umsetzung gar nicht gebraucht hätte,
zumal Johannes Blums Regie-Ansatz stellenweise eher verwirrt als, dass er
Klarheit in den Handlungsstrang bringt. So lässt er in den ersten beiden
Episoden Maria als eine Art Conferencier oder Spielleiterin mit einem schwarzen
Frack und Zylinder auftreten, die die Kostüme für die anderen Mitspieler
bereithält. Dem Matrosen reicht sie das Tuch, den beiden Frauen ihr Cape, so
dass die anderen Figuren erst auf der kleinen hinter dem Orchester
aufgerichteten Bühne in ihr Kostüm schlüpfen. Nur der Pilger Zosimo geht seinen
eigenen Weg und scheint, von dieser Spielleiterin unabhängig zu sein. Am Ende
ist er es auch, der Maria ihren Mantel abnimmt, unter dem sie nun ein langes
weißes Büßerinnengewand trägt. Die Bettlerin (Joslyn Rechter)
begleitet den Aussätzigen (Christian Sturm) in die Kirche (im Hintergrund: Maria
(Dorothea Brandt)). Statt eines Bühnenbildes, auf das sicherlich auch aus
organisatorischen Gründen verzichtet wird, da man diese Produktion ja in
unterschiedlichen Kirchen zur Aufführung bringt, wird mit Videoprojektionen
gearbeitet, die eine Gruppe von jungen Menschen im Rahmen des Medienprojektes
Wuppertal für einzelne Szenen erarbeitet hat und die das inhaltliche Spektrum
des Stückes beschreiben sollen. Diese Projektionen werden zum einen auf die
Rückwand hinter die Solisten projiziert, zum anderen auch an die Decke, wobei
die Bilder nicht immer zum Verständnis des Stückes beitragen. Wenn man sich
nicht vorher mit dem Inhalt genau auseinandergesetzt hat oder der italienischen
Sprache nicht mächtig ist, hat man durch diese Bilder keinerlei Chance, den
Handlungsablauf besser nachvollziehen zu können. Vielleicht wäre es hier
sinnvoller gewesen, doch stattdessen Übertitel an die Rückwand zu projizieren,
weil dann einzelne Szenen sicherlich klarer geworden wären. Maria (Dorothea Brandt) erhält
am Ende ihres Lebens durch Zosimo (Thomas Laske) Gottes Segen. Trotz dieser kleineren szenischen Mängel kann die Produktion
im Ganzen als gelungen betrachtet werden, was vor allem den Sängern, den
Musikern und dem wunderbaren Klang in der Kirche zu verdanken ist. Hat das
Sinfonieorchester Wuppertal auch zu Beginn der Aufführung noch für einige
Irritation gesorgt, als die Musiker mit gelben Streik-Westen auftreten und in
einer Erklärung ihrem Unmut darüber Luft machen, dass die Anfang 2010 im
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vereinbarte Lohnerhöhung für die
Musiker bis jetzt noch nicht umgesetzt worden sei, so dass den Musikern bis
jetzt hochgerechnet zwei ganze Monatsgehälter fehlen würden, erklären sie sich
trotz des Protestes bereit, die Vorstellung nicht durch Streik platzen zu
lassen, und beweisen unter dem umsichtigen Dirigat von Florian Frannek, der die
mystischen Momente der Musik sorgfältig herausarbeitet, den besten Grund dafür,
wieso die Forderungen nach Einhaltung des Tarifvertrags für einen so wunderbaren
Klangkörper unbedingt eingehalten werden sollten. Der von Jens Bingert einstudierte Chor präsentiert sich von
den beiden Seitenemporen mit einem absolut homogenen Klang. Christian Sturm
begeistert als Matrose mit lyrischem Tenor, der im Hall der Kirche eine tiefe
Sehnsucht und Wärme ausstrahlt. Als Aussätziger lässt er mit seiner weichen
Stimme die traurige Verzweiflung des Mannes regelrecht spürbar werden. Auch
Annika Boos und Joslyn Rechter überzeugen in ihren Partien, Boos mit klarem
Sopran, Rechter mit sattem und warmem Mezzo. Stars des Abends sind Thomas Laske
als Pilger Zosimo und Dorothea Brandt in der Titelpartie. Laske stattet den
Pilger mit einem unnachgiebigen und harten Bariton aus, der erst am Ende die
Wandlung Marias erkennt und ihr den Segen nicht mehr verwehrt. Brandt vollzieht
die Entwicklung der Titelpartie von der Sünderin zur Büßerin mit einem
glockenklaren Sopran, der zu Beginn noch enorme Lebensfreude versprüht und zum
Ende hin in regelrecht ätherische Klänge übergeht. Mit welcher Feinheit sie die
Spitzentöne präsentiert, macht die Faszination der Titelpartie nachvollziehbar,
die als Sünderin die Massen anzieht und als Büßerin Zosimo dazu bewegen kann,
ihr Gottes Segen zu gewähren.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Kostüme Video Videoprojektionen Choreinstudierung
Opernchor der Sinfonieorchester Wuppertal Solisten*Premierenbesetzung Maria Pilger / Zosimo
Matrose / Aussätziger Der eine Freund / Die Blinde / Der andere
Freund / Die Bettlerin
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- Fine -