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Musiktheater
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Palermo, Palermo

Ein Stück von Pina Bausch
In Zusammenarbeit mit dem „Teatro Biondo“, Palermo und Andres Neumann International
Musik aus Sizilien, Süditalien, Afrika, China, Japan, Schottland, Renaissancemusik, Blues und Jazz aus Amerika, Musik von Grieg, Paganini und Tschaikowski

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Wiederaufnahme im Opernhaus Wuppertal am 5. November 2013
(Uraufführung: 17.12.1989 im Opernhaus Wuppertal)


Logo: Tanztheater Pina Bausch

Tanztheater Wuppertal
(Homepage)
Trümmerlandschaften und unerfüllte Blütenträume

Von Stefan Schmöe / Foto: Jochen Viehoff

Eine riesige Mauer steht auf der Bühne, kippt, von unsichtbaren Kräften gezogen, nach einer Weile nach hinten, zerbirst krachend auf dem Bühnenboden. Kein anderes Stück von Pina Bausch beginnt mit einem vergleichbaren Knalleffekt – und keines weckt so unmittelbar politische Assoziationen. Als Palermo, Palermo am 17. Dezember 1898 uraufgeführt wurde, lag der Fall der Berliner Mauer gerade sechs Wochen zurück und Gesellschaft wie Theater fanden sich unversehens in einer anderen Welt wieder. Auch andere Szenen bekamen, gewollt oder ungewollt, dadurch eine andere Dimension: So gibt es eine Szene, in der ein Tänzer aus einem großen Karton feierlich Obst auspackt (und später wird das Ensemble mit Obst gegen die Bühnenrückwand werfen). Oder wenn ein Tänzer sich einen Kranz aus Zigaretten aufsetzt und das Feuerzeug erhebt – und somit zur Persiflage auf die New Yorker Statue of Liberty, das Symbol westlicher Freiheit schlechthin wird – dann hatte das einen tagesaktuellen Kontext.

Natürlich lag es Pina Bausch fern, ein politisches Stück zu machen, und neu vereinigt deutsch-deutsche Befindlichkeiten sind beim Wuppertaler Tanztheater angesichts des internationalen Ensembles sowieso bestenfalls durch die globale Brille betrachtet worden (das man seinerzeit nicht am Tagesgeschehen vorbei kam, ist eine andere Sache). Menschen, die sich in (seelischen) Trümmerlandschaften orientieren, gehörten dagegen seit je zum Schaffen der Choreographin. Wasser, Torf, Sand, das sind Materialien, auf und mit denen – oder trotz denen – sich das Tanztheater in den Stücken Pina Bauschs behaupten musste. Ein Feld aus Mauersteinen, jeder fließenden Tanzbewegung entgegen stehend, spitzen das in extremer Form zu.

Szenenfoto Ensemble vor gefallener Mauer

Kaum ist die Mauer gefallen und hat sich der Staub leidlich gelegt, kommt Julie Shanahan, die große, blonde Schöne, über das Trümmerfeld nach vorne. „Scott, take my hands“: Mal befehlend, mal flehend fordert sie Schutz, Zärtlichkeit, wechselt selbst zwischen Aggression und Verzweiflung. Wie sie zusammenbricht, im nächsten Moment wieder herrisch Anweisungen erteilt, wie sie in dieser kurzen, ungemein bewegenden Szene eine riesige Bandbreite widerstrebender und ambivalenter Gefühle ausdrückt, das hat mehr Kraft als viele komplette Theaterabende. Im ersten Teil, der mit einem sehr dynamischen, fast hektischen, sehr energiegeladenen Ensemble schließt, ist es vor allem ihr Stück.

Bereits 1986 hatte Pina Bausch Victor in Kooperation mit dem Teatro Argentino in Rom produziert und aus einem längeren Aufenthalt des Ensembles in Rom neue Impulse geschöpft - Palermo, Palermo ist in weiten Teilen in, der Titel sagt es, Palermo entstanden. Heraus gekommen ist natürlich kein Sizilien-Heimatstück oder gar Folklore. In langen Szenen mit monotonem Glockengeläut ahnt man etwas von sizilianischer Stimmung, manche Bilder und Momente spielen mit Sizilien-Klischees: Der fast leitmotivisch wiederkehrende Revolver lässt an die Mafia denken, oder wenn Nazareth Panadero angesichts eines Bündels Spaghetti insistierend mitteilt: „ Das sind meine! Die gehören mir!“ (was nichts hilft, Dominique Mercy wird sie ein paar Szenen später ungerührt zerbrechen), dann ist das sehr italienisch. Es gibt weitere, weniger eindeutige Momente, aber in der Summe hat man den Eindruck, dass vor allem ein gewisses Chaos das Stück inspiriert hat. So viel Durcheinander, so viel Müll war selten. In einer trauermarschartigen Prozession wirft das Ensemble feierlich mit ausgedienten Plastikverpackungen um sich. (Nebenbei: Am Tag nach dieser Wiederaufnahme widmete eine große deutsche Tageszeitung dem Müll von Palermo beinahe eine ganze Feuilletonseite).

Spiralförmig öffnet sich das sehr konzentriert beginnende Werk, wird zerfahrener, auch immer skurriler, driftet auseinander einem offenen Ende zu. Im zweiten Teil kommt auch das (Ende 1989 in Deutschland allgegenwärtige) Pathos ironisch zu seinem Recht. Sechs Pianisten spielen mit großer Geste und in einer Art Endlosschleife das Hauptthema von Tschaikowskijs b-Moll-Klavierkonzert, während im Hintergrund ein dramatischer Wolkenprospekt herab gelassen wird und die Nebelmaschinen den Effekt noch steigern. Auch gibt es noch eines dieser großen Ensembles, aber auch das wird mit großer Geste. Am Ende werden riesige Kirschblütenzweige herab gelassen, aber sie werden nicht mehr gebraucht, bleiben da liegen, als müsse Palermo, Palermo noch anders weitergehen. In anderen Bausch-Stücken spürt man bei aller Offenheit eine Dramaturgie auf das Ende zu (die früheren Stücke führten ohnehin oft in eine Reprise mit verknappter Wiederholung einzelner Szenen), hier fällt man aus dem irgendwie unfertigen Stück heraus.

Mit dieser Wiederaufnahme beginnen die Feierlichkeiten zum 40-jährigen Jubiläum des Wuppertaler Tanztheaters Pina Bausch: Zum Beginn der Spielzeit 1973/74 verpflichtete der seinerzeitige Intendant Arno Wüstenhofer die junge Tänzerin und Choreographin an die Wuppertaler Bühnen – eine visionäre Entscheidung mit viel Mut, da die Sehgewohnheiten des Wuppertaler Publikums völlig andere waren. Pina Bausch hat anlässlich der Verleihung des Kyoto-Preises 2007 in einer sehr persönlichen Rede an die schwierigen Anfänge erinnert. Mechthild Großmann, selbst lange Mitglied des Ensembles, las eben diese Rede vor Beginn der Vorstellung und im Anschluss an die obligatorischen Grußworte (in denen sich Wuppertals Oberbürgermeister Peter Jung, freilich gerade von den aus dem Ruder laufenden Kosten für den Bahnhofsumbau bedrängt, von einem Tanzzentrum im brach liegenden Wuppertaler Schauspielhaus träumte).


FAZIT

Palermo, Palermo ist im zweiten Teil vielleicht keines der besten Stücke Pina Bauschs, hat aber ganz große Momente - auch ein knappes Vierteljahrhundert nach der Uraufführung.



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Produktionsteam

Inszenierung und Choreographie
Pina Bausch

Bühne und Kostüme
Peter Pabst

Kostüme
Marion Cito

Probenleitung und Mitarbeit
Bénédicte Billet
Robert Sturm (Wiederaufnahme)

Musikalische Mitarbeit
Matthias Burkert


Solisten

Tänzerinnen und Tänzer
Regina Advento
Ruth Amarante
Pablo Aran Gimeno
Rainer Behr
Andrey Berezin
Matthias Burkert
Aleš Čuček
Silvia Farias Heredia
Scott Jennings
Barbara Kaufmann
Daphnis Kokkinos
Eddie Martinez
Dominique Mercy
Thusnelda Mercy
Cristiana Morganti
Nazareth Panadero
Jorge Puerta Armenta
Jean-Laurent Sasportes
Franko Schmidt
Azusa Seyama
Julie Shanahan
Julie Anne Stanzak
Fernando Suels Mendoza
Anna Wehsarg
Paul White

Pianisten
André Enthöfer
Matthias Geuting
Christoph Iacono
Johann Kirschniok
Ed Kortlandt



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Tanztheater Wuppertal
(Homepage)




Da capo al Fine

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