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Musiktheater
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Aida

Oper in vier Akten
Libretto von Antonio Ghislanzoni
Musik von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Zürich am 2. März 2014
(Besuchte Aufführung: 22. März 2014)


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Opernhaus Zürich
(Homepage)
Radamès leidet am PTBS

Von Thomas Tillmann / Fotos von Monika Rittershaus

"Vergogna!"-Rufe soll es nach der Premiere von Tatjana Gürbacas Neuinszenierung von Verdis Aida gegeben haben, ein Buhkonzert erster Güte, wie es Regisseurinnen und Regisseure ja insgeheim lieben, können sie sich doch dann ganz als unverstandene Künstler fühlen, die dem reaktionären Opernpublikum gar nicht gefallen wollen, schon gar nicht dem bekanntermaßen sehr konservativen in Zürich. Das am Abend Gesehene rechtfertigt die Aufregung freilich nicht, die Inszenierung ist nicht wirklich verstörend, provozierend-aggressiv oder innovativ, sondern gemessen an deutschen Regietheaterstandards recht brav und nicht ganz so bedeutend, wie man es von einer Regisseurin erwartet, die bereits jetzt bis 2017 ausgebucht ist, und sie hat vor allem erhebliche Längen, sie ist sehr vorhersehbar und nicht selten ein wenig platt. Es ist freilich nicht so, dass Gürbaca und ihr Team ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätten, da liest man viel Kluges, gut Recherchiertes und Erhellendes im Programmheft: Natürlich ist Aida ein Antikriegsstück, natürlich ist es auch ein Kammerspiel, das können auch die nicht leugnen, die immer noch gern Ägypten-Folklore und Arena-Klamauk sehen wollen. Die Regisseurin stellt sich nachvollziehbar konsequent gegen die "zum Klischee geronnenen Aufführungstraditionen" (so Produktionsdramaturg Claus Spahn in den Veröffentlichungen des Hauses) und möchte die überzeitliche Relevanz des beliebten Werkes aufzeigen, bezieht Stellung gegen eine "saturierte, in ihren Strukturen festgefahrene Wohlstandsgesellschaft - also etwas, das uns heute sehr vertraut vorkommt". Das Stück funktioniert grundsätzlich auch in modernem Ambiente (Bühnenbild und Lichtgestaltung: Klaus Grünberg), man liest im Theatermagazin MAG, welche Herausforderung es sei, die Wände des Bühnenbildes von einer Szene zur nächsten plötzlich transparent und dann wieder undurchsichtig werden zu lassen, und dass sich mit mit Wandflächen, Fenstern und Türen bemalter Tüll, der undurchsichtig ist, wenn von vorn Licht darauf fällt, durch den man aber hindurchsehen kann, wenn dahinter Licht ist, der Eindruck, dass die Realität ständig in Wunsch- und Traumwelten kippe und dass die einzelnen Szenen nebeneinander stehen oder wie im Film ineinander geblendet seien (Verdi komponiere "ständig Gegenschnitte, Kamerafahrten, Close-ups und Zooms", hat die Regisseurin entdeckt und nennt als Beispiel Aidas Solokadenz am Ende des zweiten Aktes), am besten habe realisieren lassen. Man liest, welch technischer Aufwand etwa für den Bodenbelag oder die Idee gerieben wurde, den Spielort schwebend wirken zu lassen, das Endergebnis blieb dabei für meinen Geschmack eher enttäuschend, besonders die nervigen Kugellampen versperren einem mehr als einmal die Sicht.

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Migrantin Aida (Latonia Moore) arbeitet als Hausangestellte beim König.

Gürbaca findet die Figur des Radamès besonders spannend, sie will zeigen, was der Krieg aus ihm macht, den er noch bei den Vorbereitungen als "Erfahrung", als challenge empfinden mag. Die Flashbacks indes, die den vom posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS) Gepeinigten während des Triumphmarsches einholen, sind allzu harmlos, zu konventionell, zu künstlerisch verfremdet, das rüttelt nicht auf, sondern das nimmt man eher beiläufig zur Kenntnis. Und die Idee, länger Zurückliegendes durch Rückblenden in ariosen Passagen zu erhellen, nutzt sich schnell ab (etwa wenn Amonasro in einer von ihnen mit seinen drei Kindern spielt). Amneris ist eine Mittdreißigerin in der Sinnkrise und mit akutem Alkoholproblem (Aida nimmt ihr ohne längerfristigen Erfolg das Getränk aus der Hand), die das Repräsentieren in schicken Outfits (von Silke Willrett, der leider sonst nicht mehr viel eingefallen ist, was besonders im Falle der Titelfigur kein Vorteil ist) leid ist und die echtes Glück in Radamès' Armen vermutet. Dass ihr dabei die Hausangestellte in die Quere kommt, ist mehr als ärgerlich, wieso diese in dieser ja aktualisierten Sichtweise überhaupt ins Haus kommt (Sklaverei gibt es in modernen militärischen Konflikten ja nun nicht), bleibt eine der hinderlichen Vorgaben des Stücks, über die man sich als Regisseurin offenbar hinwegsetzen kann (das Problem ist nicht damit gelöst, sie einfach als Migrantin zu bezeichnen). Überhaupt bleibt Aida an diesem Abend allzu sehr Nebenfigur.

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Amneris (Iano Tamar) ist am Boden, als sie erfährt, dass die eigene Hausangestellte ihre Konkurrentin um Radamès' Herz ist.

Arg vordergründig fand ich den für die Bühnentechnik sicher nicht leichten coup de théâtre nach Amneris' Fluch, wenn die Bühne mit Asche und Steinen überzogen wird und zu einer Art Wüste mutiert. In diesem Ambiente spielt die (sehr schwache) Schlussszene: Die Grabkammer, die keine ist, wird ein "Gegenentwurf zur existierenden Gesellschaft", Amneris und Aida versöhnen sich noch schnell, bevor sich das Paar auf einer der Sitzlandschaften zusammenkuschelt (wie unglücklich, dass die Polster dabei so knarzen). Das Ende bleibt offen, man könnte auch sagen unentschlossen, harmlos und ein wenig banal wie der ganze Abend - die Umsetzung auf der Bühne bleibt hinter den im Programmheft geäußerten Ideen deutlich und schmerzlich zurück. Und auch das muss gesagt werden: Es hilft, wenn man nicht allzu genau auf das gesungene Wort achtet, das stört ja häufig in solchen Inszenierungen, und man wird gern als beckmesserisch und kleinlich abgewatscht, wenn man sich erlaubt, darauf hinzuweisen. Ich frage mich ehrlich gesagt auch, wie Amonasro in unseren Tagen hätte unerkannt bleiben sollen - wie der äthiopische König aussieht, hätte man mit einem Klick bei Google herausfinden können.

Latonia Moore wird in den Publikationen nahezu als Heilsbringerin in Sachen Titelpartie gefeiert. Ihre Annäherung an Verdis Vorgaben ist indes mitunter doch etwas großzügig hinsichtlich Rhythmik und Intonation, das gefürchtete Nilarien-C war das kürzeste, das ich je gehört habe, aber es war da. Die Amerikanerin überzeugt vor allem in den Ensembleszenen, eine leicht metallische Färbung der grundsätzlichen bemerkenswerten, leuchtenden, aber nicht sensationellen Stimme garantiert das Durchkommen. Einige sehr expressive, berührende Momente gelingen der Amerikanerin, aber da gab es auch viele sehr allgemeine oder arg grelle, plakative, die bei einer Sängerin enttäuschen, die Angst vor einem "Aida-Burnout" hat, nachdem sie sie nach ihrem Sensationseinspringer an der Met in zahlreichen Produktionen übernommen hat. Grundsätzlich fehlte es ihrem Singen ein wenig an Stil.

Ich muss wiederholen, was ich seit längerer Zeit beobachte: Es gibt eine Krise des Verdigesangs. So kann ich mich nicht erinnern, in den letzten Jahren irgendwo eine wirklich gute Amneris gehört zu haben. Veronica Simeoni war eine ordentliche Isoletta in La Straniera, ich könnte mir vorstellen, dass sie auch als Dorabella oder Cherubino einigen Eindruck machen könnte - eine Amneris ist sie sicher nicht, denn dazu fehlt ihr nicht nur die dramatische Stimme, sondern vor allem vokale Persönlichkeit (die die nach der Premiere ausgetauschte Iano Tamar zweifellos besitzt). Enttäuschend, aber angesichts der Überforderung nicht überraschend der Umstand, dass die Stimme gerade in den lyrischen Passagen vibratös, flackernd und unausgeglichen klang, was nicht heißt, dass man das Bemühen um Schöngesang nicht registriert hätte, um sorgfältige Ausgestaltung der Phrasen. Die Italienerin hatte für mein Empfinden nur einen wirklich guten Moment, das war der Beginn der Nilszene, und der ist weder besonders schwer noch lang und kommt vor allem nach einer komfortablen Pause. In der Gerichtsszene dann bot sie jede Menge flache Töne ohne Gewicht in Mittellage und Tiefe, ohne Durchschlagskraft und Brillanz in der Höhe (und dabei durfte sie nun fast immer nah an der Rampe singen). Im Foyer schnappte ich den Begriff "Mezzosoubrette" auf, der das Phänomen nicht schlecht beschreibt, der einsame, aber energische Buhrufer mag sich uncharmant betragen haben, in der Sache hatte er nicht unrecht.

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Amonasro (Andrzej Dobber) befindet sich unter den Kriegsgefangenen.

Aleksandrs Antonenko ist mittlerweile eine feste Größe im dramatischen Tenorfach, und auch wenn das Timbre nicht das Gefälligste ist und er als Darsteller keine Offenbarung ist, so war er doch keine schlechte Wahl für den Radamès. Die Mittellage hat Gehalt und dramatische Färbung, hebt sich allerdings sehr von der deutlich helleren, metallischeren Höhe ab, die natürlich für einige Passagen unerlässlich ist. Ich mochte es mehr, wenn er sich um Legato und Phrasierung bemühte, wenn er der Stimme zartere, sensiblere Töne abzugewinnen suchte, etwa in der Romanze (mit trompetenhaft gestemmtem B, aber wer kann das schon wirklich im Piano singen?) oder später im Duett mit Aida. Am besten hat mir an diesem Abend Andrzej Dobber gefallen, und zwar vor allem weil er der einzige war, der wirklich eine dreidimensionale Figur auf die Bühne zu bringen verstand, der Ausdruck aus einer klugen, differenzierten Ausdeutung von Noten und Text entwickelte und der auch das nicht immer einfache Erreichen hoher Töne in sein differenziertes Rollenportrait zu integrieren wusste. Erfüllter Verdigesang eben. Rafal Siwek war mit mächtigem slawischen Bass ein ordentlicher Ramfis, Pavel Daniluk machte mit müdem Bass deutlich, warum sich der König einen Mann für seine Tochter wünscht, Sen Guo war die sehr akkurat singende Sacerdotessa, Dmitry Ivanchey ein Bote mit sehr angenehmer Tenorstimme. Nicht wirklich überzeugen konnte dagegen der von der Regie häufig ins Off verdrängte Chor, da klapperte es doch einige Male bedenklich, was Profis an einem solchen Haus so nicht passieren sollte.

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Das Schlussbild: ein Ort der Zerstörung, an dem Amneris (Iano Tamar) neben dem Liebespaar zurückbleibt.

Eine kammermusikalische Aida sollte es nach Willen des musikalischen Leiters sein ("In Aida geht es um die Konzentration auf die Intimität des Stücks. Und der werde ich auch in meiner Interpretation nachspüren", hatte Fabio Luisi erklärt), das ist kein neuer Ansatz, aber ein möglicher, und das passt natürlich zu dem Entrümpelungsansatz der Inszenierung. Man hörte folgerichtig immer wieder schöne Details, Feinheiten, die untergehen an anderen Abenden, ein sehr zartes, transparentes Vorspiel auch mit sehr ausgeklügelter Phrasierung, aber insgesamt blieb das alles etwas anämisch, kühl und sehr kalkuliert, das Spiel der Philharmonia Zürich hätte für mein Empfinden an der einen oder anderen Stelle doch etwas rhythmischer, martialischer und einfach weniger sublim, mehr Emotionen freisetzend, auch das Herz berührend sein dürfen. Ich wurde leider auch das Gefühl nicht los, dass Luisi die längste Zeit nur mit seinem Orchester beschäftigt war und ihm ziemlich egal war, was auf der Bühne passierte und was seine Solisten trieben, was nicht heißt, dass er ihnen durch aberwitzige Tempi oder Lautstärke das Leben unnötig schwer gemacht hätte.

FAZIT

Ein Skandal war diese neue Zürcher Aida eigentlich nicht, eher ein ambitionierter Abend, der hinter den eigenen Ansprüchen und Absichten sowohl szenisch als auch musikalisch zurückbleibt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Fabio Luisi

Inszenierung
Tatjana Gürbaca

Bühnenbild
und Lichtgestaltung
Klaus Grünberg

Kostüme
Silke Willrett

Choreinstudierung
Jürg Hämmerli

Dramaturgie
Claus Spahn

 

Chor der Oper Zürich

Chor-Zuzüger

Zusatzchor SoprAlti

Statistenverein am
Opernhaus Zürich

Kinderstatisterie

Philharmonia Zürich


Solisten

Aida
Latonia Moore

Amneris
Veronica Simeoni

Una sacerdotessa
Sen Guo

Radamès
Aleksandrs Antonenko

Amonasro
Andrezej Dobber

Ramfis
Rafal Siwek

Il Re
Pavel Daniluk

Un messagero
Dmitry Ivanchey


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Opernhaus Zürich
(Homepage)



Da capo al Fine

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