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Nichts wesentlich Neues im Western, aber viel Gutes
Von Thomas Tillmann
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Fotos von Monika Rittershaus
In seiner im Rahmen der "Prometheus. Entfesslung der Kräfte" überschriebenen Zürcher Festspiele herausgekommenen Neuinszenierung von La Fanciulla del West zeigt Barrie Kosky eine abgeschiedene Welt am Ende derselben, ein "Anti-Eden": Bevor man die schmutzig-verschwitzten, aggressiv-rauhen, animalischen, traumatisierten, gescheiterten, heimatlosen Minenarbeiter sieht (oder bohren sie nach Öl?), sieht man vor düsterem Hintergrund ihre Grubenlichter, einer der wunderbaren Beleuchtungseffekte von Franck Evin. Sie leben in einem verrotteten Bunker, in dem weißen Rahmen, der ihn umgibt, sind Löcher, eine provisorische Bretterwand dient als Theke - ein klaustrophobischer, trauriger Ort, der auch noch durch eine Kante zwischen Spielfläche und Souffleurkasten begrenzt ist (diese Menschen leben im wahrsten Sinne des Wortes am Rand). Minnie tätschelt und krault ihre Jungs wie Hunde, sie ist dabei keine zwanzigjährige Salonschönheit, sondern eine durchschnittlich attraktive Frau, die schon eine Weile da draußen ist und durchaus mütterliche Züge hat, ein Engel der Verlorenen eben. Auch ihre Behausung ist rührend erbärmlich (da gibt es während des Rendezvous ungewöhnlich komische Momente, wenn Dick Johnson das spärliche Interieur unter die Lupe nimmt). Trist und düster ist das Leben der Minenarbeiter (Chor der Oper Zürich und Statistenverein am Opernhaus Zürich).
Kosky fördert keine grundsätzlich neuen Aspekte zutage, er erzählt gekonnt und spannend, kraftvoll und temporeich die bekannte Geschichte, so dass man manchen Zuschauer und manche Zuschauerin dabei erwischt, wie er oder sie an der Kante des Sitzes kauert voller Erwartung, was als Nächstes passiert. Charakteristisch für die Erzählweise Koskys ist der Wechsel von absolutem Stillstand (etwa beim Lied des Jack Wallace, das Kosky zwischen dem zweiten und dritten Akt von einem Banjospieler wiederholen lässt und von einem Gewitter begleiten lässt, beides überflüssige Ideen natürlich - wenn Puccini das gewollt hätte, hätte er es geschrieben) und detailverliebter Aktion, von Standfotos gleichsam hin zu prallem Actionfilm. Und man spürt, dass der Regisseur alle Figuren liebt, das mag die Ursache dafür sein, dass sie alle mehr Profil haben als in anderen Produktionen, und er versteht auch mit dem Chor zu arbeiten. Nicht überzeugend fand ich seine Anlage der Wowkle, die mit Bart daherkommt und ihre aufgestauten Frustrationen an ihrer Puppe auslässt. Dass Minnie sich dagegen am Ende des zweiten Aufzugs übergibt anstatt hysterisch zu lachen, fand ich sehr nachvollziehbar. Die Bibelstunde mit ihrer Minnie (Catherine Naglestad) ist der Höhepunkt des Tages im tristen Leben der Minenarbeiter. Catherine Naglestad war die vielleicht beste Minnie, die ich live gehört habe - die Sorgfalt der Phrasierung, die fast liedhafte Ausgestaltung der leiseren Passagen etwa in der Bibelstunde, die wunderbaren Piani, die Raffinesse in "Una partita a poker", in der man sonst gern reichlich Derbes geboten bekommt, aber auch herbere, entschlossenere Töne, wenn sie sich mit ihren Männern auseinandersetzt oder klarstellt, dass jeder, der ans Gold ihrer Männer will, erst an ihr vorbei muss, die völlig unverkrampften, strahlend-üppigen, faszinierenden Spitzentöne, die sie zudem auch noch mühelos abschwellen lassen konnte, all die Qualitäten eines dramatischen Soprans, den man gern irgendwann als Salome oder Isolde hören würde (es sei an ihre hervorragende Amsterdamer Sieglinde und die auch nicht schlechte Siegfried-Brünnhilde erinnert) waren nichts weniger als eine Freude, und eine charismatische Darstellerin ist die Künstlerin auch. Jack Rance (Scott Hendricks) ist rasend verliebt in Minnie (Catherine Naglestad).
Zoran Todorovich ist mit strähnigem grauen Haar und Motorradhelm auch nicht gerade der Märchenprinz, da passt sein tenoraler Machoton natürlich hervorragend, der allerdings auch ein wenig an Farbe verloren hat im Vergleich zu früheren Jahren. Immerhin, auch einige Pianoversuche sind zu vermelden, und: Kosky hat es geschafft, auch ihn zu differenzierter Gestaltung zu bewegen. Scott Hendricks singt den Jack Rance zum ersten Mal und zeigte sich um feinere Nuancen bemüht, ich fand ihn darstellerisch überzeugender als vokal, obwohl er der Partie auch in den mächtigen Entladungen nichts schuldig bleibt: Er zeichnet einen verletzten, sehr einsamen Mann ohne Perspektiven, nicht einen Klischeebösewicht. Am Ende bleibt er allein mit seinem Revolver auf der Bühne zurück, ob er sich tatsächlich erschießen wird, lässt Kosky offen. "Un bacio!" - Dick Johnson (Zoran Todorovich) und Minnie (Catherine Naglestad) kommen sich näher. Mit strahlend-hellem, legatostarken lyrischen Tenor war der spielfreudige Sunnyboy Dladla ein ganz hervorragender Nick, von den übrigen tadellos singenden wie spielenden Mitwirkenden sei noch Yuriy Tsiple erwähnt, der mit besonders schönem Ton das Lied des Jack Wallace gab. Mario Armiliato machte bereits mit den ersten Takten klar, wohin die musikalische Reise ging, ein vollmundiger, leidenschaftlicher, mitreißender Puccini drang da ans Ohr, der nicht minder spannend klang als das Bühnengeschehen daherkam.
Keine Frage, dieser Abend war einer, der dem stolz getragenen Namen "Opera Company of the year" alle Ehre machte - das Opernhaus Zürich wurde in diesem Jahr mit dem neu geschaffenen International Opera Award ausgezeichnet. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Lichtgestaltung
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Minnie
Dick Johnson
Jack Rance
Nick
Ashby
Sonora
Trin
Sid
Bello
Harry
Joe
Happy
Larkens
Bill Jackrabbit
Wowkle
Jack Wallace
José Castro
Un postiglione
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