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Der Teufel hat die besseren Karten
Von Roberto Becker / Fotos © Lucie Jansch Vier Fäuste und ein Teufel
Sie sind schon einmal am Berliner Ensemble gemeinsam in den Ring gestiegen: Der in Berlin nahezu dauerpräsente Texaner Robert Wilson und der Deutsche Herbert Grönemeyer. Mit Büchners Leonce und Lena liefen sie sich 2003 warm. Mit nicht weniger als Goethes Faust (Teil I und II) machten sie jetzt sozusagen ernst. Wobei das Programmheft schon auf dem Cover einen augenzwinkernden Verweis darauf liefert, dass hier reichlich gekürzt wurde. In der Wilsonschen Schrift ist das „u“ aus dem „Faust“ teuflisch rot aus dem Wort gerutscht, so dass man auch „Fast I und II“ lesen könnte. Quasi als Entschädigung gibt es dafür etliche der bekanntesten Zitate als da capo. Humor und Leichtigkeit verspricht Wilson im Programmheft, und die liefert er auch. So geht es denn in der Strichversion von Jutta Ferbers (bei der zum Beispiel Auerbachs Keller und Walpurgisnacht schmerzlich fehlen) in doch noch reichlich vier Stunden über das literarische Hochgebirge der deutschen Literatur. Nicht auf Mephistos, aber doch auf Wilsons Zaubermantel. Mit leichter Hand und ziemlich fröhlich. Vom Graben in den unteren Schichten ist da allenfalls die Rede, wenn es im zweiten Teil um die Erfindung des Papiergeldes geht. Nicht aber auf der Suche nach Bedeutung. Meistens funkelt eher die Oberfläche der Bilder aus dem bewährten Repertoire der Wilson-Factor: Das Personal ist ins Künstliche geschminkt und stilisiert gekleidet. Zackige Bewegungen werden mit Comic-Geräuschen begleitet. Oder man sieht alle im Profil als bewegliches Scherenschnitt-Tableau. Mephisto steht im Mittelpunkt
Dann aber brechen die altbekannten Arrangements immer mal wieder auf: Beim Prolog im Himmel, der als Dialog mit einer goldgerahmten Frau Gott daher kommt, spielt Wilson bewusst mit dem angekitschten Mummenschanz. Die jagende Raubkatze auf einem eingespielten Video genügt ihm in ihrer brutalen slow-motion-Eleganz als Anspielung auf den Raubtierkapitalismus. „Tausch wollt ich, nicht Raub“ sagt Faust bezogen auf Philemon und Baucsis. In der Szene mit den beiden Alten unter dem über ihnen schwebenden Häuschen zitiert sich Wilson mit einem Detail selbst. Jenes Wippen mit den Füssen, das den Alten den Tanz ersetzt, hatte in den Shakespeare Sonetten am gleichen Ort charmanten Witz, weil da Inge Keller als Shakespeare und Jürgen Holz als seine Königin hinter den Masken steckten, und sie natürlich grandios durchbrachen. Das gelingt Joshua Seelenbinder und Dorothee Neff nicht. Überhaupt: Diese Individualisierung durch die Maske hindurch gelingt in dieser Produktion von allen 19 Darstellern wirklich nur dem teuflischen Christopher Nell. Natürlich funktioniert so ein Unternehmen nur dann, wenn das Versgebirge deutlich abgeschmolzen wird. Da bleibt dann mitunter auch einmal der direkte Sinnzusammenhang auf der Strecke. Aber Faust-vorgebildet, wie das Publikum ja immer noch ist, können die Zuschauer (zumindest im ersten Teil) wohl die meisten angefangenen Verse selbstständig vollenden. Am Hof des Kaisers schimmert es golden
Die Textfassung hangelt sich zügig an den gängigsten Stellen entlang. Stellt sie aus wie einen Bilderbogen. Bei dem dann auch die Gretchen-Tragödie ziemlich possierlich daherkommt. Zumal drei der ursprünglich zu fünft angetretenen und sich den Text mitunter satzteilweise aufteilenden Faustdarsteller bei den drei Gretchens im Kerker bleiben. Damit bleibt für den zweiten Teil nur noch einer übrig. Für die Reise durch die große Welt ist Fabian Stromberger als Faust das einzelne bürgerliche Individuum, als dessen Prototyp dieser so unternehmungslustige wie skrupellose Gelehrte bei Goethe ja gilt. Aber Show ist Show. Da hat Mephistopheles per se die besseren Karten. Und die spielt Christopher Nell weidlich aus. Er macht das virtuos. In rot mit freier Brust und zwei Hörnern auf dem Kopf. Ein Entertainer des Lebens, der oft die augenzwinkernde Komplizenschaft mit dem Publikum sucht, wenn er die anderen nachäfft. So wird er zum eigentlichen Protagonisten und macht das Ganze eher zu einem Mephistophical als einem Faustical. Auf der Reise in die Welt der Mythen
Für den Drive des Abends sorgt Herbert Grönemeyer. Der erfindet sich nicht neu, lässt sich aber instinktsicher auf Goethes Sprachsound ein und verpasst dem ganzen Abend eine Tonspur, die Freude macht. Das wird nicht langweilig, weil er dafür alle Register zieht und auf einen bunten Stilmix setzt. Das achtköpfige Live-Orchester bietet vom Blues und der Ballade über Flamenco und Jazz alles, was Grönemeyer so eingefallen ist. Da gibt es dann neben Meterware auch echte Highlights wie das "Zum Sehen geboren / zum Schauen bestellt“, dem Türmerlied aus dem zweiten Teil, das Grönemeyer dann sogar selbst in seiner üblichen nöligen Manier als Zugabe fürs jubelnde Premierenpublikum zum Besten gibt. Um ihm dessen Schluss "Ihr glücklichen Augen / was je ihr gesehen, / es sei, wie es wolle, / es war doch so schön“ sozusagen direkt zu widmen. Bis dahin singen sie alle mit ihren Schauspielerstimmen - und auch da schießt der Teufel den Vogel ab. Der kann ganz hoch singen, steppen und sogar jodeln. Man ahnte schon immer, dass diese Kehlkopfverrenkung aus der Hölle kommt… Eigentlich verstehen sich diese beiden ganz gut.
Faust und Mephisto kommen sich bei Wilson näher, als sie es gemeinhin tun. So nahe, dass der Teufel eins von seinen Hörnchen abgibt. Und Faust dieses symbolische Geschenk auch annimmt. Am Ende sitzen die beiden wie ein altes Ehepaar auf einer Bank. Auf die gegenseitig gestellte Frage: "Wohin soll's nun gehen?" antworten sie ebenso gegenseitig: "Wohin es dir gefällt“. Da kriegt sogar Goethes immer leicht nach Sexismus schmeckende Pointe vom „ewig Weiblichen“, das uns hinan zieht, ein recht diesseitiges Aroma. Die Promi-Dichte bei dieser Premiere war noch größer als sonst. Dass die für Kultur zuständigen Berliner Politiker (also der Regierende Bürgermeister Müller und sein Kulturstaatssekretär Renner), die gerade mit ihren Personalentscheidungen in Sachen Castorf-Nachfolge an der Volksbühne den BE-Intendanten Claus Peymann zu einer seiner legendären verbalen Schimpforgien provoziert hatten, fehlten, das fiel auf.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Bühne, Lichtkonzept
Musikalische Arrangements
Kostüme
Licht
Video
Dramaturgie
Orchester
SolistenFaust I
Margarete, Faust II,
Margarete
Margarete
Erzengel, Lieschen, Hexe/Geist
Erzengel, Meerkätzchen, Lieschen
Der Herr, Hexe/Geist
Meerkätzchen, Lieschen
Marthe, Hexe/Geist
Pudel, Hexe/Geist,
Erzengel, Valentin
Mephistopheles
Die Hexe, Geist
Faust
Faust, Lamie
Hexe/Geist
Faust, Hexe/Geist
Valentin
Faust
Faust
Stimme Erdgeist
Faust II
Geist, Nymphe, Trojanerin
Geist, Nymphe, Trojanerin, Baucis
Sphinx, Trojanerin, Sorge
Sphinx, Chor gefangener Trojanerinnen, Not
Helena, Schuld
Hofdame, Manto, Trojanerin, Mangel
Kaiser
Wagner, Raufebold
General, Anaxagoras
Mephistopheles
Erzbischof
Greif, Euphorion
Philemon
Phorkyade, Habebald
Faust
Finanzminister, Thales, Lynkeus
Lamie
Paris, Haltefest
Stimme Homunkulus
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