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Die Ausweitung der BeziehungskampfzoneVon Joachim Lange / Fotos von Priska KettererDieser ungewöhnliche Abend hatte einen Prolog. Deswegen wird sogar die Staatsanwaltschaft ermitteln. Wegen „Schreckung der Bevölkerung“ wie es so unnachahmlich auf Schweizerdeutsch heißt. Aber wer jetzt meint, dass die Basler vergessen haben, was die Freiheit der Kunst ist und dem Regisseur Calixto Bieito das Handwerk legen wollten, der ist gleich zweifach im Irrtum. Erstens ist der Basel Regie-Stammgast Calixto Bieito (51) längst kein Bürgerschreck mehr. Sondern ein ganz ernst zu nehmender, kluger Stückebefrager und Protagonist eines ambitionierten Musiktheaters. Zweitens hatte die Verspätung, mit der sein „Cosi fan tutte“ - Projekt in der Oper Basel über die Bühne ging, gar nichts mit dem Theater zu tun. Am Beckenrand des Tinguely-Brunnens vor dem Opernhaus war am Nachmittag der Kantonspolizei ein Objekt gemeldet worden, das wegen verdächtiger Drähte und unklarer Herkunft fortan wie eine Bombe behandelt, mit einem Bleimantel bedeckt und dann von herbeigerufenen Spezialisten aus Zürich mit Hilfe eines dreiachsigen Spezialroboters mit Greifarm kontrolliert gesprengt wurde. Das Publikum gelangte in der Zwischenzeit über den Bühneneingang ins Foyer. Und konnte sich einen Drink auf Kosten des Hauses genehmigen. Mit einer Stunde Verspätung trat der Basler Intendant Georges Delnon vor das Premierenpublikum, war aber auch nicht schlauer ob es sich nun tatsächlich um eine Bombe gehandelt hat. Despina und Fiordiligi
Der Rauch, der als Wolke vom zerwühlten Doppelbett in den Zuschauerraum zog, der war dann allerdings Inszenierungsbestandteil. Und erinnerte vor allem an den dauerpaffenden Mitautor dieses höchst ungewöhnlichen Mozart-Abends, Frankreichs Literatenstar Michel Houllebecq. Bieito, der Cosi 1999 schon einmal in England an der Welsh National Opera als turbulente Komödie mit ernüchterndem Ausgang inszeniert hatte, hat bei seiner neuerlichen Beschäftigung mit dem Stück, Mozarts und da Pontes genial seiner Zeit vorausgreifendes Beziehungsexperiment sozusagen vom Resultat aus neu gelesen. Er hat all das, was an frustrierender Lebensweisheit über die Endlichkeit des Hochgefühls der Liebe darin steckt, mit Houllebecqscher, nun ja, Frustrationslyrik wie mit einem Erkenntnisverstärker in die Gegenwart hinein verlängert. Und das funktioniert überraschend gut. Glückliche Paare?
Gegen die möglichen Einwände hat sich Bieito abgesichert, in dem er den Untertitel von Cosi fan tutte, von „Schule der Liebenden“ in „eine Geschichte über Liebe, Enttäuschung und Wunschträume“ verändert und als „Projekt mit Musik aus W.A. Mozarts gleichnamiger Oper und Texten von Michel Houellebecq“ bezeichnet hat. Genau das ist es auch geworden. Die eingedampfte Version kommt ohne Wette der Männer um die Treue der Frauen aus. Braucht keinen Verkleidungs-Hokuspokus. Weder den der Männer als Albaner, noch den Despinas als Arzt oder Notar. Und auch keinen Kriegseinsatz. Sie konzentriert sich ganz und gar auf die Selbstbefragung der (einst?) Liebenden. Zu Beginn liegen Fiordiligi, Guglielmo (Iurii Samoilov), Dorabella (Solenn' Lavanant-Linke) und Ferrando (Arthur Espiritu) gemeinsam im Bett unter einer Decke - kann sein, dass da ein Pärchenabend etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Kann aber auch sein, dass alles nur eine Imagination des reiferen Ehepaares Despina und Alfonso ist. SIE erinnert optisch an Sue Allen (aus „Dallas“); ER ist ein Typ wie Heino Ferch. Beide in dem Alter „zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein“. Noemi Nadelmann im blauen Kostüm und mit derangiertem Haar, Andrew Murphy noch im Mantel. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand und so weit von einander entfernt, wie es in diesem white cube nur geht. Und mit Houllebecq im Köcher. Dessen Pfeile werden dann in einer Melange aus französischem Pathos und englischer Nüchternheit aufeinander abgefeuert. Was den italienischen da Ponte-Text quasi in eine diffus entemotionalisierte Gegenwart verlängert. Katzenjammer am Morgen danach
Damit gibt es eine Ausweitung der Houellebecqschen Kampfzone auf die Szenen einer Ehe. Alles changiert hier auf der Grenzlinie zwischen Liebe und Sex, was hier bedeutet, wie jeder den Wechsel zwischen der Ernüchterung in einer Beziehung und dem Begehren nach neuen Erfahrungen für sich zu bewältigen versucht. Szenen einer Ehe: Despina und Alfonso
Dorabellas und Guglielmos Duett Nr. 23 „Il cor vi dono“ wirkt wie ein verzweifelter Ausbruchsversuch, den aber jeder für sich allein durchlebt. Fiordiligis und Ferrandos“ „Fra di amplessi“ (Duett Nr. 29) ergänzt das komplementär bei den andern beiden. Mit dem Terzett Nr. 10 „Soave sia il vento“ schließlich verabschieden sich alle. Aber nicht voneinander, sondern von jeder Hoffnung auf dauerhafte Liebe, die mit ungebrochenem sexuellen Begehren einhergeht. So sind insgesamt knapp zwanzig Nummern aus der Oper in einer ganz anderen, alles Leichte und Komödiantische eliminierenden Reihenfolge neu zusammengestellt, durch Houellebecq-Texte unterbrochen bzw. verbunden. Das fabelhafte Sinfonieorchester Basel unter der umsichtigen Leitung von Ryusuke Numajiri und das Hammerklavier sind auf der Bühne hinter dem Bett platziert und bis kurz vor dem Ende durch eine Gaze dem Blick nahezu verborgen. Zum Quintett “Di scivermi ogni giono“ geht diese Rückwand hoch und das Orchester wird voll sichtbar. Wie schon das erste, so behält Despina auch das letzte Wort. Sie ist jetzt allein, nachdem sich alle anderen, jeder für sich, davon gemacht haben. Mit einem abschätzig selbstbewussten „In uomini, in soldati“ bezieht sie die Betten neu. Mit einem einsamen, aber doch selbstbewussten weiblichen „Na und?!“ FAZITCalixto Bieito ist eine faszinierende Befragung von Mozarts Così fan tutte gelungen. Luxus wäre, diese Variante direkt der üblichen Nummernfolge gegenüber zu stellen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Mitarbeit Bühne
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten
Fiordiligi
Dorabella
Ferrando
Guglielmo
Don Alfonso
Despina
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