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Les Contes d‘Hoffmann
(Hoffmanns Erzählungen)

Opéra fantastique in fünf Akten
Libretto von Jules Barbier
nach dem Schauspiel von Jules Barbier und Michel Carré
Musik von Jacques Offenbach
basierend auf der Ausgabe von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck


in französischer Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus Bonn am 15. März 2015


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Theater Bonn
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Vor so viel Theater muss auch der Teufel kapitulieren

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu


Da muss der Teufel seine Hand im Spiel gehabt haben! Als solle von dunklen Mächten die Uraufführung von Hoffmanns Erzählungen verhindert werden, ist die Entstehungsgeschichte der Oper eine Geschichte von Katastrophen. In Kurzform: Das Theater, an dem Offenbach das Werk eigentlich herausbringen wollte, musste wegen Insolvenz geschlossen werden. Die Pariser Opéra-comique brannte nach der Uraufführung nieder, das Wiener Ringtheater sogar während einer Aufführung eben jener Oper - mit mehreren hundert Todesopfern. Offenbach war da längst gestorben, ohne die Partitur vollendet oder auch nur eine endgültige Konzeption vorgelegt zu haben - was bis heute zu heilloser Verwirrung bezüglich der "gültigen" Fassung führt.

Szenenfoto

Hoffmann in der Höllen-Bar

Eine Oper, bei der in jeder Szene der Teufel auftrete, sei womöglich mit einem Fluch belegt, glaubte mancher seinerzeit - und Regisseur Renaud Doucet greift diesen Gedanken ganz konkret auf. Kaum hat der Dirigent den Einsatz gegeben, da erscheint dieser Teufel höchstpersönlich, lässt die Musik abbrechen und erklärt, diese Oper auch weiterhin verhindern zu wollen wie schon damals mit den Theaterbränden - und als Demonstration seiner höllischen Macht lässt er auf Fingerschnipsen die Partitur in Flammen aufgehen. Gelingen wird diese Opernverhinderung natürlich nicht. Aber der Teufel schlüpft in die Haut Lindorfs, des vielgestaltigen Gegenspieler des Dichters Hoffmann in der nachfolgenden Oper, und wird dort sein Unwesen treiben wie gewohnt.

Szenenfoto

Im physikalischen Kabinett: Olympia und Spalanzani

Wenn der Vorhang sich öffnet, dann sieht man die Ruine eines abgebrannten Theaters, und aus den neobarocken Ornamenten verlebendigt sich die Muse, einst als Allegorie ins Gips und Stuck modelliert, jetzt mattdunkelgolden angemalt beseelt von dem Willen, den Künstler gegen Welt und Teufel zu verteidigen. Aber welchen Künstler eigentlich? Hoffmann sollte man denken (so steht's im Textbuch), aber auch Komponist Jacques Offenbach tritt als ziemlich lebendige Skulptur auf, und dem wird im Finale auch die Apotheose gelten. Zu viel nach strenger Logik darf man da nicht fragen. Doucet und sein Ausstatter André Barbe wollen ja auch gar nicht mit mächtiger Regietheaterpranke zuschlagen. Die wollen nur spielen.

Szenenfoto

Antonia mit Dr. Mirakel, im Hintergrund der singende Geist der Mutter

Ihren Spieltrieb leben sie dann auch mit immensem Aufwand aus. In die Theaterruine fährt zunächst im Cartoon-Stil die "Höllenbar" hinein, die Luthers Weinkeller ersetzt und schrille Gäste aus der Gegenwart präsentiert. In der Ruine ist dann Spalanzanis physikalisches Kabinett untergebracht mit einer gigantisch matronenhaften Puppe Olympia und allerlei roboterhaften Wesen, wie man sie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorgestellt haben mag. Für den dritten Akt verwandelt sich die Ruine in einen in Schnee und Eis erstarrten Salon mit einer Sängerin Antonia, die man in den 1920er-Jahren ansiedeln kann, und der Venedig-Akt fährt neben einem gigantischen Spiegel unter anderem noch angedeutete Gondeln auf, die mitsamt freizügig bekleideter Damen (denen man Brüste im XXXL-Format angehängt hat) vom Schnürboden herab um die Mussolini-Diva Giulietta herum schweben - aber da hat man sich schon ein wenig satt gesehen von diesem überbordenden Prunk, der seine Kulissenhaftigkeit nicht verleugnet, der die Ästhetik von Disney-Zeichentrickfilmen übernimmt und mit Filmzitaten jongliert, fernab allen Realitätsdenkens alles bewusst ins Maßlose übertreibt und mit hochkomischen Details um sich wirft, dass einem beinahe Hören und Sehen vergeht. So viel Fantasie, so viel Aufwand war selten. Und permanent steht man vor der Frage: Lasse ich mich ein auf dieses doch sehr unterhaltsame Spiel, oder wende ich mich, erschlagen von dem Überaufgebot an Kitsch, entgeistert ab? (Das Bonner Premierenpublikum entschied sich in großer Mehrheit für die erste Variante.)

Szenenfoto

Venezianische Gesellschaft: Hoffmann vergnügt sich, im Hintergrund Giulietta

Einen Kunstgriff hält Doucet aber noch bereit: Unter allen Fantasiegestalten bleibt sein Hoffmann eine reale Figur, und damit bekommt die Künstlichkeit dieser Bühnenwelt einen Referenzpunkt: Es ist eben alles ein großes Spiel. Eigentlich sollte Ali Megomadov die Titelpartie singen, fiel aber kurzfristig aus. Als Ersatz ist der junge Franzose Sébastien Guèze kurzfristig eingesprungen - und der ist eine echte Entdeckung. Der kleine, schmächtige Sänger passt mit seinem jugendlich-naiven Charme perfekt in die Inszenierung, und die strahlende, bewegliche, durchsetzungsfähige und klangschöne Stimme ist eine Wucht. Ein wenig Sorge durfte man haben, ob die Kondition angesichts des forschen Auftretens in den ersten beiden Akten wohl reichen werde (und ein wenig bedachtsamer teilte sich Guèze die Partie danach auch tatsächlich ein) - aber er hielt durch.

Szenenfoto Großes Finale mit Muse und Jacques Offenbach

Mit großer, scharf pointierter Stimme verkörpert Martin Tzonev eindrucksvoll die Bösewichte (die lyrischen Momente liegen ihm weniger). Die Partien der Olympia, Antonia und Giulietta (und der Stella, die eigentlich gar nicht singt, aber im Finale noch ein paar Takte mitmachen darf) sind hier einer Sängerin anvertraut, nämlich Netta Or - die schlägt sich mit metallisch leuchtendem Sopran tapfer, aber die dramaturgisch sinnvolle Idee (natürlich sind alle Frauentypen Facetten der von Hoffmann angebeteten Stella, das spricht er ja explizit aus - wozu muss man das dann noch durch eine solche Besetzungsentscheidung wiederholen?), aber musikalisch sind das eben doch drei verschiedene Charaktere. Netta Or gibt mit ihren Möglichkeiten eine gute Olympia, eine akzeptable Antonia, eine eher blasse Giulietta ab. Enttäuschend ist Susanne Blattert als Muse, da stehen neben schönen und vollen Tönen unvermittelt auch ziemlich fahle und substanzlose. Durchweg ordentlich sind die kleineren Partien besetzt, und auch der Chor singt klangschön. Unter der Leitung von Hendrik Vestmann spielt das Beethoven Orchester zwei Akte lang ziemlich ungenau, steigert sich dann immerhin zu einer einigermaßen soliden sängerfreundlichen Begleitung. Der schlanke Klang zeigt wenig Farben, und insgesamt klingt das doch ziemlich pauschal, was aus dem Graben kommt. Allen Einschränkungen zum Trotz: Enthusiastischer Beifall.


FAZIT

Wegen Sébastien Guèze in der Titelpartie ein spannender Abend. Die Regie veranstaltet großen Budenzauber mit Liebe zum Detail und fließenden Grenzen zum Kitsch.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Hendrik Vestmann

Inszenierung
Renaud Doucet

Bühne und Kostüme
André Barbe

Licht
Guy Simard

Chor
Volkmar Olbrich


Chor und Statisterie
des Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

* Besetzung der Premiere

Hoffmann
Sébastien Guèze

Olympia / Antionia / Giulietta
Netta Or

Die Muse/Niklas
* Susanne Blattert/
Kathrin Leidig

Lindorf/Coppelius/Mirakel/Dapertutto
Mark Morouse /
* Martin Tzonev

Cochenille/Franz/Pitichinaccio
Christian Georg

Andreas /Spalanzani
Johannes Mertes

Crespel/Luther
* Rolf Broman /
Priit Volmer

Stimme der Mutter Antonias
Charlotte Quadt

Hermann
Enrico Döring

Nathanael
Jonghoon You

Wolfram, Schlémil
Sven Bakin

Wilhelm
Boris Beletskiy

Tänzer
Nathalie Brandes
Melanie Garbrecht
Birgit Mühlram
Anna Pavlova
Miriam Röder
Leonie Thoms



Weitere
Informationen

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Theater Bonn
(Homepage)



Da capo al Fine

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