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Der Prophet (Le prophète)

Oper in fünf Akten
Libretto von Eugène Scribe und Emile Deschamps
Musik von Giacomo Meyerbeer


In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 30 Minuten (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig am 19. Oktober 2014

 

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Staatstheater Braunschweig
(Homepage)

Zum Mit- und Selbstdenken

Von Bernd Stopka / Fotos von Volker Beinhorn

In die Reihe der runden Gedenktage dieses Jahres reiht sich auch Giacomo Meyerbeers 150. Todestag. Aus diesem Anlass eröffnete das Staatstheater Braunschweig die Opernsaison mit dessen Wiedertäufer-Oper Der Prophet (Le prophète) und unternimmt gleichzeitig einen der in den letzten Jahren an verschiedenen Häusern immer wieder einmal aufkommenden  Wiederbelebungsversuche dieses selten gespielten und oft belächelten Komponisten, mit dem man zuerst einmal pompöse Bühnenspektakel, üppigste musikalische Klangorgien und Stimmakrobatik assoziiert. Aber gleichzeitig denkt man auch an die vielfältigen Schmähungen, die der Meister der französischen Grand opéra, (der ursprünglich Jakob Liebmann Meyer Beer hieß und aus Tasdorf bei Berlin stammt) gerade deswegen, aber nicht nur deswegen, ertragen musste und muss. Er hat es Sängern, Ausstattern und Budgetverwaltern aber auch wirklich nicht leicht gemacht. Jede Produktion eines seiner Werke bildet in jeder Hinsicht besondere Herausforderungen. Aber jede gute Produktion ist, vielleicht nicht die am tiefsten unter die Haut gehende, aber doch glänzende Unterhaltung auf hohem Niveau.

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Arthur Shen (Jean), Kinderchor

Regisseur Stefan Otteni gelingt es, zusammen mit Bühnen- und Kostümbildnerin Anne Neuser den Charakter der großen französischen Oper zu bewahren (sie erlauben sogar immer mal wieder ganz klassische Rampensingerei) ohne einem Ausstattungswahn zu verfallen, sondern, ganz im Gegenteil, die karge Weite des Bühnenraums als riesige Gedankenprojektionsfläche freizuschalten, die im Hintergrund lediglich eine große Metallwand begrenzt. Gleichzeitig zeigen sie mit dezenten Aktualisierungen zeitgemäße Parallelen auf und regen dabei eher Assoziationen und Gedankengänge des Zuschauers an, als dass sie ihn mit eindeutigen Bildern bevormunden. Das ist nicht nur löblich, sondern auch höchst angenehm und der Phantasie und Gedankenfreiheit des Zuschauers förderlich. Eine sehr natürlich wirkende Personenregie, die sich teilweise sogar exakt an die ausführlichen Vorgaben in Libretto und Partitur hält, verstärkt diese Denkanstöße. Ort und Zeit: Es kann überall und nirgends sein, aber in Braunschweig auf jeden Fall heute und nicht zur historischen Zeit in Münster.

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Arthur Shen (Jean), Ekaterina Kudryavtseva (Berthe)

Eine Distanzebene bildet der Regieansatz, die Geschehnisse als Erinnerungen und Visionen Jeans zu zeigen, der auf einem kargen Lager an der Rampe liegt und auf seine Hinrichtung wartet. Die Idee ist nicht neu - aber überzeugend. Immer wieder erscheint sein Double auf der Bühne, beide „Jeans“ wechseln die Rollen (wobei nur einer singt) und zuweilen agieren beide so, wie wenn man sich selbst im Traum beobachtet. Mit wenigen Mitteln entstehen intensive optische Eindrücke, geschickte Verwandlungen und im wahrsten Sinne traumhafte Bilder, so etwa wenn Hubpodien verschiedene Spielebenen bilden, versteckte Auftritte und Himmelfahrten ermöglichen oder eine bühnenbreite und –tiefe Treppe für die große Prozession bilden (die tatsächlich stattfindet!). Für den grandiosen Sonnenaufgang hätte die Bühnentechnik aber sicher etwas Eindrucksvolleres schaffen können als das schrecklich blendende runde Scheinwerferensemble. Das fehlende Ballett wird andeutungsweise durch Tänze des Chores ersetzt, die von Joshua Monten eindrucksvoll choreographiert wurden, wobei die getanzte Massenvergewaltigung im Kriegslager des dritten Aktes selbstredend kein angenehmes Bild ist, aber doch ein folgerichtiges. Die wechselnden Kostüme der drei Wiedertäufer – vom Predigerschal zum Türsteherdress, von  der Kampfweste zur farbenfrohen Toga bis hin zum Anzug der Geschäftsleute, die ihren Anführer verraten, um ihre eigene Haut zu retten – seien ebenso beispielhaft für eine dezente, gelungene Bildersprache genannt wie die Kruzifixe, die die Bauern anstelle von Gold und Lebensmittel an den Propheten und seine Schergen abgeben müssen. Ein Vorratskeller dieser Kruzifixe bildet das bedeutungsschwangere Szenenbild zur finalen Auseinandersetzung zwischen Berthe, Fidés und Jean - vielleicht das stärkste Bild des Abends. Am Ende wird die Hinrichtung, auf die der denkende, sehende, träumende Jean gewartet hat, mittels Giftspritze vollzogen. Ein logischer Schluss. Anstelle eines effektvoll zusammenbrechenden Krönungssaals aber doch ein bisschen sehr mager.

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Arthur Shen (Jean), Anne Schuldt (Fidès)

Von falschen Propheten sprach man eher in früheren Zeitaltern. Heute nennt man sie religiöse Eiferer, Fanatiker, Sektenführer usw., die schnell zu Despoten und Diktatoren werden können. Das Prinzip ist das gleiche, die Beweggründe oft unterschiedlich. So ist es in Meyerbeers Oper die Rache und nicht der religiöse Fanatismus, die Jean zum Anführer der um Macht  kämpfenden Wiedertäufer werden lässt. Vor dem geschichtlichen Hintergrund wird die unvermeidliche unglückliche Liebesgeschichte jedoch nicht ganz so weit ausgebreitet wie die Mutter-Sohn-Beziehung, die das emotionale Zentrum der Oper bildet. Und gerade in Braunschweig könnte die Oper auch Fidès heißen, denn Anne Schuldt singt die Mutter des falschen Propheten mit traumhaft schönem, hochkultivierten Mezzo einfach fantastisch. Ekaterina Kudryavtseva steht ihr als Berthe an Stimmsubstanz und sicherer Koloraturfreude nicht nach. Arthur Shens Tenor klingt in der Mittellage wunderbar leicht und klar. Die Partie des Jean ist mörderisch, aber Shen schont sich keinen Augenblick singt immer voll aus und wenn er in der Höhe scheitert, dann ist das ein ehrliches, geradezu sympathisches Scheitern. Aber nicht nur diesbezüglich erhält er viel Sympathie an diesem Abend. Er ist auch ein intensiver Darsteller. Oleksandr Pushniak verleiht dem Oberthal szenisch und stimmlich einen vielschichtigen Charakter. Selçuk Hakan Tiraşoğlu, Rossen Krastev und Matthias Stier sind ein wohl- und volltönendes Wiedertäufertrio. Apropos volltönend: Einerseits bildet die offene Bühne einen akustischen Vorteil für die Sänger und andererseits gibt es auch in Braunschweig eine dieser immer beliebter werdenden akustischen Verbesserungsanlagen, die computergesteuert über in den Wänden des Zuschauerraums unsichtbar eingebaute Membranen rundere und sattere Klänge zaubern als es die schwierige natürliche Akustik des Hauses vermag. Auf Nachfrage wurde mir ausdrücklich versichert, dass es sich nicht um eine „Verstärkung“, sondern um eine akustische Klangverbesserung handelt. Aber, aus welchem Grund oder welcher Ursachenkombination auch immer: Es war streckenweise einfach sehr laut. Die Haltung zum Einsatz solcher elektronischen Hilfsmittel ist fast schon eine Glaubensfrage. Puristen, die gern Natürliches, wenn auch akustisch Schlechteres, aber doch gänzlich Authentisches hören und erleben wollen, haben damit ihre Probleme.

Ernst van Thiel gibt dem Kaiser, was des Kaisers ist und dirigiert eine üppige, aber nicht unangenehm pompöse Grande opéra. Das Staatsorchester ist bestens disponiert und der große Chor ausgesprochen gut einstudiert, ausgewogen im Klang und sicher in allen Stimmen, was bei einem selten gespielten Werk mit umfangreichen Chören nicht selbstverständlich ist. Und nicht zuletzt sei der angenehm leicht- und wohlklingende Kinderchor gelobt.

FAZIT

Große Oper in Braunschweig. Eine richtig gut gelungene Produktion.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ernst van Tiel

Inszenierung
Stefan Otteni

Bühne und Kostüme 
Anne Neuser

Choreografie
Joshua Monten

Chor & Extrachor
Georg Menskes
Johanna Motter

Kinderchor
Tadeusz Nowakowski

Dramaturgie
Christian Steinbock

 
 

Niedersächsisches
Staatsorchester Braunschweig

Chor, Extrachor
und Kinderchor
des Staatstheaters Braunschweig

Statisterie des
Staatstheaters Braunschweig


Solisten

Jean de Leyde
Arthur Shen

Fidès, seine Mutter
Anne Schuldt

Berthe, seine Verlobte
Ekaterina Kudryavtseva

Le Comte d'Oberthal
Oleksandr Pushniak

Zacharie
Selçuk Hakan Tira
şoğlu

Mathisen
Rossen Krastev

Jonas
Matthias Stier

Bauern
Sebastian Matschoß
Wladimir Miakotine

Vier Bürger
Yuedong Guan
Andreas Sebastian Mulik
Sebastian Matschoß
Tadeusz Nowakowski

Zwei Wiedertäufer
Andreas Sebastian Mulik
Sebastian Matschoß

Offiziere
Jae-Min Ahn
Vladimir Miakotine



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Braunschweig
(Homepage)




Da capo al Fine

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