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Und er sah, dass es gut war
Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt
Da sitzt er ganz allein auf leerer Bühne, Düsseldorfs Ballettchef Martin Schläpfer, und sinniert, derweil aus dem Lautsprecher verträumte Klaviermusik erklingt (eine Sonate von Manuel Blasco de Nebra, 1750 - 1784). Er probiert etwas aus, die Musik wechselt zu Mahlers 7. Symphonie - Schläpfer macht ein paar Bewegungen aus seiner eigenen Choreographie dazu (aufgeführt unter dem Titel 7 - siehe unsere Rezension). Dann wirder die Ausgangssituation: Der Choreograph, grübelnd. Wie eine Vision erscheint im Hintergrund Marlúcia do Amaral, Schläpfers Primaballerina schon aus Tagen, seit er das ballettmainz leitete, und ihr Tanz scheint ihm die Idee zu geben. Was sich an Körpersprache da als Vision andeutet, übernimmt ein anderes, junges Paar (Doris Becker, Alexandre Simões). Schläpfer sieht zu - und nickt: So ist es gut.
Eine Viertelstunde dauert diese Miniatur, die Altmeister Hans van Manen choreographiert hat mit lakonisch anmutender Ironie und Lässigkeit dessen, der niemandem mehr etwas zu zeigen braucht. Eigentlich hat der Altmeister des modernen Balletts keine Ambitionen mehr, neue Werke zu kreieren, schon gar nicht außerhalb seiner niederländischen Heimat - für Martin Schläpfer hat er eine Ausnahme gemacht, und das ist offensichtlich in mehrfacher Hinsicht ein Freundschaftsdienst. Nicht nur, dass Schläpfer mit seinem Ballett am Rhein eine echte van-Manen-Uraufführung zeigen darf - es ist auch noch eine, in der er den zentralen Part selbst tanzt, und es ist eben eine, die eine Geschichte erzählt, in der Martin Schläpfer die Hauptperson ist. Alltag heißt die kleine Szene, und sie beschreibt, vordergründig betrachtet, den Alltag des um Inspiration ringenden Choreographen Martin Schläpfer. Tatsächlich erzählt sie viel mehr, vom Düsseldorf-Duisburger Ballet, vom Tanz an sich, nicht zuletzt unterschwellig von der Freundschaft zwischen zwei großen Choreographen. Und Hans von Manen zeigt das mit einer von leisem Humor geprägten abgeklärten Meisterschaft, die Ihresgleichen sucht. Hans van Manen: Alltag – Martin Schläpfer, Marlúcia do Amaral; Foto © Gert Weigelt Eigentlich sollte am Ende dieses dreiteiligen Ballettabends eine weitere Uraufführung stehen, die wegen einer Erkrankung des Choreographen Terence Kohler jedoch abgesagt werden musste. Stattdessen hat Schläpfer seine bereits 2013 gezeigte Choreographie Johannes Brahms - Symphonie Nr. 2 (siehe unsere Rezension) aufs Programm gesetzt, und für den Abend ist das eine ausgesprochen glückliche Entscheidung (Kohlers Choreographie gibt's ja hoffentlich später noch zu sehen). Schläpfer hat den dritten Satz der Symphonie als grandioses Solo für Marlúcia do Amaral angelegt, die in van Manens kleinem großen Stück doch noch als seine Muse fungierte. Da durchmisst sie von der erdbverbundenen, schwer beweglichen, sich nach und nach befreienden Gliederpuppe bis zum schier endlosen, Bühne wie Musik hinter sich lassenden Spitzentanz die Ballett-Tradition des großen 19. (und frühen 20.) Jahrhunderts, freilich in der modernen Tanzsprache Martin Schläpfers. Und wie sie als vor Energie beinahe explodierendes Kraftpaket sich nach und nach entpuppt, das gehört sicher zum allerbesten, was man derzeit an Tanz sehen kann.
Aber nicht nur diese Tänzerin schafft eine unmittelbare Verbindung zum vorangegangenen Werk; vielmehr ergibt sich eine Achse zwischen der den Abend einleitenden Serenade von George Balanchine zu Schläpfers Brahms-Choreographie mit van Manens Alltag als Drehpunkt und Scharnier. Schläpfer hat Seerenade bereits in seiner ersten Düsseldorf-Duisburger Spielzeit einstudiert, und das hat etwas Programmatisches. Balanchine hat das Stück Anfang der 1930er-Jahre konzipiert (und später mehrfach weiterentwickelt), als er die School of American Ballett und dort seine erste amerikanische Tanzcompagnie, das spätere Ney York City Ballet, gründete. Serenade (mit Tschaikowskys Streicherserenade op. 48 als Musik) ist ein Ensemblestück, bei dem ursprünglich wohl auch der Ausbildungsaspekt eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat. Drei Sätze lang (wobei das Finale vorgezogen ist) spielt Balanchine mit neoklassischer Eleganz das Repertoire der "weißen" Akte der romantischen Ballette des 19. Jahrhunderts aus, von allen Handlungskontexten befreit - reine Schönheit, in raffinierten, bodenlangen Tutus. Am Ende des Finales fällt eine Tänzerin zu Boden, und zur nachgeschobenen Musik des elegischen dritten Satzes der Serenade gibt es einen Pas de trois und eine, wenn auch offene Handlung: "Put a man and a girl on stage and there is already a story; a man and two girls, there's already a plot", wird Balanchine im Programmheft zitiert. Martin Schläpfer: Johannes Brahms – Symphonie Nr. 2 – Ensemble; Foto © Gert Weigelt
Balanchines Neoklassizismus definiert einen entscheidenden Ausgangspunkt zu Schläpfers Tanzsprache, die in Brahms - Symphonie Nr. 2 ihrerseits das Verhältnis zur romantischen Tradition mit ihren Geisterwesen und Märchengestalten durchspielt. Da wird nebenbei auch der Schwanensee mit einer Armada aus schwanenweiß angemalten Gummientchen herbeizitiert, nachdem er tänzerisch ohnehin schon in der Luft lag. So spannt dieser Ballettabend mit bezwingender Stringenz einen Bogen von Balanchine zu Schläpfer - und im Zentrum gibt Hans van Manen mit Alltag auf unnachahmliche Art seinen ganz eigenen Kommentar zu dieser außergewöhnlichen Kunstanstrengung. Nicht nur der Vollständigkeit halber erwähnt seien noch die guten Düsseldorfer Symphoniker, die unter der Leitung von Jochem Hochstenbach eine solide musikalische Interpretation von Tschaikowsky und Brahms beisteuern.
Grandiose Standortbestimmung von Martin Schläpfers Arbeit mit dem Ballett am Rhein, von Hans van Manen mit einer kurzen, aber packenden Uraufführung vielschichtig kommentiert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung Serenade
Choreographie
Einstudierung
Kostüme nach
Licht Tänzerinnen und TänzerAnn-Kathrin AdamSo-Yeon Kim Julie Thirault Andriy Boyetskyy Alexandre Simões Sachika Abe Doris Becker Wun Sze Chan Sabrina Delafield Mariana Dias Feline van Dijken Sonia Dvorak Nathalie Guth Alexandra Inculet Helen Clare Kinney Anne Marchand Louisa Rachedi Aryanne Raymundo Claudine Schoch Virginia Segarra Vidal Elisabeta Stanculescu Irene Vaqueiro Michael Foster Richard Jones Alban Pinet Friedrich Pohl Alltag
Choreographie
Bühne und Kostüme
Licht
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