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Musiktheater
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b.24

Illusison (Uraufführung)

Ballett von Young Soon Hue
Musik von Philip Glass (Doppelkonzert für Violine, Cello und Orhester)

Lonesome George (Uraufführung)

Ballett von Marco Goecke
Musik von Dmitri Shostakowitsch (Streichquartett Nr.8 c-Moll in der Bearbeitung für Streichorchester von Rudolf Barshai)

Voices Borrowed (Uraufführung)

Ballett von Amanda Miller
Musik von Georg Friedrich Händel (Largo aus dem Concerto grosso B-Dur op.6 Nr.7) und Arnold Schönberg (Konzert für Streichquartett und Orchester nach Händels Conerto grosso B-Dur op.6 Nr.7)

Aufführungsdauer: ca. 2h 15 (zwei Pausen)

Premiere am 8. Mai 2015 im Theater Duisburg


Homepage

Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Die hypernervöse Einsamkeit der letzten Riesenschildkröte

Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt

Der Abend beginnt mit einem magischen Bild: Aus der Dunkelheit leuchtet der Rücken von Yuko Kato auf, das Kleid hinten tief ausgeschnitten. Yuko Kato wird allein bleiben, zwar unterstützt von einem „Schutzengel“ (vom schlaksigen Marcos Menha mit einer wunderbaren Prise Understatement getanzt), aber der erträumte Mann bleibt Vision oder Erinnerung: Alexander Simões, im Programmheft als „Liebe“ bezeichnet, wird ebenso schnell wieder entschwinden, wie er plötzlich erschienen ist. Zwischen diesen intimen Szenen, von denen es vier gibt und die mit „Realität“ überschrieben sind, stehen drei große Ensemble-Blöcke: „Illusion/Vergangenheit“, „Illusion/Traumwelt“ und „Illusion/Surreale Welt“. Doch Yuko Kato bleibt eine Ausgeschlossene, steht unbeteiligt inmitten des Geschehens, läuft gegen den Strom, findet keinen Kontakt. Das hört sich alles ein wenig kitschig an, was es aber auf der Bühne nicht ist – allerdings in seiner schematischen Erzählweise auch nicht besonders originell.

Vergrößerung Illusion: Die Frau (Yuko Kato) und der Schutzengel (Marcos Menha)

Für dieses hier uraufgeführte 35-Minuten-Ballett Illusion verwendet die südkoreanische Choreographin Young Soon Hue das Doppelkonzert für Violine, Cello und Orchester von Philip Glass, das formal ritornellartig die Struktur vorgibt: Vier introvertierte Abschnitte für die beiden Solo-Instrumente stehen im Wechsel mit drei Sätzen für das Orchester. Siegfried Rivinius (Violine, mit ein paar Ungenauigkeiten im Finalteil) und Friedemann Pardall (Cello) sind ausgezeichnet aufeinander abgestimmt, die Duisburger Philharmoniker spielen unter der Leitung von Wen-Pin Chien klangschön, nicht nur zum Vorteil der Komposition, die allzu behaglich einlullt - man könnte das Werk ruhig genauer sezieren, mehr auf Struktur und rhythmische Verschiebungen beleuchten als auf Wohlklang trimmen. Und das setzt sich in gewisser Hinsicht in der Choreographie fort: Young Soon Hue bleibt (auch) in den Ensembles recht konventionell, gestaltet hübsch anzusehende Tableaus in beeindruckenden Kostümen (Ausstattung: Keso Dekker), leider nicht immer ganz synchron getanzt – da fehlt es dem Ensemble an der letzten Präzision. Und bei Yuko Kato hat man den Eindruck, dass sie in der recht pauschal gehaltenen Hauptpartie ziemlich unterfordert ist. Illusion kratzt nicht allzu tief an der Oberfläche.

Vergrößerung

Illusion: Die Frau (Yuko Kato) und die Liebe (Alexander Simões)

Um Einsamkeit geht es auch, das verrät bereits der Titel, in Lonesome George von Marco Goecke, 1972 in Wuppertal geboren und Hauschoreograph am Stuttgarter Ballett, der hier zum ersten Mal mit dem Düsseldorf-Duisburger Ballett am Rhein arbeitet. „Lonesome George“ war der Name der letzten Riesenschildkröte auf den Galapagos-Inseln, die vermeintlich letzte ihrer Art (inzwischen sind auf einer Nachbarinsel weitere Exemplare entdeckt worden), während der Entstehungsphase des Balletts 2012 gestorben - wegen einer Erkrankung Goeckes wurde die Arbeit seinerzeit unterbrochen. Auch Goeckes Tänzerinnen und Tänzer scheinen gegen den Untergang zu kämpfen, mit den für den Choreographen typischen flatterhaften, abgerissenen, wie mechanisch erscheinenden Bewegungen, die hier kaum einmal einen fließenden, sanften Übergang erlauben. In dunkelroten Hosen, die Damen mit gleichfarbigen schulterfreien Trikots, die Herren mit unbekleidetem Oberkörper, wird im harten Streiflicht der muskulösen Körperbau betont. Das 25 Minuten lange Ballett wirkt dadurch ungeheuer kraftvoll, als seien da höchst komplexe Maschinen am Werk. Die Bewegung erfolgt ganz überwiegend durch die Arme, in vibrierender Dynamik sehr nuanciert. Eine Interaktion zwischen den Tänzern gibt es dagegen eher selten, eher werden die Bewegungsabläufe gedoppelt oder laufen unabhängig voneinander ab: Man bleibt einsam.

Vergrößerung Lonesome George: Nathalie Guth, Christian Bloßfeld

Das passt zur Musik, der Orchesterfassung von Schostakowitschs expressivem 8. Streichquartett c-Moll op. 110, auch wenn Goecke nicht unmittelbar auf die Komposition eingeht, sondern diese mehr als Klangraum für seine Arbeit verwendet, der gelegentlich von Atemgeräuschen und dem gesprochenen Name „George“ aufgebrochen wird. So entwickelt sich ein kühl distanziertes, sehr intensives, in der fehlenden Entwicklung statisches Ballett, das aber noch zwei Überraschungsmomente bereit hält: Zunächst lässt Ausstatterin Michaela Springer wie einen Blitz silbrige Fäden herab fallen, die dann wie Lametta von der Decke hängen, kühl metallisch. Und dann erscheint für ein großes Solo als Schlusspunkt Marlúcia do Amaral mit freiem Oberkörper, das Haar maskulin zurück gekämmt, gleichzeitig aber weiblich-erotisch mit entblößten Brüsten. Lonesome George bleibt ein rätselhaftes, sich der schnellen Deutung entziehendes, faszinierendes und berührendes Stück.

Vergrößerung

Voices Borrowed: Ensemble

Amanda Miller hat bereits 2013 mit dem Ballett am Rhein gearbeitet (Crops im Ballettabend b.15). Für Voices Borrowed, auch dies eine Uraufführung, verwendet sie Arnold Schönbergs eigenartiges Konzert für Streichquartett und Orchester nach Händels Concerto grosso op.6 Nr.7. Schönberg spinnt darin Händels Material auf sehr eigensinnige, intellektuelle Weise fort, wie eine Standortbestimmung der Moderne auf dem festen Boden der Tradition. So in etwa ist auch die Choreographie angelegt. Man sieht einen Saal mit angedeuteter Eisenrückwand, kein typischer Ballettsaal mit Spiegel und Stange, aber man darf an einen leer stehenden Fabrikraum denken, in dem jenseits des Akademischen getanzt wird (Bühne: Claus Stump). Darinnen Tänzerinnen in Kleidchen und luftigem Tutu, die Tänzer (barfuß) in Bermuda-Shorts und schick durchdesignten Oberteilen, hier wie da sehr individuell und farbenfroh gestaltet. Das sieht aus wie eine bunte Mischung aus Freizeit-Look und Tanzausrüstung. Wie zufällig ergeben sich durchaus klassische Figuren, entwickeln sich locker Formationen, die hier und da Händels barocke Figuren aufgreifen. Das ist sehr leicht gearbeitet und hat eine Reihe interessanter, auch humorvoller Szenen. Nur hat man relativ schnell den Eindruck, das Prinzip durchschaut zu haben – und Schönberg-Händels merkwürdige Musik kann das Stück nicht auffangen. So plätschert Voices Borrowed irgendwann so vor sich hin. Und für ein leichtes Frühsommerstück zum Saisonausgleich ist es dann, nicht zuletzt eben der verqueren Musik wegen, auch nicht schwungvoll genug. Freundlicher, eher knapper Applaus.


FAZIT

Mit drei Uraufführungen unterstreicht das Ballett am Rhein seinen innovativen Anspruch – wobei Young Soon Hues Illusion ein wenig zu bieder, Amanda Millers Voices Borrowed eher harmlos-schematisch daher kommt. Nachhaltig in Erinnerung bleiben dürfte allein Marco Goeckes Lonesome George.


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Produktionsteam

Illusion

Choreographie
Young Soon Hue

Bühne und Kostüme
Keso Dekker

Licht
Volker Weinhart

Musikalische Leitung
Wen-Pin Chien

Die Duisburger Philharmoniker

Siegfried Rivinius, Violine
Friedeman Pardall, Violoncello

Tänzerinnen und Tänzer

Frau
Yuko Kato

Schutzengel
Marcos Menha

Liebe
Alexandre Simões

Drei Traumpaare
So-Yeon Kim
Michael Forster
Ann-Kathrin Adam
Rashaen Arts
Doris Becker
Andriy Boyetsky

Tänzerinnen und Tänzer
Camille Andriot
Wun Sze4 Chan
Mariana Dias
Feline van Dijken
Sona Dvorak
Alexandra Inculet
Christine Jaroszewski
Luisa Rachedi
Claudine Schoch
Christian Bloßfeld
Odsuren Dagva
Filipe Frederico
Philip Handschin
Marquet K.Lee
Sonny Locsin
Chidozie Nzerem


Lonesome George

Choreographie
Marco Goecke

Bühne und Kostüme
Michaela Springer

Licht
Udo Haberland

Dramaturgie
Nadja Kadel

Musikalische Leitung
Wen-Pin Chien

Die Duisburger Philharmoniker


Tänzerinnen und Tänzer

Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
Wun Sze Chan
Mariana Dias
Nathalie Guth
Christian Bloßfeld
Martin Chaix
Filipe Frederico
Sonny Locsin
Alexandre Simões
Marcos Menha



Voices Borrowed

Choreographie
Amanda Miller

Bühne
Claus Stump

Bühne und Licht
Amanda Miller
Claus Stump

Musikalische Leitung
Wen-Pin Chien

Die Duisburger Philharmoniker

Siegfried Rivinius, Violine
Matthias Bruns, Violine
Mathias Feger, Viola
Friedeman Pardall, Violoncello


Tänzerinnen und Tänzer

Sachika Abe
Camille Andriot
Doris Becker
Wun Sze Chan
Feline van Dijken
Sonia Dvorak
Yuko Kato
Helen Clare Kinney
Claudine Schoch
Virginia Segarra Vidal
Jackson Carroll
Martin Chaix
Michael Foster
Philipp Handschin
Richard Jones
Marquet K. Lee
Sonny Locsin
Alexander McKinnon
Alban Pinet
Boris Randzio




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Ballett am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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