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Bitte folgen Sie den Anweisungen des Komponisten!
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Karl Forster Amerika, Du hast es besser! Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Land der Freiheit - na ja, nicht für jeden. Diese Manon Lescaut, nach Amerika deportiert, stirbt entkräftet in der amerikanischen Wüste nahe New Orleans (wo es eigentlich gar keine Wüste gibt). Immerhin in Amerika, hat sich Regisseur Stefan Herheim gedacht, der in seinen Inszenierungen ja gerne einen doppelten, dreifachen, vierfachen Boden einbaut, und so auch hier. Die Freiheitsstatue beherrscht das imposante Bühnenbild von Heike Scheele, wobei wir aber gar nicht im freiheitlichen Amerika sind, sondern im Paris der 1880er-Jahre mit den Werkstätten, in denen die Statue of Liberty konstruiert wurde. Und während Frédéric-Auguste Bartholdi, Gustave Eiffel und andere eine idealisierte Frauengestalt gigantischen Ausmaßes zur Idealisierung der Freiheit konstruierten, schuf Giacomo Puccini mit der Manon Lescaut die erste seiner großen, auf andere Art idealisierten Frauenheldinnen. Beides miteinander zu verknüpfen erfordert eine nicht unerhebliche Bereitschaft, sich auf verquere Gedankenspiele einzulassen. Bastelt an der Freiheitsstatue herum: Des Grieux
Herheims Inszenierung war bereits in Graz und Dresden zu sehen und ist dort recht zwiespältig aufgenommen worden (unsere Rezension der Dresdener Premiere). Des Grieux, der mittellose Student, ist weniger an der jungen Manon (die hier keineswegs jung ist) interessiert als an eben der Freiheitsstatue - was ja ein ganz hübscher Gedanke ist: Diese Manon ist eine Figur des absolutistischen Rokoko, und sie zu entführen, das hat natürlich einen stark freiheitskämpferischen Einschlag. Wenn das nicht mehr trägt, ist Maestro Puccini, als stumme Rolle beinahe allgegenwärtig, sofort zur Stelle und reicht Libretto oder Partitur herum wie zur Entschuldigung, dass jetzt gerade so etws Komisches passiert. So erlebt man mehr vom komplizierten Entstehungsprozess der Oper (für die Puccini ein halbes Dutzend Librettisten benötigte, auch, um sich von der 1884 uraufgeführten Version Jules Massenets abzugrenzen) als von der eigentlichen Geschichte. Die Symbolik gewinnt klar die Überhand. Nicht so unabhängig, wie die Tafel mit dem Datum des amerikanischen Unabhängigkeitstages vorgaukelt: Manon Lescaut
Herheims Assoziationsreichtum ist nicht ohne Reiz, aber er entfernt sich sehr, sehr weit von der Oper weg. In den Konfetti-Paraden etwa erahnt man die heutzutage übliche Choreographie bei Parteitagen der beiden großen Parteien, aber "Amerika" als Thema der Manon Lescaut, das klingt nach "Thema verfehlt". Nun sind weiter führende Gedanken ja nicht wirklich schlecht, nur eben ziemlich konstruiert. Noch problematischer aber ist, dass die Geschichte im Puppenstubenformat erzählt wird. Immer wieder werden stilisierte Genrebilder "eingefroren", punktgenau zur Musik zwar, aber der gezielte Verfremdungseffekt hat einen hohen Preis. Die Figuren bleiben leblos, Konstrukte des Herren Puccini und seiner Librettistenarmada. Alle Liebesduette (die doch den Kern der Oper ausmachen) werden zwar gesungen, doch stets aneinander vorbei. Wahre Liebe? Nein, planvolles Vorgehen des Komponisten. Und da liegt das große Missverständnis dieser Inszenierung: Puccinis Frauenbild mag antiquiert sein, seine Dramaturgie zur Sentimentalität neigen, die Opern im Hinblick auf den Publikumserfolg am Schreibtisch konstruiert wie die Freiheitsstatue. Aber eine leblose Kostümträgerin, eine singende Figurine, ist diese Manon Lescaut ebenso wenig wie später Mimí, Tosca oder Butterfly. Da inszeniert Herheim mit seinem Willen zur Verfremdung am Wesen der Oper vorbei. Das letzte Wort hat die Partitur: Puccini gibt klare Anweisungen, was Manon zu singen und spielen hat
In einem Punkt ist die Essener Aufführung der Dresdener wohl überlegen: In der orchestralen Behandlung. Mögen die Dresdner Staatskapelle und ihr Chef Christian Thielemann auch Klangzauberer sein, aber eben auch Diven eigener Art; die spieltechnisch ausgezeichneten Essener Philharmoniker unter dem recht jungen Gastdirigenten Giacomo Sagripanti stellen sich ganz in den Dienst der Inszenierung mit einem sehr schlanken, scharf konturierten Klangbild weitgehend ohne Puccini-typische Süffigkeit, aber mit zupackender Dramatik, wenn es darauf ankommt. Die Einflüsse Wagners werden nicht kaschiert. Die Musik schwelgt nicht, sie zeichnet die Situation nach, und sie fährt den großen romantischen Gestus ein Stück weit zurück zu Gunsten der musikalischen Anklänge an das 18. Jahrhundert, die das Werk durchziehen. Genreszene vor Freiheitsstatue
Katrin Kapplusch, fest am Aalto-Theater engagiert, gibt eine sehr ordentliche Manon ohne den ganz großen Primadonnenton und mit recht flacher Mittellage, aber mit ordentlicher, durchsetzungsfähiger Höhe und dramatischen Reserven. Gaston Rivero in der Partie des des Grieux ist ein kraftvoller, baritonal eingefärbter Tenor mit sicheren Spitzentönen; ein wenig gefährdet im Piano und mit gelegentlichem Hang zu großen Lautstärken, aber eine sehr gute Besetzung. Mit Heiko Trinsinger als Manons Bruder und Abdellah Lasri als Edmondo, Tanzmeister und Laternenanzündersowie Michaela Selinger als Madrigalistin sind Nebenrollen ausgezeichnet aus dem hauseigenen Ensemble besetzt, Tijl Faveyts ist ein akzeptabler Geronte. Sehr zuverlässig singt (und spielt) der von Alexander Eberle hervorragend einstudierte Chor und Extrachor.
Stefan Herheims nun am dritten Haus aufgeführte Regie bleibt allzu konstruiert und wird bei aller Macht der großen Bilder Puccini nicht wirklich gerecht. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Szenische Einstudierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Manon Lescaut
Lescaut
Renato de Grieux
Geronte de Ravoir
Edmondo, Tanzmeister, Laternenanzünder
Wirt, Sergeant, Schiffskapitän
Ein Musiker
Puccini
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