Die Allgegenwart Amors
Von Thomas Molke /
Fotos von Monika Rittershaus
Antonio Cestis L'Orontea zählt nicht nur neben Francesco
Cavallis Giasone zu den am meisten gespielten Opern im 17. Jahrhundert,
sondern erlebt auch derzeit eine regelrechte Renaissance auf den Opernbühnen.
Nach einer Produktion des Internationalen Opernstudios der Hamburgischen
Staatsoper im Juli 2014 (siehe auch
unsere Rezension) und
einer weiteren Inszenierung im August 2014 bei den Innsbrucker Festwochen der
Alten Musik im Rahmen des Akademie-Projektes BAROCKOPER:JUNG setzt sich nun
die Oper Frankfurt erstmals mit diesem Werk auseinander, das zwar bereits
1961 an der Piccola Scala Mailand mit Teresa Berganza in der Titelpartie
erstmals zu einer Neuinszenierung gelangte, allerdings erst durch René Jacobs im
Rahmen der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik im Jahr 1982 solchen
Eindruck hinterlassen konnte, dass auch eine CD-Einspielung folgte. Der
Aufführung in Innsbruck kam auch insofern eine besondere Bedeutung zu, da die
Oper nach neueren Forschungen hier am 19. Februar 1656 ihre Uraufführung erlebt
hatte. Mit Ivor Bolton hat man in Frankfurt nun einen absoluten
Barockexperten für die musikalische Leitung verpflichtet und die Produktion
nicht wie die meisten Barockopern im Bockenheimer Depot, sondern im Opernhaus
auf der Großen Bühne angesetzt.
Orontea (Paula Murrihy) will ohne Mann leben und
regieren. Die Handlung spielt an einem
fiktiven ägyptischen Königshof zu Beginn unserer Zeitrechnung und weist die für
die Barockoper typischen Liebesverwicklungen auf. Orontea, die Königin von
Ägypten, hat der Liebe abgeschworen. Das ändert sich schlagartig, als der junge
Maler Alidoro mit seiner Mutter Aristea am ägyptischen Königshof Schutz vor
Arnea, der Königin von Phönizien, sucht. Orontea verliebt sich sofort in diesen
schönen jungen Mann, obwohl sie weiß, dass er als Maler nicht standesgemäß für
sie ist. Doch auch ihre Hofdame Silandra interessiert sich für den Neuankömmling
und gibt ihrem Geliebten Corindo einen Korb. Dieser fordert daraufhin Alidoro
zum Duell heraus. Als dritte im Bunde kommt auch noch Oronteas ehemalige
Vertraute Giacinta hinzu, die während des Krieges an den phönizischen Königshof
entführt wurde und dort verkleidet als Mann unter dem Namen Ismero in den Dienst
der phönizischen Königin getreten ist. Sie soll nun im Auftrag der phönizischen
Königin Alidoro töten, verliebt sich aber ebenfalls in ihn, während Alidoros
Mutter Aristea in Liebe zu dem vermeintlichen jungen Mann entbrennt. Die
Verwicklungen werden aufgelöst, als man bei Alidoro ein Medaillon findet, das
ihn als verschollenen Prinzen von Phönizien ausweist, der einst von Piraten
entführt und von Aristea, der Ehefrau des Piratenhauptmannes als eigenes Kind
aufgezogen worden ist. Nun steht einer standesgemäßen Verbindung zwischen
Orontea und Alidoro nichts mehr im Weg, und auch Silandra versöhnt sich wieder
mit ihrem Geliebten Corindo.
Doch dann begegnet Orontea (Paula Murrihy) dem
Maler Alidoro (Xavier Sabata) auf der Flucht. Walter Sutcliffe
räumt in seiner Inszenierung Amor eine wesentlich größere Rolle ein, als es im
Libretto vorgesehen ist. Während Amore eigentlich nur im Prolog auftritt, um mit
der Filosofia darüber zu streiten, wer von beiden bei den Menschen den größeren
Einfluss habe, und die Geschichte um Orontea und Alidoro nur folgt, um zu
beweisen, dass die Liebe immer über die Vernunft siege, lässt Sutcliffe diesen
Amor in Form von zahlreichen Statisten mit großen Puttenköpfen und eleganten
schwarzen Kleidern nicht nur als stumme Beobachter allgegenwärtig sein, sondern
auch noch das Bühnenbild für die einzelnen Akte bewegen. So zeigt das Bühnenbild
von Gideon Davey im ersten Akt eine Dünenlandschaft, auf der sich die Paare im
Liebesspiel tummeln, bevor dann im zweiten Akt ein großer Kasten mit roten
Wänden und zahlreichen ägyptischen Büsten Oronteas Palast andeutet. Dieser
Kasten wird dann im zweiten Teil in drei Bereiche unterteilt, die durch Einsatz
der Drehbühne schnelle Szenenwechsel ermöglichen. Wenn dann das Liebeschaos
perfekt ist, brechen die Amoretten diese drei Teile auseinander, und das Bild
wirkt nun eher unstrukturiert. Unklar bleibt nun, wieso in einem Kasten
zahlreiche Boxen einer Stereoanlage aufgebaut sind oder in einem anderen Kasten
die Amoretten Würstchen grillen. Hier wird nicht klar, was die Regie mit diesen
Einfällen beabsichtigt.
Alidoros Mutter Aristea (Guy de Mey) macht der
als Mann verkleideten Giacinta (Kateryna Kasper) Avancen. Ansonsten sprudelt
Sutcliffes Personenregie von witzigen Einfällen, die die derbe Komik des Stückes
auf den Punkt bringen. So erinnert Oronteas Zepter unweigerlich an einen Phallus
und wird in ihrem anfänglichen Kampf zwischen Vernunft und Liebe von ihr wohl
auch häufig so wahrgenommen. Die Frauen sind in Sutcliffes Deutung nicht die
einzigen, die sich in diesen schönen Alidoro verlieben. So leidet auch Tibrino
darunter, dass Alidoro Silandra beim Portraitieren näher kommt, als es der
Königin später lieb sein wird. Hiermit wird vielleicht motiviert, wieso Tibrino
später im Libretto Alidoro gegen Corindo verteidigt. Auch dem alten Diener
Gelone unterstellt Sutcliffe auf recht eindeutige Art, sexuell von Alidoro
angezogen zu werden. Und wenn Corindo am Ende seiner Geliebten Silandra verzeiht
und mit ihr den Ehebund schließen will, nähert er sich beim Hochzeitskuss
ebenfalls Alidoro, was die Frauen dann in letzter Sekunde noch zu verhindern
wissen. So sorgen Sutcliffes Ideen für große Begeisterung im Publikum und
unterstreichen, dass die Allmacht der Liebe die Menschen die Vernunft vergessen
lässt.
Happy End mit zwei glücklichen Paaren: von links
vorne: Alidoro (Xavier Sabata), Orontea (Paula Murrihy), Silandra (Louise Alder)
und Corindo (Matthias Rexroth), in der zweiten Reihe von links: Giacinta (Kateryna
Kasper), Tibrino (Juanita Lascarro), Creonte (Sebastian Geyer), Gelone (Simon
Bailey), Aristea (Guy de Mey) und die Statisterie als Liebesgötter Auch musikalisch kann die Inszenierung
auf ganzer Linie überzeugen. Paula Murrihy stattet die Titelpartie mit
leuchtendem Sopran aus und begeistert durch komödiantisches Spiel. Ihre große
Arie "Intorno all'idol mio", in der sie ihr Zepter und ihre Krone neben den
schlafenden Alidoro legt und ihm ihre Liebe gesteht, wird in Murrihys
Interpretation zu einem Höhepunkt des Abends. Großartig gelingt ihr Wandel von
einer mondänen Königin in ausladendem blauen Kleid, in dem sie an Elisabeth I.
von England erinnert, hin zu einer begehrenswerten Frau in Reizwäsche. Xavier
Sabata wird dem von allen begehrten Alidoro optisch und stimmlich mit weichem
Countertenor in jeder Hinsicht gerecht. Guy de Mey begeistert als Alidoros
Mutter Aristea mit kräftigem Tenor und lüsternem Spiel. Da hat Kateryna Kasper
als Giacinta/Ismero es nicht gerade leicht, sich gegen die Avancen dieses
"Rasseweibs" zur Wehr zu setzen. Kasper punktet dabei mit leuchtendem Sopran und
glaubhaftem Spiel. Louise Alder und Matthias Rexroth überzeugen als zweites Paar
Silandra und Corindo sowohl stimmlich als auch darstellerisch. Alder punktet mit
hellem Sopran und laszivem Spiel. Rexroth begeistert mit virilem Countertenor.
Eine besondere Herausforderung hat Simon Bailey als Diener Gelone zu bewältigen.
Die Partie ist nämlich einerseits im Bass, andererseits im Falsett notiert, um
jeweils den Zustand der Nüchternheit des Dieners anzugeben. Bailey bleibt zwar
nicht in den Passagen, in denen der Diener nüchtern ist, vollends im Falsett,
vollzieht den Wechsel allerdings dennoch beeindruckend. Sebastian Geyer rundet
als Creonte das Solisten-Ensemble mit profundem Bariton ab.
Ivor Bolton wird seinem Ruf als Barockexperte am Pult des Frankfurter Opern- und
Museumsorchester mehr als gerecht und lotet die vielfältigen Schattierungen der
Partitur differenziert aus, so dass ein wunderbares Klangerlebnis entsteht, dass
auch das Große Haus zu füllen vermag. So gibt es am Ende lang anhaltenden und
begeisterten Applaus für alle Beteiligten.FAZIT
Auch wenn die Geschichte dramaturgisch einige Längen und Ungereimtheiten
aufweist, gelingt es dem Regieteam, den Solisten und Musikern, diesen doch recht
langen Barockabend absolut kurzweilig zu halten. Es bleibt zu hoffen, dass von
Cesti auch noch weitere Werke wiederentdeckt werden.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Ivor Bolton Inszenierung
Walter Sutcliffe Bühnenbild und Kostüme
Gideon Davey
Licht
Joachim Klein
Dramaturgie
Steffi Mieszkowski Frankfurter Opern- und
Museumsorchester Statisterie der Oper Frankfurt
Solisten
*Premierenbesetzung
Orontea
Paula Murrihy
Creonte
Sebastian Geyer
Tibrino / Amore Prolog
*Juanita Lascarro /
Maren Favela
Aristea
Guy de Mey
Alidoro
Xavier Sabata
Gelone
Simon Bailey
Corindo
Matthias Rexroth
Silandra
Louise Alder
Giacinta
Kateryna Kasper
Filosofia
Katharina Magiera
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Oper Frankfurt
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