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Die Sirenen im Ohr, das Jenseits im Blick
Von Roberto Becker
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Fotos von Wolfgang Runkel Anders als Peter Eötvös' Goldener Drache, mit dessen Uraufführung die Frankfurter Oper die vorige Spielzeit abschloss, beginnt die Neue dank Rolf Riehms Sirenen mit einer eher streitbaren Novität. Wer eine gewisse Rätselhaftigkeit und Selbstverliebtheit in eine Idee für das Maß der Dinge hält, wird dem eher zustimmen, als der, der die narrative Nachvollziehbarkeit einer Geschichte schätzt. Gleichwohl ist die Kunstanstrengung enorm und besonders die vokale Ausstattung der beiden Hauptpartien mit Lawrence Zazzo als Odysseus und mit Tanja Ariane Baumgartner als Kirke schlichtweg grandios geraten. Der Counterstar darf über alle Register betörend die Seele des Odysseus zum Klingen bringen. Und die für extreme Rollen bestens geeignete Mezzosopranistin darf in aller Souveränität leiden und ihre Rache pflegen. Auch, dass Odysseus gedoppelt vorkommt und Michael Mendl (betont heruntergekommen, rauchend und mit Champagnerflasche ausgerüstet und mit Speer im Leib) all seine enorme Schauspielerpräsenz für den tragischen Helden an der Schwelle zum Jenseits einbringt, gehört auf die Habenseite dieses Abends. Die titelgebenden Sirenen treten weißgewandet, mit blonden Perücken in Walküren(laut)stärke, doch mit betont schrägen Tönen (als Erinnerung an die Blumenmädchen aus dem Parsifal) auf. Sie verlocken auch auf den eingespielten Videos und altern am Ende frappierend schnell zum Tode hin. Was mit einem Kostümwechsel auf offener Bühne auch optisch untermauert wird. Kirke und der doppelte Odysseus
Der mit Frankfurt eng verbundene Komponist Rolf Riehm, Jahrgang 1937, ist sein eigener Librettist. Er hat sich den Text (nach den Überlieferungen von Homer und Hesiod und kombiniert mit kommentierenden Texten von Karoline von Günderode und Isabelle Eberhardt) sozusagen selbst in die Musik geschrieben und umgekehrt. In der locker gefügten Abfolge von acht Szenen erleben wir mit, wie Kirke ihren Geliebten Odysseus ziehen lassen muss. Als Zauberin bzw. Göttin stehen ihr natürlich Mittel der Rache zur Verfügung, die andere, wegen der berühmten Schachtel Zigaretten schnöde verlassene Frauen nicht haben. Sie fädelt eine Begegnung des Odysseus mit den Sirenen ein, bei der es für beide Seiten um Leben und Tod geht. Damit wird ein Bermudadreieck der Emotionen konstruiert, das durchaus auf das Exemplarische von Begehren und Verrat zielt. Und auf dessen Verdeutlichung sich die sich eher ruhig entfaltende Regie von Tobias Heider konzentriert. Die Sirenen und Odysseus
Ins archaisch Tragische erweitert wird diese Konstellation, wenn der gemeinsame Sohn von Kirke und Odysseus Telegonos den nicht als Vater Erkannten mit dem Speer durchbohrt, ihn dann aber mit wachsender Empathie in seine Erinnerungen und auf dem Weg ins Totenreich begleitet. Schauspieler Dominic Betz bleibt in dieser Rolle am Ende völlig entblößt, also verletzlich zurück. Da entschwindet der graue Bühnenkasten, den Thilo Steffens mit rätselhaft ins Nichts führenden Treppen versehen hat, auf denen sich die Sirenen verführerisch räkeln, langsam nach hinten und macht einem gleißend weißen Raum Platz. Für Rolf Riehm ist der Sirenen-Stoff ein Thema, das ihn schon lange begleitet und das bereits vor zwanzig Jahren zu seiner Kafka-Oper Das Schweigen der Sirenen geführt hat. Seiner neuerlichen Annäherung stand das mit der Umsetzung betraute Team der Oper schon früh zur Seite. Was ja auch nicht alle Tage vorkommt. Und vor allem für die Sänger durchaus zu einem Glücksfall wurde. Wegen dieser kollektiven Elemente der Entstehung darf man auch beim Frankfurter Opern- und Museumsorchester und der Leitung von Martin Barbies von einer den Intentionen des Komponisten entsprechenden Realisierung ausgehen. Und da beeindrucken - neben der Kunstfertigkeit des betont elaborierten, bruchstückhaft springenden Parlando - betörende, kurze Orchester-Intermezzi, aber auch der kurze Weg vom scharf gesetzten wuchtigen Tuttiklang zu den wie in alle Richtungen auseinander fliegenden und sich verlierenden Einzeltönen. Das klassische Instrumentarium ist dabei in Avantgarde-Manier angereichert - mit Akkordeon, singender Säge, Holzbohlen oder zwei mit den Unterarmen arg traktierten Klavieren. Dabei kommen alle auch einzeln zu ihrem Recht. All das vermag zwar keinen eigenen Sound zu konstituieren, hat aber für sich genommen durchaus seinen Reiz.
Die jüngste Frankfurter Opernnovität von Rolf Riehm ist mit attraktiven Vokalpartien ausgestattet, die über das Ungefähre des Librettos hinweghelfen. Die Inszenierung ist angemessen, das Bühnenbild liefert starke Bilder. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Video
Dramaturgie
Solisten
Kirke
Odysseus (Sänger)
Odysseus (Schauspieler)
Telegonos
Sirenen
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