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Musiktheater
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Sweet Tragedies

Ballettabend mit Choreographien von Kevin O'Day, Bridget Breiner und Marco Goecke

... With the Lights On
Ballett von Kevin O'Day (Uraufführung), Musik von Julia Wolfe und John Adams

The Tragedies of Othello
Ballett von Bridget Breiner (Neufassung), Musik von Pablo de Sarasate und Henryk Górecki

Sweet Sweet Sweet
Ballett von Marco Goecke, Musikkonzept von Marco Goecke und Herbert Schnarr

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (zwei Pausen)

Premiere im Kleinen Haus des Musiktheaters im Revier am 9. Mai 2015

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Musiktheater im Revier
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Kontrastreicher Dreiteiler im Kleinen Haus

Von Thomas Molke / Fotos von Costin Radu


Seit Bridget Breiner Ballettdirektorin in Gelsenkirchen ist, liegt der Fokus der Produktionen auf Handlungsballetten, wobei Breiner dabei aber nicht nur auf die großen Klassiker wie Schwanensee oder Giselle setzt, sondern auch andere bekannte Stoffe wie beispielsweise Cinderella oder Orpheus in ungewöhnlicher Erzählweise und mit neuer Musik auf die Bühne bringt. Nun erweitert sie das Spektrum des Tanzes in einem dreiteiligen Ballettabend, der nach Der erste Gang, dem Auftaktabend mit zahlreichen Miniaturen, in denen sich die Tänzerinnen und Tänzer des Ballett im Revier dem Publikum vorstellten, erstmals auch wieder abstrakte Choreographien enthält, und schlägt damit einen Weg ein, der in Hagen und Dortmund von Ricardo Fernando und Xin Peng Wang schon seit vielen Jahren mit großem Erfolg gewählt worden ist. Für die beiden abstrakten Teile hat sie zwei Gastchoreographen engagiert, während sie selbst im Mittelteil mit The Tragedies of Othello doch dem Handlungsballett treu bleibt. Der Titel des Abends greift zum einen mit Sweet und Tragedies zwei der drei Choreographien namentlich auf und gibt zum anderen Ausdruck von der "süßen Melancholie", die alle drei Stücke durchzieht.

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... With the Lights on: von links: Junior Demitre, Bridget Breiner, Hugo Mercier und Ayako Kikuchi

Der Abend beginnt mit einer Uraufführung von Kevin O'Day, dem Ballettintendanten des Nationaltheaters Mannheim. Der Titel ... With the Lights On mag wohl einerseits auf die zahlreichen Scheinwerfer anspielen, die zeitweise äußerst grell von der Rückwand in den Zuschauerraum leuchten. Andererseits gibt er aber auch Ausdruck für die Ruhelosigkeit und Hektik, die dieses gut halbstündige Stück durchziehen. Unterstützt wird diese Unruhe durch die Komposition "Dark Full Ride" für vier Drum-Sets, die die zeitgenössische amerikanische Komponistin Julia Wolfe 2002 als Auftragswerk für das Talujon Percussion Quartet kreierte. Zur leicht aggressiven Perkussion lässt O'Day zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer durch ein ständig wechselndes Beziehungsgeflecht wirbeln. Direkt zu Beginn treten die Tänzerinnen und Tänzer einzeln vor den Vorhang, machen Klatschgeräusche und werden dann wie von unsichtbarer Hand wieder hinter den Vorhang gezogen. Die Bewegungen werden dann zur Musik von Wolfe wieder aufgenommen und fordern den vier Tänzerinnen und Tänzern konditionell einiges ab. In diesem Stück tritt Breiner selbst als Tänzerin auf und begeistert mal mit Hugo Mercier, mal mit Junior Demitre in kraftvollen Duetten. Gleiches gilt für Ayako Kikuchi.

Unterbrochen wird "Dark Full Ride" durch einen kontemplativen Mittelteil mit dem 2. Satz aus der Klavier-Komposition "Phrygian Gates" des amerikanischen Minimal-Komponisten John Adams. Doch die scheinbare Ruhe trügt. Im dritten Teil leuchten die Scheinwerfer auf der Rückwand noch greller in den Zuschauerraum und fordern mit den erneut harten Rhythmen von Wolfe auch den Zuschauern einiges ab. Wenn sich der Vorhang dann schließt, entlädt sich die Erleichterung des Publikums, dem diese Choreographie wohl gefallen hat, in tosendem Applaus. Leider geht darin unter, dass das Stück eigentlich noch nicht zu Ende ist. Die vier Tänzerinnen liegen nämlich, nachdem die Musik verstummt ist, mit dem Oberkörper vor dem Vorhang und setzen den harten Rhythmus der Perkussion fort, bevor sie schließlich hinter dem Vorhang verschwinden.

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The Tragedies of Othello: Jago (Valentin Juteau) kämpft mit seiner Schuld.

Der zweite Teil des Abends ist eine Neufassung einer Choreographie von Bridget Breiner, die bereits 2011 am Theater Augsburg ihre Uraufführung erlebte und für die Breiner nun den Pro- und Epilog für die Gelsenkirchener Besetzung komplett neu gestaltet hat. Das Stück konzentriert sich im Prolog zum 2. Streichquartett von Henryk Górecki zunächst auf den Bösewicht Jago (Valentin Juteau). Während man im Hintergrund Othello (Ordep R. Chacon) sieht, der wohl gerade seine Gattin Desdemona (Rita Duclos) umgebracht hat und die leblose Frau über die Bühne trägt, scheint Jago mit seinem Gewissen zu ringen. Zu den Klängen von Górecki macht Juteau mit bewegender Mimik und Gestik deutlich, wie sehr ihn die Schatten der Vergangenheit jagen, die dann zum getragenen Ton der Musik wie Geister über die Bühne schreiten. In einem verzweifelten Kampf versucht Juteau diese Bilder zu vergessen, doch seine Schuld drückt ihn regelrecht nieder und lässt ihn die ganze Geschichte noch einmal erleben.

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The Tragedies of Othello: von links: Cassio (José Urrutia), Desdemona (Rita Duclos, liegend), Emilia (Nora Brown) und Othello (Ordep R. Chacon)

Es folgt ein circa 15-minütiger Mittelteil, den Breiner bereits einige Jahre früher als ihre zweite Choreographie überhaupt für den Abend Junge Choreographen auf die "Zigeunerweisen" des spanischen Komponisten Pablo de Sarasate am Stuttgarter Ballett kreierte und den sie später in die komplette Choreographie von The Tragedies of Othello einbettete. Im Stile eines Morality Play lässt Breiner die Figuren wie Darsteller einer Wanderbühne auftreten, die mit Masken die tragische Geschichte erzählen. Chacon trägt als Othello im Gegensatz zu den anderen Figuren einen schwarzen Anzug, um ihn als "Mohr von Venedig" zu kennzeichnen. Eine zentrale Rolle nimmt in diesem Teil das rote Taschentuch ein, das Othello Desdemona als Zeichen seiner Liebe überreicht. Wie Emilia (Nora Brown) auf Anweisung Jagos Desdemona dieses Tuch nicht nur entwendet, sondern in einem Pas de deux ihre liebe Not hat, es an Cassio (José Urrutia) weiterzugeben, wird von Brown und Urrutia mit komischem Talent umgesetzt. Die Konsequenz daraus ist dann allerdings nicht mehr komisch und lässt den eben noch ausgelassenen Moment in Tragik umschlagen. Auch auf die Weide wird im Bühnenbild von Stefan Morgenstern nicht verzichtet, die auf der linken Seite das tragische Ende zu beweinen scheint.

Der Epilog durchleuchtet dann noch einmal die Beziehung zwischen Othello und Desdemona und wird vom 1. und 3. Satz der "Trzy Tance W Dawnym Stylu" von Henryk Górecki begleitet. Ein riesiges rotes Tuch bedeckt einen Großteil der Bühne und unterstreicht die fatale Bedeutung des Taschentuchs, das für Othello Zeichen für die Treulosigkeit seiner Frau gewesen ist. Noch einmal macht Chacon in einem bewegenden Pas de deux mit Duclos deutlich, wozu Othellos rasende Eifersucht und sein Misstrauen geführt haben. Duclos erträgt als Desdemona wie ein Opferlamm den Besitzanspruch ihres Gatten, und so finden die beiden im Tod dann vielleicht doch noch einmal zusammen. Auch wenn die Tänzerinnen und Tänzer durch hervorragenden Wechsel zwischen Spitzentanz und abstrakten Bewegungen begeistern, ist der Applaus nach diesem Teil zwar herzlich, aber nicht ganz so frenetisch wie nach dem ersten Teil.

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Hugo Mercier in Sweet Sweet Sweet

Der letzte Teil des Abends stammt von Marco Goecke, dem Hauschoreographen des Stuttgarter Balletts. Die Uraufführung von Sweet Sweet Sweet fand 2005 in Stuttgart statt und wurde seitdem bereits von fünf anderen Kompanien in ihr Repertoire übernommen. Faszinierend ist dabei sicherlich das Bühnenbild, für das Goecke ebenfalls verantwortlich zeichnet. Die ganze Bühne ist mit zahlreichen schwarzen Luftballons ausgelegt, durch die sich die Tänzerinnen und Tänzer wie durch einen See bewegen. Was ansonsten an diesem Stück "Sweet" sein soll, lässt sich nicht beantworten. Statt Musik gibt es nur ein "Musikkonzept" von Goecke und Herbert Schnarr, was darin besteht, dass ein Mann vom Band irgendwelche unartikulierten Laute ausstößt, die noch anstrengender zu ertragen sind als Julia Wolfes Musik für den ersten Teil des Abends. Auch was die Tänzerinnen und Tänzer in diesem Meer von Luftballons eigentlich machen, lässt keine eindeutigen Antworten zu. Erst treten zwei Tänzer auf, die scheinbar am Mund zusammengewachsen sind und sich im ständigen Kampf befinden. Dann bewegt sich eine Tänzerin über die Bühne, während die anderen Tänzer und Tänzerinnen aus dem Off wie Enten quaken. Auch erscheinen die Tänzerinnen und Tänzer häufig mit dem Rücken zum Publikum. Natürlich kann man jeden einzelnen Auftritt mit irgendetwas assoziieren. Verständlicher wird das Stück dadurch allerdings trotzdem nicht.

Erstaunlich ist aber dennoch, mit welcher Präzision sich die Tänzerinnen und Tänzer durch die Ballons bewegen und dass so gut wie kein Luftballon platzt, selbst wenn sich einzelne Tänzer regelrecht in das Ballonmeer hineinfallen lassen. Wenn dann die Ballons auch noch durch Windmaschinen quer über die Bühne geblasen werden, kann man sich, selbst wenn man dem Stück ansonsten nichts abgewinnen kann, der ästhetischen Schönheit der Bilder kaum entziehen. Vielleicht liegt es daran, dass dieser Teil des Abends vom Publikum in Gelsenkirchen mit dem größten Applaus bedacht wird. Erwähnenswert ist an dieser Stelle auch, dass Goecke für die Premiere selbst angereist ist, um den Jubel des Publikums entgegenzunehmen.

FAZIT

Breiner präsentiert in diesem Ballettabend drei Handschriften, die unterschiedlicher kaum sein können und damit auch die Freunde von abstraktem Tanztheater ansprechen dürften.


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Produktionsteam

Licht-Design
Udo Haberland

Dramaturgie
Anna Grundmeier

 

... With the Lights On

Choreographie
Kevin O'Day

Kostüme
Thomas Lempertz

Bühneneinrichtung
Georgios Kolios

Tänzerinnen und Tänzer

Ayako Kikuchi
Bridget Breiner
Hugo Mercier
Junior Demitre

 

The Tragedies of Othello

Choreographie
Bridget Breiner

Bühne und Kostüme
Stefan Morgenstern

Dramaturgie
Lucie Machan

Tänzerinnen und Tänzer

Othello
Ordep R. Chacon

Desdemona
Rita Duclos

Jago
Valentin Juteau

Cassio
José Urrutia

Emilia
Nora Brown

 

Sweet Sweet Sweet

Choreographie und Bühne
Marco Goecke

Einstudierung
Nicole Kohlmann

Kostüme
Michaela Springer

Dramaturgie
Nadja Kadel

Tänzerinnen und Tänzer

Francesca Berruto
Nora Brown
Rita Duclos
Ayako Kikuchi
Sara Zinna
Fabio Boccalatte
Ordep R. Chacon
Junior Demitre
Valentin Juteau
Hugo Mercier
Ledian Soto
José Urrutia


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