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Wiederaufnahme zu Händel im Herbst: Arminio
begeistert Publikum
Von Joachim Lange /
Fotos von Mikesh Kaos (© Theater, Oper und Orchester GmbH Halle) Händel im Herbst ist ein Schmankerl für die Barockfans. Der stürmisch gefeierten Reprise der aktuellen Händelproduktion vom letzten Sommer im Opernhaus folgte ein herzerfrischender Divenstreit in der Ulrichskriche, bei dem sich Simone Kermes und Vivica Genaux zum hellen Vergnügen des Publikums sozusagen an die Wäsche gingen und schließlich gibt’s zur nachträglichen Übergabe des Händelpreises an die diesjährige Preisträgerin Magdalena Kožená auch noch ein Festkonzert mit der Mezzosopranistin. Ihr Mann, Sir Simon Rattle, war übrigens mit seinen Berliner Philharmonikern am 11. November auch in Halle – zum einzigen Gastspielkonzert aus Anlass des Mauerfall-Jubiläums in Deutschland außerhalb Berlins. Im November hat die Saalestadt wirklich mal ihrem etwas in Vergessenheit geratenen Titel als Kulturhauptstadt des Landes Sachsen-Anhalt alle Ehre gemacht. Unumstritten war Arminio im Sommer ja nicht. Auch hier (siehe auch unsere Rezension) wurde an der Inszenierung deutlich Kritik geübt. Nimmt man freilich die Reaktion des Publikums (mit einem bemerkenswerten Anteil von jungen Zuschauern) am Ende der Reprise am 21. November zum Maßstab, dann hat dieser Arminio die Schlacht um die Gunst des Publikums gewonnen. Ramise (Julia Böhme) und Sigismondo (Jeffrey Kim) vor dem Brandenburger Tor Es geht ja um Herrmann der Cherusker, den wackeren Kämpfer gegen die römischen Eroberer, der bald zu einem ziemlich teutonischen Helden wurde. Bei Händel ist er 1737 allerdings zunächst der Verlierer. Die Eroberer haben die Übermacht und obendrein Verbündete im eigenen Lager. Da kann viel von Treue zum Vaterland geredet, sogar die eigene Braut dem kurzzeitigen Sieger Varus überlassen werden. Vor allem, um dem eins mit der Keule der überlegenen Moral auf den Römerhelm zu geben. Für das lieto fine wird dann alles mit der üblichen Nonchalance so hingebogen, dass es passt. Bernhard Forck und das Händelfestspielorchester sind historisch gerüstet, bestens aufgelegt und gewinnen ihre Schlacht um das eher unbekannte Stück erneut mit Bravour! Sie sind wunderbar sensibel, wenn die Protagnisten mit ihren Arien glänzen. Doch wenn sie aufeinander losgehen, dann hat das mitreißenden Furor. Vokal hat Robert Sellier als römischer Bösewicht Varus sicher nach wie vor noch Steigerungspotenzial. Der dunkel strömende Ki-Hyun Park ist hier als Tullio ein römischer Kirchenfürst. Tomasz Raff ein wuchtiger Segeste. Das ist der pragmatische Opportunist (man könnte auch sagen Verräter) im antirömischen Lager. Dass er auch noch der Schwiegervater des wackeren Arminio ist, macht die Sache kompliziert. Jeffrey Kim liefert als Sigismondo das Arienglanzstück des Abends. Die vokale Hauptlast liegt freilich bei den beiden Paaren. Melanie Hirsch überzeugt als Tusnelda mit Verve. Flexibel und manchmal zugespitzt, immer aber mit Spielwitz ist sie eine Frau zwischen freiheitskämpfendem Ehemann, mit den Besatzern paktierendem Vater und dem Römer Varus, der sie ebenfalls begehrt. An ihrer Seite gab jetzt an Stelle von Hagen Matzeit, der Counter Benno Schachtner mit diesem Arminio sein Debüt in der Händelstadt. Sicher geführt, wunderbar strömend, mit sympathisch dosierter Spiellust – ein Genuss. Und vielversprechend! Auf wiederum beglückendem Niveau: die wunderbar leichtfüßig über die Bühne schwebende Julia Böhme mit ihrem betörenden Mezzo. Counter Jeffrey Kim schließlich hatte in Halle mit seiner Minirolle in der „Alcina“ ein Versprechen abgeliefert, dass er jetzt als Sigismondo (auch einer von den Guten zwischen den Gefühlsfronten) phänomenal einlöst. Mit seiner hinreißend artifiziellen Flammen-Arie vermag er die verändernde Kraft des Gesangs, ja der Kunst überhaupt zu beschwören und liefert den vokalen Höhepunkt des Abends. Mit dieser Arie („Jene Flamme, die mir die Brust entzündet…“) ist auch der Regisseur und Ausstatter Nigel Lowery ganz bei sich und dem Potenzial seines spielerisch doppelbödigen Interpretationsansatzes, dem sich freilich ein Teil der Festspiel- Gemeinde im Sommer verweigerte, mit dem das Publikum jetzt aber keinerlei Probleme hatte. Immerhin gelingt es Sigismondo, einiges von der Kulturbarbarei der neuen Ordnungsmacht zurückzudrehen. Wenn die Oper beginnt, steht ein Modell des Brandenburger Tors vor einem gewaltigen Prospekt der (Berliner/Pink Floyd) Mauer. Die Germanen sehen teils aus wie Brünnhilde oder Wotan bei Wagner oder wie gerade bei Monty Python entsprungen. Die Römertruppen könnten gerade in Gallien gegen Asterix gekämpft haben. Wenn dann die Mauer fällt und diese Römer kommen, kann man noch so für sich denken: hoppla, bei dem Bild ist der Brite wohl auf dem linken Bein etwas ausgerutscht. Auch, dass die Römer Bücher ins Feuer werfen, ist eine von den Metaphern, bei denen eher Vorsicht geboten ist. Genau diese Barbarei korrigiert Sigismondo aber später mit der Magie seines Gesangs; ein starkes Plädoyer für die Macht der Kunst. Lowery entfaltet von Anbeginn ein doppelbödiges Spiel im Spiel. Das handelt auch vom Theater – inklusive dem von Richard Wagner. Wenn schon einer Sigismondo (sprich Siegmund) heißt, dann kriegt er auch sein Schwert im Kulissenpappstamm; wenn schon mit Emphase ums (vor-)nationale Überleben gekämpft wird, dann darf sich Arminio auch einen Wunderschwert gießen, wie später Siegfried. Ist ja alles da im Fundus des schönen alten Logen-Theaters, in dessen Zuschauerraum wir von der Bühne aus schauen. Nach der Pause gibt’s da eine flotte Beraterfirmen-Präsentation. Mit Prognose -Diagrammen, die beim Theater nach unten und bei Einkaufs-Mall mit Kino nach oben zeigen. Wenn dann auf dem Zwischenvorhang der „Habt Acht“ - Appell von Hans Sachs aus den „Meistersingern“ erscheint, dann ist der diesmal durchaus bitterernst gemeint. Natürlich steht davon nichts bei Händel. Aber vom Angriff auf die Fundamente des Theaters steht da auch nichts. Und warum in aller Welt soll sich Theater nicht auch mit seinen ureigensten Mitteln wehren? Und dann gibt es da noch jenen Beobachter, der sich vom Zuschauerraum aus einschleicht. Er schaut zu, macht Notizen. Vielleicht ein alter Händelfan, der sehen will, ob sie dem Meister Maschinenpistolen oder irgendwelche Saurier unterjubeln? Aus der Fassung gerät der Mann nur einmal, als mal einer nach den Papieren in seiner Aktentasche schaut. Wenn er schließlich mit einer Totenmaske in der Versenkung verschwindet, wieder auftaucht, auch mal handgreiflich wird, ist er im Grunde demaskiert. Wie dieser Herr sieht kein Kaiser in Rom aus, der als Deus ex machina das Theater rettet. Eher schon ein Sanierer aus Magdeburg…. Gegen Ende sind sich die Sänger beider Parteien einig und schmeißen ihn raus. Wenn‘s nur so einfach wäre, denkt sich da der sachsen-anhaltinische Theaterfreund. Ist es aber nicht. Die an der Seite, hinter dem Vorhang mitspielende Inspizientin verdirbt das lieto fine mit einem Brief. Den eigentlich keiner lesen will. Weil sie alle ahnen, was da drin steht. Und da sind wir endgültige aus der fernen Zeit im Teutoburger Wald ziemlich unsanft mitten im Halle von 2014 gelandet. Wer sich darauf einlässt, bekommt also neben der wunderbaren Wiederentdeckung eines Händelschmuckstücks eine hintersinnige Lektion in Sachen Theatergegenwart gratis dazu. Und kann beglückt und nachdenklich seines Weges gehen. FAZIT In Halle bietet die Reprise der witzig parodierenden und hintersinnigen Inszenierung von Händels Arminio durch den Briten Nigel Lowery ein bejubeltes Schmuckstück von Händel im Herbst. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Bühne und Kostüme
Licht
Videoprojektion
Dramaturgie
Statisterie der Oper Halle Händelfestspielorchester Halle
Solisten
Arminio, Fürst der Chauken und Cherusker
Tusnelda, Arminios Ehefrau und
Segeste, Fürst der Chatten und
Varo, General der römischen Armee S igismondo, Segestes Sohn undRamises Liebhaber Jeffrey Kim
Ramise, Arminios Schwester
Tullio, Varos Hauptmann
Ein Beobachter
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