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Musiktheater
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Luisa Miller

Melodramma tragico in drei Akten
Libretto von Salvadore Cammarano nach dem bürgerlichen Trauerspiel Kabale und Liebe von Friedrich von Schiller
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere in der Hamburgischen Staatsoper am 16. November 2014
(besuchte Vorstellung: 22. November 2014)

 

Logo: Staatsoper Hamburg

Hamburgische Staatsoper
(Homepage)

Schillers Drama, gesehen durch Verdis Brille

Von Thomas Tillmann / Fotos von
Monika Rittershaus

Dreißig Jahre mussten die Verdi-Liebhaber an der Elbe auf eine Neuinszenierung seiner Luisa Miller warten - am 17. Juni 1984 hatte es eine letzte Aufführung der Luciano-Damiani-Produktion gegeben, in deren Premiere 1981 keine Geringeren als Katia Ricciarelli, José Carreras, Leo Nucci, Ruggero Raimondi und Marjana Lipovsek sowie Giuseppe Sinopoli am Pult internationalen Glanz ins Haus brachten. Der entscheidende Impuls für eine erneute Auseinandersetzung mit dem Werk mag von Simone Young gekommen sein, die sich unter dem Titel "Verdi im Visier" im vergangenen Jahr mit einer Trilogie bestehend aus La battaglia di Legnano, I due Foscari und I Lombardi alla prima Crociata für das frühe Werk des Italieners stark gemacht hatte (Luisa Miller ist das letzte Stück aus seinen so genannten Galeerenjahren, aber man erlebt schon an vielen Stellen den Komponisten der großen Drei, die für die Mitte seines Schaffens stehen).

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Miller (George Petean) sorgt sich um die Zukunft seiner Tochter Luisa (Nino Machaidze), für die sich auch der Adel (Chor der Hamburgischen Staatsoper) interessiert.

Andreas Homoki, Intendant der Zürcher Oper, empfindet das Werk als ein Kammerspiel am Vorabend der Französischen Revolution, verlegt das Stück damit also etwa in die Entstehungsumstände des Schillerschen Schauspiels: "Wir spielen Schillers Drama, gesehen durch Verdis Brille." Der Chor repräsentiert die einerseits optisch, aber eben auch hinsichtlich ihrer moralischen Werte mehr und mehr verfallende Aristokratie, und diesen Verfall durch den Austausch der eleganten Roben und Perücken von Gideon Davey, die nur am Anfang ganz weiß sind und dann immer grauer werden, zu illustrieren, verfehlt seine Wirkung nicht, folgerichtig ist am Ende die Guillotine als drastisches Bild der Französischen Revolution zu sehen. Die Zerstörung des privaten Glücks verbindet der Regisseur mit der Zersetzung der aristokratischen Gesellschaft, die "Rache für Luisas Tod erfolgte nach 1789 in Frankreich gewissermaßen im Kollektiv: durch Massenenthauptung einer ganzen Führungsschicht".

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Federica (Cristina Damian) ist außer sich, als Jugendfreund Rodolfo (Ivan Magrì) ihr gesteht, dass er eine andere liebt.

Ansonsten gibt es eine Abfolge von eigentlich immer gleichen, nur jedes Mal anders möblierten Innenräumen von Paul Zoller, die jeweils von der rechten Bühnenseite hineinfahren und den vorherigen Raum nach links aus dem Bühnenausschnitt drängen, man wartet vergeblich auf Naturstimmungen und pralles Landleben, all dies gibt es höchstens auf den riesigen Gemälden zu sehen, die immer wieder die Stimmung der Szenen aufnehmen oder kommentieren. Man wird Zeuge, wie die Figuren dieser abgeschlossenen, kalten und meistens in korrespondierend kühlem, gleißenden Licht gehaltenen Welt entfliehen wollen, ein bisschen wie Insekten, die immer wieder vor eine Fensterscheibe fliegen. Rodolfo hat sich von der Adelswelt seines Vaters bereits zu Beginn entfernt, er trägt anders als die anderen keine Perücke, schreibt Gedichte, ist also eine "Figur der bürgerlichen Empfindlichkeit", "ganz ähnlich Goethes Werther, bis zum zelebrierten Selbstmord" (so Homoki im sehr lesenswerten Programmheft, das anders als manch anderes, das man in die Hände bekommt, viele kluge, längere Beiträge zum gegebenen Werk und nicht nur assoziative Gedankensplitter enthält). Überhaupt sind die Figuren alle präzis charakterisiert, ihr Zusammenspiel wirkt wohlüberlegt, die Erzählweise ist konzentriert, auf dem Punkt und spannend - was will man mehr? Sicher, ein bisschen ist es schon so, dass das Team sich in die einmal gefundene Idee verliebt und ihr alles unterordnet, aber anders als in manch anderer Produktion ist diese Idee keine abwegige, absurde, sondern eine wohl begründete, nachvollziehbare, und vor allem dürfte sie auch diejenigen nicht stören, die sich über "modernes Regietheater" sonst gern aufregen.

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Nachdem Luisa (Nino Machaidze) in dem verhängnisvollen Brief behauptet, Wurm (Oliver Zwarg) zu lieben, will dieser zur praktischen Umsetzung schreiten.

Gespannt war man vor allem darauf, wie sich Nino Machaidze in der Titelpartie schlagen würde, die ja aus dem Koloraturfach kommt wie viele andere, die unterschätzt haben, wieviel Stimme man etwa für das "Tu puniscimi" und das "O brani, o brani" und auch die großen Duette braucht. Die Georgierin, die 2008 als Einspringerin für Anna Netrebko in Gounods Roméo et Juliette bei den Salzburger Festspielen ihren internationalen Durchbruch hatte, ist eine erfahrene Gilda und hat im Laufe dieses Jahres in Los Angeles auch als Violetta debütiert, sie bezaubert durch ihre natürliche, berührende Spielfreude, ihren Liebreiz, aber auch durch die Meriten ihrer sehr tragfähigen, durchdringenden, durchaus dunkel getönten, auch ein wenig aparte Schärfe aufweisenden, natürlich recht schlanken Stimme, durch die unverkrampfte Geläufigkeit ihres Singens, die bis weit übers System mühelos und präzis attackierten Spitzentöne, die sie das eine oder andere Mal gar nicht in solcher Lautstärke produzieren müsste, die schwebenden Töne etwa im a cappella-Abschnitt aus dem Quartett des zweiten Aktes, und auch in tiefer gelegenen Passagen kam die Künstlerin nicht in Schwierigkeiten und war meilenweit entfernt von dem von Jürgen Kesting in der Theaterzeitung angeprangerten "Singin' in the pain", mit dem er das Phänomen beschreibt, dass viele Sängerinnen und Sänger "den Verlockungen des Betriebes erliegend, ... sich an Partien gewagt haben, denen sie nicht oder noch nicht gewachsen waren" ("early vocal burnout" heißt das auf Neudeutsch). Und dennoch halte ich die Luisa für eine Grenzpartie, der sie nicht noch dramatischere an die Seite stellen sollte. Was ein echter lyrischer Sopran ihr voraus hat, merkt man erst, wenn man zum Vergleich etwa Krassimira Stoyanova mit ihren runden, reicheren Tönen in dieser Partie zum Vergleich hört.

Ivan Magrì gab an ihrer Seite alles als Rodolfo, schluchzte und schmetterte dabei mit nicht zu großem, vibrierenden lyrischen Tenor für meinen Geschmack ein bisschen viel - "Sturm und Drang" meint ja etwas anderes als Effektorientierung, und im Piano klang die Stimme viel netter. Das Publikum indes liebte und bejubelte besonders die große Szene des zweiten Aktes, so dass der Italiener sich genötigt fühlte, sich zu bedanken - das erlebt man selten dieser Tage und ist für mein Empfinden auch nicht zwingend nötig.

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(Nino Machaidze) und Rodolfo (Ivan Magrì) sind getrennt.

George Petean ist vielleicht nicht der charismatischste aller Kavaliersbaritone und Schauspieler, aber der Rumäne ist zweifellos ein sehr solider Sänger, der weiß, was er tut, seine messa di voce-Effekte etwa sind beispielhaft und wohlüberlegt eingesetzt, die Mittellage indes klangvoller als die mitunter einen Hauch blassere Höhe, und dass der Künstler noch keine vierzig ist, hätte ich vor dem Nachschlagen nicht gedacht. Am besten von den Herren gefiel mir Oliver Zwarg als Wurm jenseits aller Brunnenvergifterklischees, schlug er doch die meisten Funken aus Cammaranos Text, den nur Uninformierte direkt an Schiller messen. Der Deutsche brachte ein strammes, durchaus erotische Konkurrenz zum jungen Grafen darstellendes Mannsbild mit gewaltigem, aber bedacht eingesetzten Bassbariton auf die Bühne. Ziemlich pauschal und blass blieb dagegen Tigran Martirossian als Conte di Walter, sowohl in vokaler wie in darstellerischer Hinsicht, was ja nicht schlecht zur Partie passt, aber ein bisschen mehr Durchdringung des gesungenen Wortes hätte es schon sein dürfen, und dass er sich am Ende selber die Perücke vom Kopf reißt, war vermutlich eher ein Einfall der Regie als des Sängers. Cristina Damian hatte ein raumfüllendes Kostüm und verfügt über einen sinnlich-dunklen Mezzosopran, an sich beste Voraussetzungen, nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen, aber die Federica ist eben doch nicht Schillers Lady Milford. Ida Aldrian und Daniel Todd lieferten tadellos Stichworte als Laura und Contadino. Ganz hervorragend präsentierte sich der Chor der Hamburgischen Staatsoper in einer sehr präzisen, auf feine dynamische Nuancen achtenden Einstudierung von Eberhard Friedrich.

Simone Young, schon vor der Vorstellung mit kräftigen Bravorufen empfangen, ließ in ihrem Bemühen, dem Publikum das Werk ans Herz zu legen, keinen Augenblick nach, war auch sehr dicht an den Sängern, die Philharmoniker zweifellos ein aufmerksames Kollektiv auf hohem Niveau, und doch könnte man sich manche Passage rhythmisch prägnanter, zwingender und glutvoll-intensiver musiziert vorstellen.

FAZIT

Ein großer, frenetisch beklatschter Verdi-Abend war das, mit guten bis überdurchschnittlichen musikalischen Leistungen und einer grundsätzlich überzeugenden Inszenierung.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Simone Young

Inszenierung
Andreas Homoki

Bühnenbild
Paul Zoller

Kostüme
Gideon Davey

Licht
Franck Evin

Spielleitung
Tim Jentzen

Choreinstudierung
Eberhard Friedrich

 

Chor der Staatsoper Hamburg

Philharmoniker Hamburg

 

Solisten

Il Conte di Walter
Tigran Martirossian

Rodolfo
Ivan Magrì Miller
George Petean

Luisa
Nino Machaidze

Wurm
Oliver Zwarg Federica
Cristina Damian

Laura
Ida Aldrian

Un Contadino
Daniel Todd


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Hamburgischen Staatsoper
(Homepage)





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