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Wert und Werte
des Lebens
Von Bernd
Stopka /
Fotos von Andreas Hartmann
Wir befinden uns in den Jahren der
Französischen Revolution.
Der Papst verdammt mit aller Macht und Autorität die Proklamation
der
Menschenrechte und die tätlichen Übergriffe auf Klöster,
Kirchen und Adlige. In
den Wirren und Kämpfen bieten nun auch die Klöster kein
unantastbares Asyl mehr.
Als sie aufgelöst werden, richtet man die Mönche und Nonnen
hin, die ihrem
Gelübde (und damit der alten Ordnung und dem Papst
als
einem
Revolutionsgegner) nicht
abschwören wollen und nicht bereit sind, weltliche Aufgaben zu
übernehmen. So geht
am 17. Juli 1794 auch eine Gruppe von Nonnen aus Compiègne
singend in den Tod auf der Guillotine (wofür sie 111
Jahre
später als "Märtyrinnen von
Compiègne" selig gesprochen werden).
Die Geschichte dieser Schwestern des Karmels liegt der Novelle
Die Letzte am Schafott von Gertrud von Le
Fort zugrunde, die Georges Bernanos zu seinem Bühnenstück
Dialogues des carmélites (Gespräche
der Karmeliterinnen) inspirierte, an dessen Text sich Francis Poulenc sehr
eng hielt, als er das Libretto zu seiner gleichnamigen Oper verfasste. Mit
seiner Komposition, die ihre eigene, auf dem Boden der Tonalität fußende und auf
den ersten Blick eher traditionell wirkende Tonsprache hat und nicht nach einer
1957 uraufgeführten Oper klingt, stellt er die Musik nie über das Wort, das
immer soweit verständlich bleibt, wie es in einer Oper gesungen eben zu
verstehen sein kann. Das unterstützt die Entscheidung, diese Oper im
Stadttheater Hildesheim des Theaters für Niedersachsen in einer deutschen
Übersetzung zu spielen. Generalmusikdirekter und Operndirektor Werner Seitzer
hat sie erstellt und dabei Musikalität und Poesie des Wortes ausgesprochen
geschickt miteinander verbunden. Das nicht fließend französisch sprechende
Publikum ist dankbar, diese außergewöhnliche Oper so im wahrsten Sinne des
Wortes ansprechend kennenlernen zu dürfen.
Der gleiche Dank gilt auch dem Regisseur
Eike Gramss und
seinem Ausstatter Philippe Miesch, die sich bei der szenischen
Umsetzung an Libretto
und Partitur halten – ohne eigenwillige Neu- und Umdeutungen, aber doch
mit
eigenen unterstreichenden und dabei überzeugenden
Ideen. In ästhetischen Bildern und der Zeit der Handlung entsprechenden Kostümen
erzählen sie mit großer Intensität die Geschichte der Adeligen Blanche, die vor
äußeren Wirren und innerer Angst in das besagte Karmeliterinnenkloster flieht,
in dem ihr – zuweilen auf Umwegen – Wert und Werte des Lebens bewusst und zu
eigen werden. Soweit, dass sie schlussendlich nicht nur aus Solidarität, sondern
auch aus Überzeugung und Charakterstärke freiwillig mit ihren Glaubensschwestern
in den Tod geht.
Bei ihrem Eintritt ins Kloster gibt sich
Blanche nicht
zufällig den Namen Schwester Blanche von
der Todesangst Christi, denn sie scheint die Verkörperung der
Angst zu
sein, die sogar Angst vor der Angst hat. Die Angst und ihre
Überwindung sind
ein zentrales Thema dieses Werkes, das hier auch seine bildliche
Umsetzung
findet: Ein Raum mit schweren, dunklen Holzwänden und einer ebenso
düsteren, bedrückenden
Decke bildet den Rahmen der Szenenbilder. Durch verschieden hohe und variierbare Fenster- und
Türöffnungen,
eine bewegliche Rückwand, die sich wie ein riesiges Tor
öffnen lässt und ebenso
raffinierten wie stilvollen Beleuchtungseffekten gelingt es, jeder
Szene mit
nur wenigen Requisiten (und geradezu archetypischen Sitzmöbeln)
ihren eigenen
Charakter zu verleihen.
Antonia Radneva (Blanche), Christa
Ranacher (Madame de Croissy)
Mit feinen
Details und ausgefeilter Personenregie wird die
Handlung ausgestaltet. Wenn der Diener berichtet, dass Blanche sich vor
seinem
Schatten gefürchtet hat, wirft er tatsächlich einen Schatten
an die Wand. Bei
Blanches Eintritt ins Kloster, sieht man zunächst in einer
geradezu idyllischen
Hintergrundszene die neugierig schauenden Nonnen bei der Tomatenernte,
eh sich
die Rückwand schließt und die Priorin mit dem
Neuankömmling allein bleibt und Blanche
nicht nur die Herausforderungen des Klosterlebens deutlich macht,
sondern auch das
Prinzip „Die Regel soll nicht uns schützen. Wir schützen die
Regel.“. Ganz
realistisch wird dann später die Pflege und der qualvolle Tod der
Priorin
gezeigt, wobei der Arzt eher wie ein geradezu dämonischer
Todesbote an ihrem
Bett steht. Die Totenklage wird hinter geschlossenem Vorhang gesungen,
was
einen ganz besonders düsteren Eindruck macht. Auch
die
Plünderung
und Zerstörung des Klosters wird
zwischen den Szenen gezeigt und die Konventrede des St. Just aus Georg
Büchners Dantons Tod („Wir sind nicht
grausamer als die Natur und als die Zeit…“) wird vom Kerkermeister vor
geschlossenem Vorhang zitiert – geradezu wie eine Begründung oder
Entschuldigung für die Verurteilung der Glaubensschwestern. Die
sitzen in einer
Reihe, an das letzte Abendmahl erinnernd, an der Seite ihrer neuen
Priorin im
Kerker, dessen Enge durch einen schwarzen Vorhang angedeutet wird, der
über
ihnen bis auf Mannshöhe heruntergelassen ist.
Mit dem
Schlussbild ist dem Regisseur eine ganz besonders
intensive Verbindung von Szene und Musik gelungen: Er stellt nicht den
Richtplatz auf die Bühne und zeigt nicht, wie die Nonnen singend
auf die
Guillotine steigen. Er zeigt zunächst die wild durcheinander
laufende Menge,
die die angstvoll und doch entschlossen auftretende Nonnengruppe
zunächst
neugierig betrachtet und dann vor ihnen davonläuft und sie im dann
geschlossenen Raum allein lässt. Die Guillotine muss nicht gezeigt
werden, sie
ist komponiert. Mit jedem Herabfahren des Fallbeils bricht eine Nonne
im weißen
Büßerhemd tot zusammen. Sie sterben einsam, jede für
sich, aber mit der
Hoffnung auf die Ewigkeit, deren helles Licht beim finalen Herauffahren
der
Hinterwand sichtbar wird. Der Gesang, der bei jeder Exekution eine
Stimme
verliert, verbindet sich mit dieser szenischen Umsetzung zu einem
ungeheuer
starken Eindruck, der alles sagt und dem nichts fehlt, der auch nicht
mehr gestört
wird, denn das Überleben der Mère Marie wird nicht gezeigt.
Für die
meisten Regieteams wäre die Verlockung, insbesondere
während der Zwischenspiele durch
Projektionen die Schrecken der Revolution darzustellen, zu groß
gewesen, um ihr
zu widerstehen. Diese Inszenierung zeigt, das die ureigenen Mittel des
Theaters
so vielfältig und bei geschicktem (und gekonntem) Einsatz
völlig ausreichend
sind, um eine atmosphärisch dichte, tief bewegende und dem
Zuschauer immer noch
genügend Platz für eigene Gedanken, Übertragungen und
Aktualisierungen gebende
Geschichte zu erzählen. Und das auch noch mit der Musik und nicht
gegen sie.
Fast zu schön, um wahr zu sein? Nein: schön und wahr.
Auch musikalisch ist diese Produktion ein
außergewöhnliches
Erlebnis. Alle Partien sind adäquat bis wirklich gut besetzt und
alle
Protagonisten verstehen es, die Figuren stimmlich und darstellerisch
gleichermaßen lebendig werden zu lassen. Da ist an erster Stelle
Christa
Ranacher als alte Priorin zu nennen, die deren Spuren eines schweren
Lebensweges auch stimmlich angemessen und ausdrucksstark hörbar
werden lässt – nicht
zuletzt mit der gesanglich wie schauspielerisch höchst
eindringlich
gestalteten, tief unter die Haut gehenden Sterbeszene - erschreckend
intensiv,
aber nie überzogen. Antonia Radneva gelingt es, der Blanche
geradezu
natürliches Leben zu verleihen und das Ängstliche ebenso wie
das Entschlossene,
das Zweifelnde wie die Bewusstwerdung dieses Charakters deutlich zu
machen und
beeindruckt insbesondere mit den vielfältigen Ausdrucksvarianten
ihres
schönklingenden Soprans. Neele Kramer
verkörpert die zwischen Ordnung und Gefühl hin- und
hergerissene Mère Marie und
lässt ihren substanzreichen Sopran in vielen Farben
erklingen, mit sanften und energischen Tönen,
zuweilen auch giftig keifend, wenn sie ihre Mitschwestern
überzeugen oder
tadeln will oder üppig strömend, wenn sie das „Ave Maria“
anstimmt. Der quicklebendige,
geschmeidig-bewegliche, helle Sopran von Martina Nawrath ist ideal
für die
lebenslustige, fröhliche Schwester Constance, insbesondere, wenn
sie glöckchenreine
Töne wie Perlen aneinanderreiht. Isabell Bringmann singt die neue
Priorin mit
ihrem hochkultivierten Sopran einfach wunderschön. Levente
György ist eine
herrliche Besetzung für den Marquis de la Fort, dem er mit
markanten Tönen und
einem Hauch von Humor nicht unsympathisch den selbstzufriedenen und
selbstgefälligen
Charakter eines Adeligen verleiht. Konstantinos Klironomos ist ein
stimmschöner
Chevalier mit kraftvollen Spitzentönen, Jan
Kristof
Schliep singt den Beichtvater mit angenehm
timbrierter
Stimme und warmen, sanften Tönen. Stellvertretend für alle
kleineren Rollen sei
Piet Bruninx, Hildesheims Opernurgestein, genannt, der seinen Bass als
Diener
Thierry üppig ertönen lässt.
Werner Seitzers ausgesprochen dynamisches
Dirigat lässt
keine Wünsche offen. Er spannt Bögen
und
beleuchtet
Details,
ohne das eine für das andere zu
vernachlässigen. Da wünscht
man sich eine Aufführung ohne Umbaupausen, die es ermöglicht,
die Musik von
Szene zu Zwischenspiel und von Zwischenspiel zu Szene nahtlos
aneinander zu
reihen. Aber auch mit den Unterbrechungen gelingt es dem Dirigenten den
ganz
großen Bogen der musikalischen Entwicklung in diesem Werk vom
Anfang bis zum
Ende mit intensiver Spannung aufrecht zu erhalten. Das Orchester folgt
ihm konzentriert
und mit hörbarem Engagement, klingt ausgesprochen präsent,
aber nie
aufdringlich. Klangvoll und wohleinstudiert runden die Chöre
den
musikalischen
Gesamteindruck ab. Eine Produktion, die szenisch und musikalisch gleichermaßen restlos überzeugt und das Potential hat, jede Aufführung zu einer Sternstunde werden zu lassen Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische
Leitung
Inszenierung
Bühne
und Kostüme Chor
Opern- und Extrachor des TfN Orchester des TfN
Solisten Marquis de la Force Blanche, seineTochter Der Chevalier, ihr Bruder Madame de Croissy, Priorin Madame Lidoine, die neue Priorin Mère Marie, Subpriorin Soeur Constance Mère Jeanne. Klosterälteste Soeur Mathilde Der Beichtvater des Klosters Erster Kommissar Zweiter Kommissar Erster Offizier Der Kerkermeister / Rede St. Just Thierry, Diener im Hause des Marquis Javelinot
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