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Musiktheater
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Gespräche der Karmeliterinnen
(Dialogues des carmélites)

Oper in drei Akten und zwölf Bildern
Nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Georges Bernanos, angeregt durch die Novelle
Die Letzte am Schafott
von Gertrud von Le Fort, deutsche Übertragung von Werner Seitzer
Musik und Text von Francis Poulenc

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (eine Pause)

Premiere im Großen Haus im Stadtheater Hildesheim am 21. März  2015
(rezensierte Aufführung:
13.06.2015)



Theater für Niedersachsen
(Homepage)

Wert und Werte des Lebens

Von Bernd Stopka / Fotos von Andreas Hartmann

Wir befinden uns in den Jahren der Französischen Revolution. Der Papst verdammt mit aller Macht und Autorität die Proklamation der Menschenrechte und die tätlichen Übergriffe auf Klöster, Kirchen und Adlige. In den Wirren und Kämpfen bieten nun auch die Klöster kein unantastbares Asyl mehr. Als sie aufgelöst werden, richtet man die Mönche und Nonnen hin, die ihrem Gelübde (und damit der alten Ordnung und dem  Papst als einem Revolutionsgegner) nicht abschwören wollen und nicht bereit sind, weltliche Aufgaben zu übernehmen. So geht am 17. Juli 1794 auch eine Gruppe von Nonnen aus Compiègne singend in den Tod auf der Guillotine (wofür sie 111 Jahre später als "Märtyrinnen von Compiègne" selig gesprochen werden).

Die Geschichte dieser Schwestern des Karmels liegt der Novelle Die Letzte am Schafott von Gertrud von Le Fort zugrunde, die Georges Bernanos zu seinem Bühnenstück Dialogues des carmélites (Gespräche der Karmeliterinnen) inspirierte, an dessen Text sich Francis Poulenc sehr eng hielt, als er das Libretto zu seiner gleichnamigen Oper verfasste. Mit seiner Komposition, die ihre eigene, auf dem Boden der Tonalität fußende und auf den ersten Blick eher traditionell wirkende Tonsprache hat und nicht nach einer 1957 uraufgeführten Oper klingt, stellt er die Musik nie über das Wort, das immer soweit verständlich bleibt, wie es in einer Oper gesungen eben zu verstehen sein kann. Das unterstützt die Entscheidung, diese Oper im Stadttheater Hildesheim des Theaters für Niedersachsen in einer deutschen Übersetzung zu spielen. Generalmusikdirekter und Operndirektor Werner Seitzer hat sie erstellt und dabei Musikalität und Poesie des Wortes ausgesprochen geschickt miteinander verbunden. Das nicht fließend französisch sprechende Publikum ist dankbar, diese außergewöhnliche Oper so im wahrsten Sinne des Wortes ansprechend kennenlernen zu dürfen.

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Konstantinos Klironomos (Chevalier), Albrecht Pöhl (Marquis), Antonia Radneva (Blanche)

Der gleiche Dank gilt auch dem Regisseur Eike Gramss und seinem Ausstatter Philippe Miesch, die sich bei der szenischen Umsetzung an Libretto und Partitur halten – ohne eigenwillige Neu- und Umdeutungen, aber doch mit eigenen unterstreichenden und dabei  überzeugenden Ideen. In ästhetischen Bildern und der Zeit der Handlung entsprechenden Kostümen erzählen sie mit großer Intensität die Geschichte der Adeligen Blanche, die vor äußeren Wirren und innerer Angst in das besagte Karmeliterinnenkloster flieht, in dem ihr – zuweilen auf Umwegen – Wert und Werte des Lebens bewusst und zu eigen werden. Soweit, dass sie schlussendlich nicht nur aus Solidarität, sondern auch aus Überzeugung und Charakterstärke freiwillig mit ihren Glaubensschwestern in den Tod geht.

Bei ihrem Eintritt ins Kloster gibt sich Blanche nicht zufällig den Namen Schwester Blanche von der Todesangst Christi, denn sie scheint die Verkörperung der Angst zu sein, die sogar Angst vor der Angst hat. Die Angst und ihre Überwindung sind ein zentrales Thema dieses Werkes, das hier auch seine bildliche Umsetzung findet: Ein Raum mit schweren, dunklen Holzwänden und einer ebenso düsteren, bedrückenden Decke bildet den Rahmen der Szenenbilder. Durch verschieden hohe  und variierbare Fenster- und Türöffnungen, eine bewegliche Rückwand, die sich wie ein riesiges Tor öffnen lässt und ebenso raffinierten wie stilvollen Beleuchtungseffekten gelingt es, jeder Szene mit nur wenigen Requisiten (und geradezu archetypischen Sitzmöbeln) ihren eigenen Charakter zu verleihen.

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Antonia Radneva (Blanche), Christa Ranacher (Madame de Croissy)

Mit feinen Details und ausgefeilter Personenregie wird die Handlung ausgestaltet. Wenn der Diener berichtet, dass Blanche sich vor seinem Schatten gefürchtet hat, wirft er tatsächlich einen Schatten an die Wand. Bei Blanches Eintritt ins Kloster, sieht man zunächst in einer geradezu idyllischen Hintergrundszene die neugierig schauenden Nonnen bei der Tomatenernte, eh sich die Rückwand schließt und die Priorin mit dem Neuankömmling allein bleibt und Blanche nicht nur die Herausforderungen des Klosterlebens deutlich macht, sondern auch das Prinzip „Die Regel soll nicht uns schützen. Wir schützen die Regel.“. Ganz realistisch wird dann später die Pflege und der qualvolle Tod der Priorin gezeigt, wobei der Arzt eher wie ein geradezu dämonischer Todesbote an ihrem Bett steht. Die Totenklage wird hinter geschlossenem Vorhang gesungen, was einen ganz besonders düsteren Eindruck macht. Auch die Plünderung und Zerstörung des Klosters wird zwischen den Szenen gezeigt und die Konventrede des St. Just aus Georg Büchners Dantons Tod („Wir sind nicht grausamer als die Natur und als die Zeit…“) wird vom Kerkermeister vor geschlossenem Vorhang zitiert – geradezu wie eine Begründung oder Entschuldigung für die Verurteilung der Glaubensschwestern. Die sitzen in einer Reihe, an das letzte Abendmahl erinnernd, an der Seite ihrer neuen Priorin im Kerker, dessen Enge durch einen schwarzen Vorhang angedeutet wird, der über ihnen bis auf Mannshöhe heruntergelassen ist.

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Ensemble

Mit dem Schlussbild ist dem Regisseur eine ganz besonders intensive Verbindung von Szene und Musik gelungen: Er stellt nicht den Richtplatz auf die Bühne und zeigt nicht, wie die Nonnen singend auf die Guillotine steigen. Er zeigt zunächst die wild durcheinander laufende Menge, die die angstvoll und doch entschlossen auftretende Nonnengruppe zunächst neugierig betrachtet und dann vor ihnen davonläuft und sie im dann geschlossenen Raum allein lässt. Die Guillotine muss nicht gezeigt werden, sie ist komponiert. Mit jedem Herabfahren des Fallbeils bricht eine Nonne im weißen Büßerhemd tot zusammen. Sie sterben einsam, jede für sich, aber mit der Hoffnung auf die Ewigkeit, deren helles Licht beim finalen Herauffahren der Hinterwand sichtbar wird. Der Gesang, der bei jeder Exekution eine Stimme verliert, verbindet sich mit dieser szenischen Umsetzung zu einem ungeheuer starken Eindruck, der alles sagt und dem nichts fehlt, der auch nicht mehr gestört wird, denn das Überleben der Mère Marie wird nicht gezeigt.

Für die meisten Regieteams wäre die Verlockung, insbesondere während der Zwischenspiele  durch Projektionen die Schrecken der Revolution darzustellen, zu groß gewesen, um ihr zu widerstehen. Diese Inszenierung zeigt, das die ureigenen Mittel des Theaters so vielfältig und bei geschicktem (und gekonntem) Einsatz völlig ausreichend sind, um eine atmosphärisch dichte, tief bewegende und dem Zuschauer immer noch genügend Platz für eigene Gedanken, Übertragungen und Aktualisierungen gebende Geschichte zu erzählen. Und das auch noch mit der Musik und nicht gegen sie. Fast zu schön, um wahr zu sein? Nein: schön und wahr.

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Martina Nawrath (Constance), Isabell Bringmann (Madame Lidoine), Damen des Opernchores

Auch musikalisch ist diese Produktion ein außergewöhnliches Erlebnis. Alle Partien sind adäquat bis wirklich gut besetzt und alle Protagonisten verstehen es, die Figuren stimmlich und darstellerisch gleichermaßen lebendig werden zu lassen. Da ist an erster Stelle Christa Ranacher als alte Priorin zu nennen, die deren Spuren eines schweren Lebensweges auch stimmlich angemessen und ausdrucksstark hörbar werden lässt – nicht zuletzt mit der gesanglich wie schauspielerisch höchst eindringlich gestalteten, tief unter die Haut gehenden Sterbeszene - erschreckend intensiv, aber nie überzogen. Antonia Radneva gelingt es, der Blanche geradezu natürliches Leben zu verleihen und das Ängstliche ebenso wie das Entschlossene, das Zweifelnde wie die Bewusstwerdung dieses Charakters deutlich zu machen und beeindruckt insbesondere mit den vielfältigen Ausdrucksvarianten ihres schönklingenden Soprans.  Neele Kramer verkörpert die zwischen Ordnung und Gefühl hin- und hergerissene Mère Marie und lässt ihren substanzreichen Sopran in vielen Farben  erklingen, mit sanften und energischen Tönen, zuweilen auch giftig keifend, wenn sie ihre Mitschwestern überzeugen oder tadeln will oder üppig strömend, wenn sie das „Ave Maria“ anstimmt. Der quicklebendige, geschmeidig-bewegliche, helle Sopran von Martina Nawrath ist ideal für die lebenslustige, fröhliche Schwester Constance, insbesondere, wenn sie glöckchenreine Töne wie Perlen aneinanderreiht. Isabell Bringmann singt die neue Priorin mit ihrem hochkultivierten Sopran einfach wunderschön. Levente György ist eine herrliche Besetzung für den Marquis de la Fort, dem er mit markanten Tönen und einem Hauch von Humor nicht unsympathisch den selbstzufriedenen und selbstgefälligen Charakter eines Adeligen verleiht. Konstantinos Klironomos ist ein stimmschöner Chevalier mit kraftvollen Spitzentönen,  Jan Kristof Schliep singt den Beichtvater mit angenehm timbrierter Stimme und warmen, sanften Tönen. Stellvertretend für alle kleineren Rollen sei Piet Bruninx, Hildesheims Opernurgestein, genannt, der seinen Bass als Diener Thierry üppig ertönen lässt.

Werner Seitzers ausgesprochen dynamisches Dirigat lässt keine Wünsche offen. Er spannt  Bögen und beleuchtet Details, ohne das eine für das andere zu vernachlässigen. Da wünscht man sich eine Aufführung ohne Umbaupausen, die es ermöglicht, die Musik von Szene zu Zwischenspiel und von Zwischenspiel zu Szene nahtlos aneinander zu reihen. Aber auch mit den Unterbrechungen gelingt es dem Dirigenten den ganz großen Bogen der musikalischen Entwicklung in diesem Werk vom Anfang bis zum Ende mit intensiver Spannung aufrecht zu erhalten. Das Orchester folgt ihm konzentriert und mit hörbarem Engagement, klingt ausgesprochen präsent, aber nie aufdringlich. Klangvoll und  wohleinstudiert runden die Chöre den musikalischen Gesamteindruck ab.

FAZIT

Eine Produktion, die szenisch und musikalisch gleichermaßen restlos überzeugt und das Potential hat, jede Aufführung zu einer Sternstunde werden zu lassen


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Werner Seitzer

Inszenierung
Eike Gramss

Bühne und Kostüme
Philippe Miesch

Chor
Achim Falkenhausen

 

Opern- und Extrachor des TfN

Orchester des TfN

 

Solisten

Marquis de la Force
Levente György
(in der rezensierten Aufführung)

Albrecht Pöhl

Blanche, seineTochter
Antonia Radneva

Der Chevalier, ihr Bruder
Konstantinos Klironomos

Madame de Croissy, Priorin
Christa Ranacher

Madame Lidoine, die neue Priorin
Isabell Bringmann

Mère Marie, Subpriorin
Neele Kramer

Soeur Constance
Martina Nawrath 

Mère Jeanne. Klosterälteste
Karin Schibli

Soeur Mathilde
Tanja Westphal

Der Beichtvater des Klosters
Jan Kristof Schliep

Erster Kommissar
Daniel Käsmann

Zweiter Kommissar
Stephan Freiberger

Erster Offizier
Peter Kubik

Der Kerkermeister / Rede St. Just
Peter Frank

Thierry, Diener im Hause des Marquis
Piet Bruninx

Javelinot
Michael Farbacher

 


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