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Der Ozean spricht deutschVon Stefan Schmöe / Fotos von Bernd Uhlig
Solaris muss ein verlockendes Sujet für Komponisten sein: Da befinden sich drei Männer an Bord einer fast schon abgewrackten Raumstation in der Umlaufbahn des Planeten Solaris, dessen Ozean eine komplexe hochintelligente Struktur zu sein scheint, die sich dem Erkenntnisvermögen der Menschheit vollständig entzieht. Aber dieser Ozean ist in der Lage, aus den Gedanken und, noch schlimmer, dem Unterbewusstsein und den mehr oder weniger verdrängten Schuldgefühlen der Astronauten handfeste Gestalten erscheinen zu lassen. Im Falle Kris Kelvins, Neuankömmling auf der Raumstation, ist das dessen vor Jahren durch einen Suizid ums Leben gekommene Frau Harey. Die steht plötzlich als erinnerungs- und geschichtsloses, aber lernfähiges Wesen vor ihm und wirft mehr und mehr die Frage auf, was einen Menschen eigentlich zum Menschen macht - und wie real unser Bewusstsein und unser Erkenntnisvermögen eigentlich ist. Also eine überschaubare Personenkonstellation mit schillernden Charakteren, eine rätselhaften Liebesgeschichte und philosophische Fragen, die man schön in Arien verpacken kann. Begegnung der unerklärlichen Art in der Raumstation: Kris Kelvin trifft eine Kopie seiner verstorbenen Frau Harey
Stanislaw Lems Roman Solaris, erschienen 1962, gilt als Meisterwerk des science fiction schlechthin, und das legt die Messlatte natürlich hoch. Die Probleme der Literaturoper, sich gegenüber der Vorlage behaupten zu müssen, sind ja nicht vom Tisch, nur weil die Intendanten gerne bekannte und vermeintlich publikumsträchtige Stoffe veropern lassen. Und dann gibt es da noch die bildgewaltige Verfilmung von Andrej Tarkowskij von 1972 (Steven Soderberghs oberflächliche Version von 2002, über die sich Lem ziemlich spöttisch äußerte, darf man getrost außen vor lassen). Komponist Detlev Glanert muss vor solcher Konkurrenz mit seiner 2012 bei den Bregenzer Festspielen uraufgeführten Opernfassung nicht kapitulieren, denn er zeigt Gespür für die Musikalität, die hinter den Worten liegt und das auf verbaler Ebene Unaussprechliche andeuten kann. Das Libretto von Reinhard Palm hält sich dabei relativ eng an Lems Roman, das nicht ungeschickt verdichtet ist. Es kann schon schlimm kommen mit der unerwarteten Materialisation verdrängter Gedanken: Hier trifft Kelvin auf ein animalisches Wesen (die "Baboon"), das offenbar den schmutzigen Gedanken (oder Taten?) des Wisssenschaftlers Gibarian entsprungen ist, der sich darauf hin umgebracht hat (man sieht den Leichnam links im Bild).
Zwei nicht unerhebliche Erweiterungen gibt es, beide aber nicht ganz unproblematisch: Die als "Gäste" bezeichneten Materialisationen werden konkretisiert als sexuelle Obsessionen - im Falle des Kybernetikers Snaut ein inzestuöses Verhältnis zur Mutter (die hier leibhaftig erscheint), im Falle des Physikers Sartorius offenbar eine Vorliebe für nicht salonfähige Sexspiele. Das geht nicht recht auf, weil ausgerechnet bei Kelvin, der Hauptfigur, nichts wirklich Bedenkliches vorliegt. Regisseur Patrick Kinmonth zeichnet das ziemlich derb nach, was zunächst in die Sackgasse zu führen scheint. Denn der geheimnisvolle Ozean, das ist der zweite wichtige Eingriff, bekommt bei Glanert eine Stimme, und zwar die des Chores, und nach und nach entwickelt er sogar Sprachfähigkeit (in deutscher Sprache!). Die Regie stellt die Choristen in angedeuteter Alltagskleidung auf die Bühne, und da wittert man schnell Sartre: Die Hölle, das sind die anderen, vor deren Augen auf einmal peinliche intime Sehnsüchte sichtbar werden. Das mag eine Facette von Lems vielschichtigem Roman streifen, wäre aber als Kernaussage ziemlich dünn. Wissenschaftlicher Disput? Snaut und Kelvin.
Im zweiten Teil der Oper verliert dieser Aspekt an Bedeutung, was auch nicht weiter schlimm ist. Die Liebesgeschichte zwischen Kelvin und der Erscheinung Hareys rückt ins Zentrum, und das gibt Glanert die Möglichkeit, mit schwebenden Klängen die nicht wirklich greifbare, sehr flüchtige Beziehung in (wohlklingende) Töne zu fassen. Die musikalischen Mittel sind nicht neu, Harfe und Celesta als besondere Klangfarben oder das Nebeneinander von hoher und tiefer Lage im sehr transparenten Orchesterklang, das steht in der (tonalen) Tradition Benjamin Brittens. Auch formal bleibt Glanert konventionell und dem Schema der (durchkomponierten) Nummernoper verhaftet, schiebt für Snaut etwa eine schräge Revuenummer mit Tanzmusik ein, komponiert von der Arie bis zu große Ensembles in bewährten Modellen. Kein bisschen Avantgarde weit und breit, aber doch suggestiv in der Wahl der Mittel und wirkungsvoll (und müsste auch von kleineren Häusern zu bewältigen sein). Was zählt das Individuum, wenn es beliebig oft reproduzierbar ist? Snaut und Kelvin mit diversen Manifestationen Hareys
Es ist eine Binsenweisheit, dass Science Fiction meist weniger von der Zukunft als von der Gegenwart erzählt, und so lässt auch das Regieteam um Patrick Kinmonth (Bühne: Darko Petrovic, Kostüme: Annina von Pfuel) den Kosmos weitgehend außen vor. Die Raumstation ist ein halbrund gebogenes Trümmerstück, Stahlbeton offenbar, das man eher als Ruine einer gescheiterten irdischen Zivilisation denn als technisches Objekt verorten würde. Aufgebockt steht das im Wasser, und ein Wasserstrahl von oben dient nicht nur pragmatisch als Dusche, sondern wohl auch als Symbol für Reinigung schlechthin. Nur in Andeutungen verweist die Regie auf das eigentliche Weltraum-Genre, und die technologischen Anspielungen sind bewusst museal gehalten. Lange wird die ästhetische Dimension des Stoffes nur vorsichtig angedeutet (da geht es in der Vorlage immerhin um einen Planeten, der um zwei Sonnen kreist, eine rote und eine blaue, und dessen Ozean die erstaunlichsten Gebilde hervorbringt und auf unansehnliche Art wieder vernichtet). Erst im zweiten Teil bekommen die eindrucksvollen Lichteffekte (Andreas Grüter) mehr und mehr angemessene Bedeutung und geben ein visuelles Pendant wieder. Und insgesamt gilt: Je weniger konkret die Regie wird, je weniger sie erklären will und statt dessen dem Geheimnisvollen, nicht sofort Entschlüsselbaren Raum gibt, desto eindrucksvoller wirkt sie. Musikalisch kommt Glanerts entschlackte Instrumentation den Sängern entgegen, und das Kölner Ensemble, mit schlanken Stimmen besetzt, weiß das zu nutzen: Nikolay Borchev mit jugendlichem, gut fokussiertem Bariton als Kelvin, Aoife Miskelly mit jugendlich leichtem Sopran als intensiv singende Harey, Martin Koch mit pointiertem Charaktertenor als Snaut, Bjarni Thor Kristinsson als mit komödiantisch parlandierendem Bass als Sartorius, sie singen und spielen das mit großem Engagement (und ausgezeichneter Textverständlichkeit). Ungemein klangschön präsentiert sich der von Andrew Ollivant bestens vorbereitete Chor, im Wasser um das Zivilisationsfragment gherum stehend. Und unter der Leitung von Lothar Zagrosek zaubert das Gürzenich Orchester delikate Klangfarben. Von Jubel am Ende dieser deutschen Erstaufführung zu sprechen, das wäre wohl übertrieben, aber intensiver und einhelliger Beifall für eine sehenswerte Produktion war das allemal.
Glanerts Solaris ist vielleicht kein Meisterwerk, aber doch ein interessantes Stück, dem man nicht zuletzt des reizvollen Sujets wegen die eine oder andere Folgeproduktion zutraut. Und ähnlich lässt sich über die Regie sagen: Kein unbedingt genialer Wurf, aber doch eine ordentliche Inszenierung mit reizvollen Momenten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Gesamtkonzept und Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten
Kris Kelvin
Harey
Snaut
Sartorius
Die Baboon
Alte Frau
Zwerg
Gibarian
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