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Ariodante

Dramma per musica in drei Akten
Libretto von einem unbekannten Bearbeiter nach Antonio Salvis Libretto zu Giacomo Antonio Pertis Dramma per musica Ginevra, Principessa di Scozia von 1708, basierend auf Ludovico Ariostos Versepos Orlando furioso von 1532
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Theater Münster am 28. März 2015

Logo: Theater Münster

Theater Münster
(Homepage)
Im Land der Regenschirme

Von Thomas Molke / Fotos von Oliver Berg

Während Hannover die 12. Oster-Tanz-Tage veranstaltet und Daniel Barenboim mit einer neuen Parsifal-Inszenierung die Festtage im Schillertheater in Berlin einläutet, lädt das Theater Münster zu den Tagen der Barockmusik ein. Im Großen Haus des Theaters, im Erbdrostenhof und im LWL-Museum für Kunst und Kultur gibt es dabei eine Woche lang zahlreiche Veranstaltungen mit Werken zahlreicher Barockkomponisten. Den Anfang macht die Oper Münster mit einer Inszenierung von Händels Dramma per musica Ariodante, der zweiten Oper nach Orlando, in der Händel eine Episode aus Ludovico Ariostos Ritterroman Orlando furioso bearbeitet. Dieses Epos, in dem Karl der Große zum Sieger über die ungläubigen Sarazenen hochstilisiert wird, erfreute sich vor allem im 18. Jahrhundert großer Beliebtheit und war für Opernadaptionen ebenso beliebt wie die mythologischen Geschichten um Orpheus und Odysseus. Allein das Libretto des Florentiner Hofdichters Antonio Salvi wurde ein Dutzend Mal vertont. Auch Händel griff bei seiner Komposition auf diese Textgrundlage zurück, führte als Neuerung allerdings in jedem Akt Balletteinlagen für die berühmte Tänzerin Marie Sallé ein, die mit ihrer Tanztruppe in den Pantomimen von John Rich für Furore gesorgt hatte.

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Ginevra (Henrike Jakob) und Ariodante (Lisa Wedekind) lieben sich.

Die Geschichte behandelt einen Nebenstrang aus Ariosts Ritterroman, der mit den eigentlichen Hauptfiguren, den beiden Paladinen Ruggiero und Orlando, nichts zu tun hat. Auch auf Orlandos Vetter Rinaldo, der durch einen Sturm nach Schottland verschlagen wird, und mit seinem Eingreifen das glückliche Ende herbeiführt, wird in der Oper verzichtet. Ginevra, die Tochter des Königs von Schottland, liebt Ariodante, einen Vasallen des Königs, den ihr Vater gerne als zukünftigen Thronfolger akzeptieren will. Doch Polinesso, der Herzog von Albany, ist ebenfalls in Ginevra verliebt und liebäugelt mit dem schottischen Thron. Als er von Ginevra zurückgewiesen wird, ersinnt er mit Hilfe der Hofdame Dalinda eine Intrige und gaukelt Ariodante vor, dass seine geliebte Ginevra untreu sei. Aus Verzweiflung will Ariodante sich das Leben nehmen. Sein Bruder Lurcanio gibt Ginevra die Schuld dafür und fordert vom König, seine Tochter wegen ihrer Untreue mit dem Tod zu bestrafen. Als der König einwilligt, erklärt sich Polinesso bereit, die Ehre der Königstochter zu verteidigen. Obwohl Ginevra dies ablehnt, kommt es zum Kampf zwischen Lurcanio und Polinesso, dem letzterer zum Opfer fällt. Als der König nun selbst für seine Tochter kämpfen will, taucht der tot geglaubte Ariodante wieder auf. Dalinda, die mittlerweile selbst vor Polinessos Häschern fliehen musste, weil er sie als Mitwisserin beseitigen wollte, hat den jungen Ritter aufgeklärt, dass sie es gewesen sei, die er in Ginevras Kleid mit dem Nebenbuhler in trauter Zweisamkeit gesehen habe. So ist Ginevras Ehre gerettet, und der Hochzeit steht nichts mehr im Weg.

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Polinesso (Nicholas Tamagna, mit der Statisterie) will den schottischen Thron.

Kobie van Rensburg, der in Münster bereits in seiner Inszenierung der Zauberflöte in der letzten Spielzeit mit beeindruckenden Videoprojektionen Akzente gesetzt hat, bleibt auch bei Händels Oper diesem Konzept treu, was in jeder Hinsicht aufgeht und die drei Stunden regelrecht im Flug vergehen lässt. Auf mehrere verschiebbare weiße Wände projiziert er zum einen beeindruckende Bühnenräume, mit denen sich das reale Bühnenbild auf nur wenige Requisiten reduzieren lässt, und spielt zum anderen auf bildliche Art mit den Motivationen der einzelnen Figuren. So lässt er direkt zu Beginn des Abends Polinessos Intentionen auf der Rückwand sichtbar werden, wenn der Herzog von Albany wie mit magischer Hand seinen Namen und den der Königstochter Ginevra auf die Rückwand schreibt, was ihn zum neuen König über Schottland machen würde. Doch auch seine Leibgarde, die wie Ninjas aus dem Schnürboden herabgelassen werden, können nicht verhindern, dass sein Name durch den von Ariodante ersetzt wird. So muss auch Polinessos Bild, das in einer Ahnengalerie neben der Prinzessin hängt, für Ariodantes Bildnis Platz machen, und es hilft nichts, dass Polinessos Diener versuchen, dieses Bild "wegzuschieben". Die Pläne des Königs sind klar. Ariodante soll sein Nachfolger werden, und so gibt es zahlreiche Artikel zu lesen, in denen die "Royal Wedding" angekündigt wird. Das lieto fine scheint also direkt von Anfang an nicht mehr aufzuhalten zu sein und prangt in großen Lettern über dem Saal. Doch eine kleine Explosion in der Projektion lässt die Buchstaben zunächst herabpurzeln.

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Noch ist Ariodante (Lisa Wedekind, Mitte) siegesgewiss (von links: Dalinda ( Eva Bauchmüller), der König von Schottland (Lukas Schmid), Ginevra (Henrike Jakob) und Lurcanio (Youn-Seong Shim) mit der Statisterie im Hintergrund).

Dabei setzt van Rensburg allerdings bei aller Dramatik auch auf gute Unterhaltung und baut zahlreiche komischen Momente ein. Ob die Regenschirme, mit denen die Figuren über die Bühne laufen und die in zahlreichen Szenen aus dem Schnürboden herabhängen, nun auf das regnerische Wetter in Schottland anspielen sollen oder doch eher dem Ort der Aufführung gewidmet sind - das Markenzeichen des Zuschauersaals im Großen Haus sind schließlich die zahlreichen Lampenschirme unter der Decke -, bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen. Auch auf die Balletteinlagen wird nicht vollständig verzichtet, wobei der Tanz allerdings hier von den Solisten und den fünf Statistinnen zwar anders, aber keineswegs weniger unkonventionell als bei der Uraufführung angelegt ist. Wenn sich Ariodante am Ende des ersten Aktes bereits am Ziel wähnt und mit Ginevra zum Duett "Se rinasce nel mio cor" ansetzt, wählt Fabrizio Ventura mit dem Sinfonieorchester Münster nicht nur einen Rhythmus, der dem an die Wand projizierten "Barock and Roll, Baby!" entspricht, sondern auch die Solisten rocken bei dieser Nummer richtig ab und übertragen ihre Spielfreude auf das Publikum, das auf Aufforderung dann ebenfalls beginnt mitzuklatschen. Vielleicht mag das den einen oder anderen Barockpuristen befremden, der Großteil des Publikums zeigt sich davon aber absolut begeistert und quittiert diese Szene mit großem Applaus.

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Polinesso (Nicholas Tamagna) überredet Dalinda (Eva Bauchmüller) zur Intrige.

Dabei nimmt van Rensburg dem Stück aber keineswegs die Ernsthaftigkeit. Wenn Ginevra ihren Geliebten Ariodante für tot hält und beinahe dem Wahnsinn verfällt, weil man sie in ihrer Trauer auch noch der Untreue beschuldigt, gelingt van Rensburg eine Umsetzung, die unter die Haut geht. Ein Gaze-Vorhang, der vor der Bühne herabgelassen wird, ermöglicht eine Doppelung der Projektionen. So sieht Ginevra das Gesicht ihres Geliebten Ariodantes sowohl vor als auch hinter ihr, und immer wenn sie versucht, den Geliebten zu erreichen, löst er sich in Rauch auf. Die Statistinnen führen dabei als Alpträume des Todes einen regelrechten Höllentanz um Ginevra auf, in den die Prinzessin hereingezogen wird. Henrike Jakob beeindruckt als Ginevra hierbei auch artistisch, indem sie in dieser Szene gleich zwei Mal ein Rad schlägt. Auch die Verwechslungsszene wird glaubhaft umgesetzt. Die Bühne ist recht dunkel gehalten, so dass man Dalinda in Ginevras Umhang bei dem kurzen Auftritt durchaus für die Prinzessin halten kann. Wenn Lisa Wedekind in der Titelpartie das Publikum im Anschluss mit der traurigen Arie "Scherza infida", in der sie Ariodantes großer Trauer über den vermeintlichen Untreue Ausdruck verleiht, in die Pause entlässt, steht Wedekind einsam hinter dem Gaze-Vorhang und sieht ihren Lebenstraum im wahrsten Sinne des Wortes zu Bruch gehen.

Musikalisch begeistert vor allem das Sinfonieorchester Münster unter der Leitung von Fabrizio Ventura, das einen frischen und richtig fetzigen Barock-Sound aus dem Graben erklingen lässt, der bei dem ansonsten häufig von Längen durchzogenen Stück musikalisch keine Langeweile aufkommen lässt. Dabei wird Ventura auch noch Teil der Inszenierung, wenn er zu Beginn von Polinesso mit Waffengewalt überhaupt in den Graben gezwungen werden muss, um mit der Ouvertüre zu beginnen, und Henrike Jakob beim Schlussapplaus Polinessos Waffe ergreift und den Dirigenten auf die gleiche Art und Weise auf die Bühne beordert. Jakob stattet die Partie der Ginevra mit großer Dramatik aus, wobei ihr Sopran in den Läufen nicht immer die erforderliche Beweglichkeit besitzt. Eva Bauchmüller begeistert als Ginevras Vertraute Dalinda mit jugendlich frischem Sopran. Youn-Seong Shim gibt mit hellem Tenor einen nach Dalinda schmachtenden Verehrer, der am Ende auch das Herz der Angebeteten gewinnt. Lukas Schmid überzeugt als König mit solidem Bass. Lisa Wedekind stattet die Titelpartie mit warmem Mezzo aus und wird auch optisch der Hosenrolle gerecht. Für die Partie des Polinesso ist der Countertenor Nicholas Tamagna verpflichtet worden, der den Bösewicht mit stupenden Höhen und großer Beweglichkeit in den Koloraturen ausstattet. Ein Höhepunkt des Abends dürfte sicherlich seine Arie "Se l'inganno sortisce felice" im zweiten Akt sein, wenn Polinesso mit seiner geglückten Intrige über Ariodante triumphiert. So gibt es am Ende frenetischen Applaus für einen in jeder Hinsicht gelungenen Theaterabend.

FAZIT

Barockfans sollten diese wunderbar umgesetzte Inszenierung keineswegs verpassen. Wer der Meinung ist, dass Barockopern langweilig seien, kann sich in Münster vom Gegenteil überzeugen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Fabrizio Ventura

Inszenierung, Bühne und Video
Kobie van Rensburg

Bühne
Kerstin Bayer

Kostüme
Lutz Kemper
Dorothee Schumacher

Choreographische Mitarbeit
Tomasz Zwozniak

Dramaturgie
Margrit Poremba

 

Sinfonieorchester Münster

Orgel / Cembalo
*Elda Laro /
Daniel Klein

Violoncello
Monika Krack /
*Chul Geun Park

Kontrabass
Renate Fischer /
*Michael Emich

Laute / Theorbe
Andreas Nachtsheim /
Stefan Rath

 

Solisten

Der König von Schottland
Lukas Schmid

Ariodante, ein fremder Adeliger
und Gefolgsmann des Königs

Lisa Wedekind

Ginevra, Tochter des Königs
Henrike Jakob

Lurcanio, Ariodantes Bruder
Youn-Seong Shim

Polinesso, Herzog von Albany
Nicholas Tamagna

Dalinda, Vertraute Ginevraa
Eva Bauchmüller

Polinessos Leibgarde / Höflinge /
Ginevras Träume
Anna-Lena Darkow
Julia Fischer
Laura Goblirsch
Clara Heidkamp
Emily Messing
Shirin Assad pour Notarki
Svenja Reinecker
Svenja Vrielmann


Weitere
Informationen

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Theater Münster
(Homepage)



Da capo al Fine

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