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Hinter den Kulissen kleinbürgerlicher
Sittsamkeit Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Oliver Berg
In der Prager Fassung, die nach Smetanas Tod 1892 in Wien erstmals zur Aufführung kam, begann die komische Oper Die verkaufte Braut ihren internationalen Erfolg. Angereichert mit orchesterbegleiteten Rezitativen, Furiant und Polka, dem Chor der Dorfburschen im zweiten und der Arie der Maria im dritten Akt erfreute man sich an einer aufgelockerten Nummernoper, die volkstümliches Lokalkolorit und Tanz in den Vordergrund rückt. Marie liebt den Allen unbekannten Hans, soll aber – so haben es die Eltern und zukünftigen Schwiegereltern vereinbart – Wenzel, Sohn aus der zweiten Ehe des reichen Bauern Micha heiraten. Heiratsvermittler Kecal bietet Geld, damit Hans auf Marie verzichte. Dieser akzeptiert, lässt aber vertraglich hinzufügen, Marie dürfe nur mit einem Sohn Michas verheiratet werden. Kecal, die Eltern Maries und Wenzels glauben sich beglückt am Ziel, müssen aber am Ende erkennen, dass Hans sie raffiniert ausgetrickst hat, denn er ist Michas Sohn aus erster Ehe. Und als Marie schließlich ihre Wut überwindet, steht dem Happy End nichts mehr im Wege. Aus heutiger Sicht mutet der Stoff reichlich altbacken an. Warum also Smetanas komische Oper Die verkaufte Braut im Spielplan 2014-15 des Theater Münster? Yona Kim wirft in ihrer einfühlsamen, auch augenzwinkernden Neuinszenierung einen Blick hinter die Kulissen kleinbürgerlicher Sittsamkeit. Sie zeigt nicht nur sich erfolgreich auflehnende, junge Leute, die ihr privates Liebesglück jenseits der für sie unverständlichen sozialen Traditionen und Gesetze leben wollen. Sie stellt Marie und Hans auch ein sich im Alter liebevoll stützendes Ehepaar an die Seite, das 50 Jahre verheiratet ist und still und genügsam die Geschenkeflut und Feierlichkeiten aussitzt. Heiratsvermittler Kecal (Greogor Dalal) präsentiert Marie (Sara Rossi Daldoss) den von Hans unterzeichneten Vertrag. Der Blick fällt zunächst auf ein quadratisches Treseneck aus Holz, dessen Rahmen mit Maßkrügen geschmückt ist. Waschraum und Garderobe, die hinter zwei seitlichen Türen versteckt sind, ermöglichen aufgrund ihres fahrbaren Untersatzes schnelle Schauplatzwechsel. Im Bühnenprospekt sieht man eine weiß verschneite Silhouette Münsters, die mit Graffitis aufgelockert ist. Hier und da sind Feiergäste in Trachtengewänder gehüllt. Aber ihren Kopf ziert ein umgestülptes Bastkörbchen und die bitterbös dreinblickende Jubilarin erscheint zu ihrer goldenen Hochzeit in einem hautengen Glitzerkleid. Szene und Marsch der Komödianten im dritten Akt erklingen von den seitlichen Rängen. Anstelle folkloristischen Lokalkolorits führt uns Kim Szenen einer Familie vor Augen, thematisiert den Autoritätsverlust von Eltern, den Leidensdruck und mögliche Reaktionen Jugendlicher. Witzig konterkarierte stumme Beobachter und im Verborgenen Lauschende sind Zeugen des Geschehens: Wirt Krusina ist Alkoholiker. Gleich in der zweiten Szene beantwortet er - anstelle von Argumenten - das Aufbegehren seiner Tochter mit Gewalt, während Mutter Ludmila - hier neben Marie als Serviererin tätig - zusammengekrümmt unterm Tresen hockt und raucht, anstatt ihrer Tochter beizustehen. „Wenzelchen“ hingegen ist das unselbstständige, stotternde Opfer einer überbehütenden Mutter, während die jungendliche Esmeralda den häuslichen Streitereien entflohen ist, in Mülleimern stöbert und ihre Freiheit im unsteten Leben der Straße sucht. Marie (Sara Rossi Daldoss) klärt Wenzel (Boris Leisenheimer) über seine Zukünftige auf. Musikalisch erinnert der Zauber tänzerischer Leichtigkeit wie ein roter Faden an Freiheit und Unbeschwertheit. Stefan Veselka dirigiert die angenehm entstaubte vierte Fassung von St. Petersburg aus dem Jahre 1871. In das Bühnenspiel einbezogen ist Chorleiterin Inna Batyuk, die den spielfreudigen, beschwingt und textverständlich singenden Chor und Extrachor in den Festszenen leitet. Bariton Plamen Hidjov verkörpert glaubwürdig den in die Jahre gekommenen Wirt Krusina. Sopranistin Lisa Wedekind unterstützt die häuslichen Geschäfte ihres Mannes als Serviererin, wirkt jedoch als Mutter Maries etwas zu jung. Sara Rossi Daldoss ist eine leidenschaftliche Tochter Marie, die stimmlich die tragisch-dramatischen Eigenschaften der Protagonistin hervorhebt. Einer der musikalischen Höhepunkte ist das Treueduett, das sie gemeinsam mit Daniel Ohlmann singt, der mit weichem, hell timbrierten Stimmklang den Liebsten darstellt. Gregor Dalals lyrischer Bariton verkörpert überzeugend den Heiratsvermittler Kecal. Boris Leisenheimer ist ein stimmlich und schauspielerisch anrührender Wenzel. Darstellerischer Höhepunkt der Inszenierung ist seine verspielt naive Begegnung mit Eva Bauchmüller als Esmeralda. Lukas Schmids klangvoller Bassbariton stellt den Grundbesitzer Micha dar, Suzanne McLeod die Frau an seiner Seite. Tenor Christian-Kai Sander verkündet hell und textverständlich die Highlights der Komödiantentruppe. FAZIT Das Theater Münster zeigt endlich mal wieder, dass es auch in der Sparte Musiktheater etwas zu bieten hat. Entstaubte Inszenierung und passende, spielfreudige Besetzung lassen aufhorchen.
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Produktionsteam Musikalische Leitung Regie Bühne Kostüme Chor Dramaturgie
Opern- und Extrachor des Sinfonieorchester Münster
Solisten
Krušina Ludmila Marie Micha Háta Wenzel Hans Kecal
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