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In Eremo

Tanztheater von Hans Henning Paar
Musik von Jonas Nondorf und Andronik Yegiazaryan

Aufführungsdauer: ca. 1h 25' (keine Pause)

Premiere im Kleinen Haus des Theater Münster am 2. Mai 2015

Logo: Theater Münster

Theater Münster
(Homepage)
Vom Gleichklang zur Ekstase

Von Thomas Molke / Fotos von Oliver Berg

Nachdem Hans Henning Paar die Spielzeit mit der Uraufführung seines Handlungsballettes Lulu nach Frank Wedekind eröffnet hat, präsentiert er nun im Kleinen Haus einen wesentlich abstrakteren Tanztheaterabend und unterstreicht damit die ganze Bandbreite der Tanzsparte in Münster. Zur Inspiration ist Paar im vergangenen Jahr extra in die Wüste gereist und hat von dort Ideen für seine neue Choreographie mit dem Titel In Eremo mitgebracht. Dabei gab es allerdings vor Probenbeginn weder eine feststehende Dramaturgie noch Musik. Das ganze Stück entwickelte sich erst während des Probenprozesses, indem die Tänzerinnen und Tänzer ihre Assoziationen zum Thema "Wüste und Einsamkeit" mit einbrachten, so dass Paar das Ensemble im Programmheft als Mitchoreograph des Abends ausweist. Die Vielzahl der unterschiedlichen Szenen, die die Tänzerinnen und Tänzer in Improvisationen entwickelten, mussten nur noch in eine dramaturgisch sinnvolle Reihenfolge gebracht werden. Auch die Musik ist von Jonas Nondorf und Andronik Yegiazaryan eigens für diesen Tanzabend konzipiert und wird von den beiden Musikern auch live auf zahlreichen Instrumenten begleitet.

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Ensemble zu Beginn in der Wüste

Eine durchgängige Handlung hat das Stück zwar nicht, zeigt aber eine Entwicklung von der friedlichen Harmonie der Wüste hin zu einer von Hektik und Stress geprägten Zivilisation, die mit ihrem Leistungsdruck und Überangebot zahlreiche Menschen in die Isolation treibt und die Errungenschaften der modernen Zeit damit wieder "verwüstet". Das Bühnenbild, für das neben Paar Isabel Kork verantwortlich zeichnet, ist in Weiß gehalten, so wie im 18. Jahrhundert die Wüste auf der Weltkarte ebenfalls nur als eine weiße Fläche dargestellt wurde. Der Bühnenboden, der nach hinten schräg ansteigt, ist im vorderen Bereich mit Massen von zerknittertem Papier ausgelegt, was wohl den Wüstensand symbolisiert, in den die Tänzerinnen und Tänzer regelrecht eintauchen können. Wenn man den Zuschauerraum betritt, stehen die sechs Tänzerinnen und sechs Tänzer bereits auf der Bühne. Die hellen Kostüme und die blasse Schminke im Gesicht und auf dem Körper lassen sie wie Marmorstatuen erscheinen, die farblich mit dem Bühnenboden nahezu eine Einheit eingehen. Wenn der Abend beginnt, bewegen sie sich in homogenen Bewegungen durch das Blättermeer und erzeugen ein musikalisches Rauschen, das eine ruhige Harmonie verkörpert. Immer wieder brechen einzelne Tänzerinnen und Tänzer aus dieser Gruppe aus, werden dann entweder von der Gruppe emporgehoben oder wieder integriert. Nondorf und Yegiazaryan unterstützen diese Bewegungen musikalisch mit minimalistischen Klängen. Dazu haben sie unter anderem ein Instrument entwickelt und gebaut, das sie "Wüsten-Cello" nennen.

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Agnès Girard (vorne) als Wüstenschlange, im Hintergrund: Priscilla Fiuza und Adam Dembczyński

Im Folgenden imitieren die Tänzerinnen und Tänzer nun tierische Wüstenbewohner. Nachdem einige Tänzerinnen und Tänzer mit schwarzen Knopfaugen die possierlichen Erdmännchen nachgeahmt und dabei für Erheiterung beim Publikum gesorgt haben, werden die elektronischen Klänge plötzlich bedrohlicher und lassen eine nahende Gefahr erahnen. In einem silbrig glänzenden Kleid schlängelt sich Agnès Girard aus dem Hintergrund auf die Bühne, wobei die von Yegiazaryan und Nondorf erzeugten Geräusche an das Klappern des Schwanzes erinnern. Nach diesen Momentaufnahmen der Natur treten einzelne Tänzerinnen und Tänzer als Menschen auf, die durch die Einsamkeit irren. Nun sind die Kostüme nicht mehr so farblos wie zu Beginn des Abends. Keelan Whitmore trifft auf Tommaso Balbo in Gestalt einer Primaballerina, die sich allerdings wohl eher als Fata Morgana entpuppt. Immer wieder entwischt Balbo den Annäherungsversuchen Whitmores. Elizabeth Towles krabbelt in einem roten Kleid auf die Bühne und täuscht durch beinahe schon hysterisches Lachen übertrieben gute Laune vor. Jason Franklin gibt einen Mann auf der Suche nach etwas, das der Phantasie des Publikums überlassen bleibt.

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Tommaso Balbo (vorne) und Keelan Whitmore (dahinter)

Von diesen Einzelsequenzen nähert man sich einem Ort, der nicht mehr die Wüste als geographischen Ort betrachtet, sondern die Wüste als Isolation der Menschen in der modernen Gesellschaft zeigt. Die Tänzerinnen und Tänzer tragen nun alle farbige Kostüme und treten teilweise auch durch den Zuschauerraum auf. Nondorf und Yegiazaryan erzeugen Klänge, die an Aggressivität zunehmen. Zu diesen geradezu bohrenden Geräuschen wiegt sich das Ensemble und zeigt dabei mit weit aufgerissenen Mündern die Entartung einer zivilisierten Gesellschaft. Der Versuch eines Paares, sich zu küssen, ist zum Scheitern verurteilt. Ako Nakanome, die hilflos durch diese Menschenwüste irrt, werden die Lippen so intensiv mit rotem Lippenstift nachgezeichnet, dass quasi ihr halbes Gesicht nur noch aus Lippen besteht. Aus dieser sich ekstatisch aufladenden Stimmung scheint es lange Zeit kein Entrinnen mehr zu geben. Auch Projektionen an die weißen Fadenvorhänge unterstützen die unangenehme Atmosphäre. Doch dann kehrt allmählich wieder Ruhe ein. Die Tänzerinnen und Tänzer versinken zunächst in den Papierbergen und schieben den Papierhaufen in der Mitte zusammen, so dass er Priscilla Fiuza wie ein rauschendes Ballkleid umgibt. In diesem träumt sich Fiuza nun in eine andere Welt, die von wesentlich harmonischeren Klängen begleitet wird. Da taucht dann am Ende sogar ein Eisbär auf, der ja in der Wüste eigentlich überhaupt nichts verloren hat.

Neben den elektronischen Klängen musizieren Nondorf und Yegiazaryan auch auf ethnischen Instrumenten wie der armenischen Duduk und der arabischen Darbuka und erzeugen damit beeindruckende lautmalerische Momente, die auf die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer genau abgestimmt sind. Die Improvisationen auf dem Klavier begleiten die harmonischeren Momente des Abends. Die Tänzerinnen und Tänzer finden zu einer modernen Körpersprache, die die Unterschiede zwischen positiv und negativ empfundener Einsamkeit eindringlich vermitteln und mit den Tierdarstellungen auch für komische Momente an diesem Abend sorgen. So vergeht der Abend wie im Flug, und das Publikum wird in die verschiedenen Wüstenbilder dank des intensiven Bewegungsapparates des Ensembles und der passend konzipierten Musik regelrecht eingesogen, und es gibt am Ende großen und lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Hans Henning Paar und seinem Ensemble gelingen beeindruckende Bilder, die mit einer trefflich konzipierten Musik Wüste und Einsamkeit auf vielschichtige Art und Weise darstellen.

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Produktionsteam

Inszenierung
Hans Henning Paar

Choreographie
Hans Henning Paar &
Ensemble

Bühne
Hans Henning Paar
Isabel Kork

Kostüme
Isabel Kork

Dramaturgie
Esther von der Fuhr

 

Musik
Jonas Nondorf
Andronik Yegiazaryan

 

Tänzerinnen und Tänzer

Tommaso Balbo
Maria Bayarri Pérez
Erik Constantin
Vladimir De Freitas Rosa
Adam Dembczy
ński
Luana Filardi
Priscilla Fiuza
Jason Franklin
Agnès Girard
Ako Nakanome
Elizabeth Towles
Keelan Whitmore

 


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