Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Parallelwelten auf der Opernbühne Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Oliver Berg
Puccini, La Bohème, 1. Bild. Als Adrian Xhema seine Arie Che gelida manina singt, kann man beobachten, wie Menschen näher rücken und verstohlen Hände suchen. Manch einer kann nicht widerstehen, mitzusummen. Wieder einmal haben es Solist und Orchester für Augenblicke geschafft, uns in den Zustand der Nicht-Entfremdung zu entführen. Und Münsters scheidender Generalmusikdirektor Fabrizio Ventura versteht es meisterhaft, Spannungspausen zu setzen, die sinnlichen Reize dieser Musik in aller Ruhe zu entfalten, kitschig schmalzende Violinen und messerscharfe Bläserakkorde zu kontrastieren und musikalische Themen zart, transparent durchscheinend in Erinnerung zu rufen. Dabei scheint es fast egal zu sein, welche Bilder gezeigt werden. Für Regisseur Pavel Fieber ist Mimi keine schüchterne, von Schwindsucht gezeichnete Schöne sondern eine mit Mini-Röckchen, löchriger Strumpfhose und Lederjacke kostümierte, attraktive Muse des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sie hat sich offenbar schon vorher in den Dichter verguckt, sucht selbstbewusst den Kontakt und bläst die Kerze aus, um ihm im Dunkeln näher zu kommen. Benoit erscheint im Gendarmenkostüm und macht Anstalten die Künstlerclique zu kontrollieren, bevor sie ihn mit Wein abfüllen, sich über seinen „unmoralischen“ Lebenswandel gespielt entrüsten, um ihn sodann hinauszuwerfen. Mimi (Sara Rossi Daldoss) und die Künstlerclique vergnügen sich im Café Momus. Christian Floeren hat für die stark gekürzte Neuinszenierung am Theater Münster die Bühne in einen gigantischen, sich in einer Kurve perspektivisch verjüngenden, realistisch anmutenden, still gelegten U-Bahntunnel verwandelt, der in einem weißen Loch endet. Eine Uhr zeigt das Jahr 1993. Auf der rechten Seite rostet ein altes, ausgedientes Wagenabteil still vor sich hin, dessen Vorderseite ein kleines, bunt illuminiertes Tannenbäumchen schmückt. Auf der gegenüberliegenden Seite prangen Werbe-Glaskästen, die Maler Marcello vergeblich zu übersprayen versucht. Doch anstelle von Graffitti-Kunstwerken produziert er Hustenreiz auslösenden Nebel. Dass Regisseur Pavel Fieber die Puccini-Clique des 19. Jahrhunderts aus Maler, Dichter, Musiker und Philosoph mit einer Protestbewegung des ausgehenden 20. Jahrhunderts vergleicht, erfährt man erst im Programmheft, wo auf „Mole People“ („Tunnelmenschen“) hingewiesen wird, eine Parallelgesellschaft, auf die Luc Besson und Jennifer Toth in den 1980er, -90er Jahren aufmerksam machten. Die sterbenskranke Mimi (Sara Rossi Daldoss, Mitte) wird fürsorglich von allen umsorgt. Im zweiten und dritten Bild der Oper führt Fieber dann die Konsum orientierte Gegenwelt vor Augen. In teure Pelze gehüllte, sonnenbebrillte Schönheiten warten mit Taschen und Tüten bepackt vor dem Bahnhof „Café Momus“ und sind mehr oder weniger vergeblich bemüht, die reiche Kinderschar mit Süßigkeiten ruhig zu halten. Alcindoro, der reiche Verehrer Musettas, ist ein alter Mann und kann sich ihrer Späße und denen der beobachtenden Clique nicht erwehren. Heimkehrende Betrunkene tummeln sich im Morgengrauen mit Mitarbeitern der Abfallwirtschaftsbetriebe bevor Mimi Marcello ihr Leid klagt und Musetta sich wieder einmal mit Marcello streitet. Am Ende kehren die Künstler-Bohemiens in den Untergrund zurück. Mit witzigen Tanzschritten und Scheingefechten überspielen sie humorvoll ihre Einsamkeit. Und während Mimi auf einem ausgedienten Liegestuhl von ihren Lieben umsorgt den Tod erwartet, macht sich eine aufdringlich die Sterbenskranke fotografierende Gruppe ihr Bild vom Leben in Parallelwelten. Sara Rossi Daldoss ist eine klangvoll vibrierende, dunkel gefärbte Mimi, die sich in den Sterbemomenten wirkungsvoll zurückzunehmen weiß. Tenor Adrian Xhema gestaltet variantenreich und verzaubert das Publikum mit hell timbriertem, heldenhaften Klang. Henkrike Jacob stellt eine soubrettenhafte, verspielte Musetta dar. Gregor Dalal überzeugt als Maler Marcello mit viel Spielfreude und klangvoll karikierenden Falsetttönen im vierten Bild. Lukas Schmids Abschied an seinen Mantel dagegen gerät eher unfreiwillig komisch. FAZIT Ein wirkungsvolles Bühnenbild gepaart mit einer nicht in Allem überzeugenden, musikalisch anrührenden Inszenierung
Ihre Meinung
|
Produktionsteam Musikalische Leitung Inszenierung Bühne & Kostüme Choreinstudierung Kinderchoreinstudierung Dramaturgie
Opernchor des Kinderchor der Sinfonieorchester Münster
Solisten
Mimí
Sergeant der
Zollwache
|
© 2015 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de