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Lulu - Eine Monstretragödie

Tanztheater von Hans Henning Paar
frei nach Frank Wedekind
Musik von Kurt Weill, Viktor Ullmann, Paul Dessau, Pierre Oser und Friedrich Cerha

Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Theater Münster am 11.Oktober 2014

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Theater Münster
(Homepage)
Stationen des Untergangs

Von Thomas Molke / Fotos von Oliver Berg

Frank Wedekinds Lulu hat nicht nur durch ihn selbst zahlreiche Bearbeitungen erfahren. Nachdem er bereits 1892 erste Entwürfe zu einer von ihm benannten Monstretragödie unter dem Titel Die Büchse der Pandora verfasst hatte, sah er sich auf Druck des Verlages gezwungen, zunächst nur die ersten drei Akte veröffentlichen zu lassen. Mit einem zusätzlichen Akt kam dieses Stück 1898 unter dem Titel Der Erdgeist in Leipzig zur Uraufführung und wurde später noch durch einen Prolog ergänzt. Erst im Juli 1902 erschien dann der ebenfalls um einen Akt ergänzte und überarbeitete Schluss des Stückes, der den ursprünglichen Titel behalten hatte, bevor Wedekind beide Teile 1913 erneut zu einer Tragödie zusammenfasste. Auch auf der Kinoleinwand erfreute sich die Geschichte dieser Femme fatale großer Beliebtheit und erfuhr seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts mit Darstellerinnen wie Asta Nielsen, Nadja Tiller, Anne Bennent und zuletzt Jessica Schwarz immer wieder neue Ausprägungen. Auf der Opernbühne hat ihr Alban Berg mit seiner unvollendeten Oper Lulu ein Denkmal gesetzt. Nun nähert sich Hans Henning Paar, der künstlerische Leiter des TanzTheaterMünster, dieser Geschichte mit Mitteln des Tanzes und präsentiert damit nach Macbeth, Ein Sommernachtstraum und Der Prozess sein viertes Handlungsballett in Münster, wobei es sich allerdings erstmals um eine Uraufführung handelt, da die anderen drei Tanzabende bereits in seiner Zeit als Ballettdirektor am Staatstheater am Gärtnerplatz in München entstanden sind.

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Lulu (Mignon) (Maria Bayarri Pérez) zwischen Dr. Schön (Adam Dembczyński, rechts) und Medizinalrat Dr. Goll (Tommaso Balbo, links)

Die Idee zu diesem Projekt sei Hans Henning Paar bereits bei einer Inszenierung von Peter Zadek gekommen, der 1988 die Urfassung der Büchse der Pandora mit Susanne Lothar zur Aufführung brachte. So greift Paar in seinem Tanzabend auch auf den "Urtext" zurück und verzichtet demnach auf den allegorisierenden Prolog des Tierbändigers, der Lulu mit einer Schlange vergleicht, und den ergänzten dritten Erdgeist-Akt, der Lulu als Tänzerin in einer Revue zeigt. In schonungslosen Bildern zeichnet er den Lebensweg einer Frau nach, die der Gesellschaft nur als Projektionsfläche für deren erotische Fantasien dient und sich mit den ihr aufgezwungenen Rollen durchaus zu arrangieren versteht. Das Sinfonieorchester Münster, das unter der Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg den Abend live begleitet, ist dabei im Bühnenhintergrund positioniert, damit die Tänzerinnen und Tänzer näher am Publikum sind und dies teilweise auch einbeziehen können. So bettelt Erik Constantin als zwielichtiger Schigolch schonungslos die Zuschauer in der ersten Reihe an, und Tommaso Balbo verteilt als vermögender Medizinalrat Dr. Goll seine Scheine nicht nur auf der Bühne, sondern wirft sie auch ins Publikum.

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Lulu (Nelli) (Priscilla Fiuza) und der Künstler Herr Schwarz (Keelan Whitmore)

Die Titelpartie ist auf vier Tänzerinnen aufgeteilt, um zum einen die verschiedenen Aspekte ihrer Persönlichkeit und Lebensphasen zu repräsentieren. Zum anderen sind es aber auch die vier Rollen, die die einzelnen Männer Lulu auferlegen. So stellen sich die Tänzerinnen zu Beginn des Abends dem Publikum zwar als "Lulu" vor, nennen aber gleichzeitig den Namen, mit dem "er" sie jeweils anrede. So wird Lulu als Mignon von Dr. Schön "von der Straße aufgelesen". Dort treibt sie sich mit Schigolch herum, der ihr angeblicher Vater ist und sie zu einer Diebin erzogen hat. Zu Kurt Weills 2. Sinfonie lässt Constantin Maria Bayarri Pérez als Lulu (Mignon) dem Ensemble heimlich die Taschen leeren. Musikalisch werden hier Erinnerungen an Die sieben Todsünden wach. Von besonderer Bedeutung ist hierbei ein Apfel, mit dem Constantin Pérez regelrecht hypnotisiert und der vielleicht auch als Bild für den Sündenfall zu interpretieren ist. Adam Dembczyńskis Absichten als Dr. Schön sind natürlich keineswegs so rein, wie sie auf den ersten Blick scheinen, weil er natürlich neben der Erziehung Lulus an ganz anderen Dingen interessiert ist. Erst als seine eigene standesgemäße Heirat den Umgang mit dieser Kindfrau unmöglich macht, verheiratet er sie kurzerhand mit dem alten Medizinalrat Dr. Goll. Balbo begeistert mit unheimlichen Bewegungen und seltsam gespreizten Händen, die deutlich machen, dass er Lulu ebenfalls nur als Objekt der Begierde wahrnimmt.

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Lulu (Eva) (Elizabeth Towles) im Gefängnis

Die Bühne verwandelt sich in das Maler-Atelier des Herrn Schwarz mit einer grünen Chaiselongue und zahlreichen Aktfotos, die aus dem Schnürboden herabgelassen werden. Hier tritt nun Priscilla Fiuza als Lulu (Nelli) auf und wird nicht nur zum Modell, sondern auch zu Schwarz' Geliebten. Keelan Whitmore begeistert als Künstler Schwarz durch elegante Bewegungen, die Fiuza, die ein wenig von der Naivität, die Pérez als Lulu noch verkörpert hat, abgelegt hat, dennoch verzaubern und sie zu seiner Muse machen. Hier trifft sie auch das erste Mal auf die Gräfin Geschwitz, die von der hochgewachsenen Agnès Girard durch schlangenhafte Bewegungen großartig umgesetzt wird. Im Maler-Atelier kommt es dann allerdings zur doppelten Tragödie, wenn zunächst Dr. Goll stirbt, weil er seine Frau mit dem Künstler erwischt, und sich anschließend Schwarz mit einem Schlüpfer Lulus erhängt, als er erkennen muss, dass sie ihn mit Dr. Schön betrügt. Bewegend wird auch umgesetzt, wie Violeta Wulff Mena als Dr. Schöns Braut abgeschoben wird. Mit den Haaren im Gesicht wird ihr zunächst die Möglichkeit genommen, wahrzunehmen, was um sie herum passiert. Anschließend platziert Dr. Schön sie einfach am Bühnenrand, und wenn sie wirklich einmal den Versuch unternimmt, sich zum Geschehen umzudrehen, dreht Lulu ihren Kopf einfach in eine andere Richtung.

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Letzte Station: Lulu (Anna Caviezel) und Schigolch (Erik Constantin)

Es folgt Lulus Auftritt als Eva. Elizabeth Towles hat nun als Lulu Dr. Schön überreden können, sie zu heiraten. Dabei vergnügt sie sich aber nicht nur mit dem Athleten Rodrigo Quast, den Vladimir de Freitas Rosa mit nacktem Oberkörper und ironischem Hang zur Selbstverliebtheit verkörpert, wenn er die Muskeln seines durchtrainierten Körpers spielen lässt, sondern auch mit dem Studenten Hugenberg, der von Alexander Bolk äußerst schüchtern angelegt wird. Wie er immer wieder seine Frisur in Ordnung bringt und beinahe schon mit leichter Panik in seine Hose schaut, zeugt von großer Komik. Überhaupt ist diese Menage à trois szenisch einer der Höhepunkte des Abends. Als dann auch noch Jason Franklin als Dr. Schöns Sohn Alwa ein Verhältnis mit Lulu beginnt und von seinem Vater dabei ertappt wird, kommt es zu einem folgenschweren Kampf, der zum einen zu Dr. Schöns Tod, zum anderen zu Lulus Verhaftung führt.

Nach der Pause bewegt sich Towles wie ein Tier in einem Käfig, musikalisch wunderbar unterstützt von Elda Laro am Flügel, die Paul Dessaus Fantasietta in Cis interpretiert und damit die Ausweglosigkeit der Situation wunderbar einfängt. Erst die Gräfin Geschwitz kann Lulu die Flucht aus dem Gefängnis ermöglichen, indem sie mit ihr die Kleidung tauscht und selbst im Gefängnis zurückbleibt. Wie Towles dazu in zartem Gesang "Love Me Tender" haucht, geht unter die Haut und lässt nachvollziehen, wieso auch die Geschwitz dieser Frau verfallen ist. Es folgt der gemeinsame Versuch von Lulu, Alwa, der Gräfin Geschwitz und Schigolch, in Paris Teil der Gesellschaft zu werden. Mit weiß geschminkten Masken und feiner Abendgarderobe suggeriert das Ensemble mit lebensfrohen Charleston-Schritten eine sorgenfreie Gesellschaft, die allerdings in ihren Gesichtern absolut gefühllos wirkt. So entziehen sie Lulu und ihren Freunden auch immer wieder die Stühle, wenn diese versuchen sich zu setzen, um gewissermaßen hier sesshaft zu werden.

Das letzte Bild zeigt dann den schonungslosen Abstieg Lulus. Nun tritt Anna Caviezel auf, die der Figur einen absolut desillusionierten Zug verleiht. Im Hintergrund tauchen auch immer wieder die anderen Lulu-Tänzerinnen auf, gewissermaßen als Erinnerung an alte Zeiten. Die Musik von Friedrich Cerha, Impulse für Orchester, fängt die auswegslose Situation gut nachvollziehbar ein. Der Apfel, mit dem Schigolch Lulu zu Beginn immer gelockt hat, besteht nur noch aus seinem Gehäuse. Lulu bleibt nur noch die Prostitution, die sie beim dritten Freier dann zu Jack the Ripper führt, der nicht nur ihrem Leben ein Ende setzt, sondern auch Alwa und die Gräfin Geschwitz tötet. Zurück bleibt Schigolch. Wird er ein neues Opfer finden? Das Ensemble und das Orchester werden mit großem Applaus für diesen intensiven Tanzabend bedacht. Auch das Regieteam kann großen Beifall entgegennehmen.

FAZIT

Hans Henning Paar hat in seinem mittlerweile dritten Jahr in Münster der Tanztheatersparte wieder eine Größe verliehen, die auch überregional Interesse weckt und auf die man zu Recht stolz sein darf.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thorsten Schmid-Kapfenburg

Inszenierung und Choreographie
Hans Henning Paar

Bühne und Kostüme
Kristopher Kempf

Dramaturgie
Esther von der Fuhr

 

Sinfonieorchester Münster

Flügel
Daniel Klein /
*Elda Laro

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Lulu (Mignon)
Maria Bayarri Pérez

Lulu (Nelli)
Priscilla Fiuza

Lulu (Eva)
Elizabeth Towles

Lulu
Anna Caviezel

Schigolch
Erik Constantin

Dr. Schön
Adam Dembczy
ński

Alwa, Dr. Schöns Sohn
Jason Franklin

Medizinalrat Dr. Goll
Tommaso Balbo

Herr Schwarz, Künstler
Keelan Whitmore

Gräfin Geschwitz
*Agnès Girard /
Ako Nakanome

Rodrigo Quast
Vladimir de Freitas Rosa

Hugenberg, Student
Alexander Bolk

Dr. Schöns Braut
Violeta Wulff Mena

Freier
Adam Dembczy
ński
Alexander Bolk

Jack the Ripper
*Tommaso Balbo /
Keelan Whitmore


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