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Musiktheater
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Soldaten

Oper in drei Akten
Libretto von Manfred Gurlitt nach dem Drama Die Soldaten von Jakob Michael Reinhold Lenz
Musik von Manfred Gurlitt

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h 10' (keine Pause)

Premiere im Theater am Domhof am 17. Januar 2015

 

Logo: Theater Osnabrück

Theater Osnabrück
(Homepage)

Wenn die Zitternadel zum Maschinengewehr wird          

Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Jörg Landsberg

Immer mal wieder kramt das Theater Osnabrück in der Sparte Musiktheater seltene Werke aus, richtet sein Augenmerk auf quasi in Vergessenheit geratene Komponisten. In der Spielzeit 2014/15 ist es Soldaten, die 1930 in Düsseldorf uraufgeführte, dritte Oper  des 1890 geborenen Manfred Gurlitt - dargeboten in einer mit Videodokumenten angereicherten, satirisch zugespitzten, provokanten und nachdenklich stimmenden Inszenierung von Florian Lutz, deren Aktualität gerade durch die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit kaum zu überbieten ist. Am 7. Februar sendet Deutschlandradio Kultur den Premierenmitschnitt. Schade, dass die Bilder des Regieteams im Radio nicht übertragen werden können. So nimmt man auch dem ursprünglichen Werk seine antimilitaristische, gesellschaftskritische Wirkung.

Soldaten erinnert an die Wozzek-Thematik, an die Militarisierung der Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Erzählt wird die Geschichte der attraktiven, nach Höherem strebenden Bürgertochter Marie. Obwohl mit dem Tuchhändler Stolzius verlobt, flirtet sie – mit dem Einverständnis ihrer Eltern - mit dem in militärischen Diensten stehenden Baron Desportes. Dieser macht sich ihre sexuelle Naivität und Neugier rücksichtslos und standesgemäß zunutze, entzieht sich jedoch einer engeren Bindung und der Einlösung seines Heiratsversprechens. Die enttäuschte und verletzte Marie versucht vergeblich, sich weiter nach oben zu schlafen. Von der vergnügungssüchtigen Soldatengesellschaft verstoßen, endet sie schließlich auf der Straße, während der sie nach wie vor liebende Stolzius Rache nimmt, Desportes vergiftet und sich selbst das Leben nimmt.

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1. Akt, 4. Szene: Abendessen bei Weseners. Der Streit beginnt.
vorne: Susann Vent-Wunderlich (Marie), Erika Simons (Charlotte); hinten: José Gallisa (Herr Wesener), Almerija Delic (Frau Wesener)

In Florian Lutz’ aktualisierender Regieinterpretation stirbt der hasserfüllte Rächer Stolzius nicht. Aufrecht und anklagend blickt er ins Publikum. Und nicht nur bei seinen Schlussworten „Gott wird mich nicht verdammen“ werden Assoziationen an die Terrormilizen und Selbstmordattentäter unserer Zeit wach, deren Gewaltbereitschaft Menschen auf der ganzen Welt in Angst und Schrecken versetzen. Vater Wesener ist im internationalen Waffenhandel tätig. Tochter Marie lässt sich anstelle der Zitternadel mit dem Geschenk einer Maschinenpistole verführen. Die Kaffeehaus-Szene verwandelt sich in einen Schützengraben, in dem auch grausame, aus Guantanamo bekannte Folterszenen vor Augen geführt werden. Zugleich spitzt Regisseur Lutz die Geschichte satirisch auf bundesdeutsche Verhältnisse zu, wenn gegen Ende des zweiten Aktes nicht eine neue Figur, die Gräfin, die Bühne betritt, sondern die ebenso zur Überbehütung neigende Mutter von Stolzius, die sich zudem als Karikatur der bundesdeutschen Verteidigungsministerin und siebenfachen Mutter erweist. Machthungrig und selbstverliebt sonnt sie sich im Lichte der Medien konterkariert von Conchita Wurst, den Von-Der-Leyens und um Asyl bettelnden Flüchtlingsfamilien. Und während im Video die Bundeswehr mit attraktiven Berufskarrieren wirbt, üben die Soldaten zwischen Kriegseinsatz und Heimaturlaub das Füttern und Windelnwechseln. Auch der einflussreiche Wesener nutzt die sensationshungrigen Medien, wenn er in der vorletzten Szene seine Tochter in die Arme schließt. Zusammengehalten wird dieser aufwühlende, assoziations- und bilderreiche Rundumschlag aus Bühnengeschehen und Videocollage von dem wunderbar mobilen Bühnenbild Sebastian Hannaks. Bühnenhohe, mit feinen Netzlinien versehene, ansonsten schmucklos weiße Wände schaffen immer neue Raumperspektiven und Spielräume. Der Einsatz der Drehbühne sorgt zusätzlich für einen nicht abreißenden Spannungsbogen.

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2. Akt, 2. Szene: Stolzius mutiert vom braven Muttersohn zum hasserfüllten Rächer.
                                                                                                                                           Jan Friedrich Eggers (Stolzius)

Musikalisch liefen Chor, das ausgesprochen textverständlich singende Solistenensemble und das Osnabrücker Sinfonieorchester an diesem Premierenabend zur Hochform auf. Allen voran Susan Vent-Wunderlich, die die Rolle der Marie anrührend gestaltet und die oft rezitativisch wirkende Gesangslinie zu einer gebundenen und textverständlichen Melodie zu formen versteht. Klangvoll vereint sie sich im Streit-Terzett mit Erika Simons als Charlotte und Almerija Delic als Mutter Wesener.  José Gallisas wohltimbrierter Bariton bildet stimmlich den Kontrapunkt in der Familie. Jan Friedrich Eggers verkörpert mit  schlanker, fast vibratoloser Stimme einen kühlen, nüchtern die Rache kalkulierenden Stolzius. Joselyn Rechter überzeugt als energische Mutter von Stolzius ebenso wie als standesbewusste, dramatisch erschütternde Gräfin, Per-Hakan Precht als gewissenloser Desportes. Ob im frischen, flotten Marschrhythmus, vielstimmig flirrend oder kammermusikalisch pathetisch und getragen, Andreas Hotz setzt die Stil- und Ausdrucksvielfalt Gurlitts mit viel Liebe zu differenzierten Tempi und Ausdrucksgestaltung in Szene. Wunderbar z.B. das musikalisch von zahlreichen Farbvarianten durchzogene Abendessen bei Weseners im spritzigen Allegro giocoso oder die Streit-Terzett-Szene, in die sich Trompetensignale und Fanfarenmotive mischen, um sich sodann, bei Maries Gedanken an Stolzius, in ein  wehmütiges Bratschensolo zu verwandeln.

FAZIT

Eine gelungene, nachdenklich stimmende, assoziationsreiche Inszenierung, in der Bühnenbild und Videokunst zum integrierten Bestandteil des Bühnengeschehens und der Musikdarbietung werden



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andreas Hotz

Inszenierung
Florian Lutz

Bühne und Kostüme
Sebastian Hannak

Video

Konrad Kästner

Choreinstudierung
Markus Lafleur

Dramaturgie
Ulrike Schumann

 

Chor des Theater Osnabrück

Osnabrücker Sinfonieorchester


Solisten

Herr Wesener
José Gallisa

Frau Wesener
Almerija Delic

Marie
Susann Vent-Wunderlich

Charlotte
Erika Simons

Stolzius
Jan Friedrich Eggers

Mutter von Stolzius
Joslyn Rechter

Desportes
Per-Håkan Precht

Haudy
Sungkon Kim

Rammler
Silvio Heil

Mary
Genadijus Bergorulko

Gräfin de la Roche
Joslyn Rechter

Sohn der Gräfin de la Roche
Daniel Wagner

Bedienter der Gräfin
Ulrich Engbers

Ein Offizier
Jong-Bae Bu

Eine Tenorstimme
Mark Hamman




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Osnabrück
(Homepage)





Da capo al Fine

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