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Die Revolution von Oben
Von Michael Magercord / Fotos von Alain Kaiser
Nach der Uraufführung der Oper Ariane et Barbe-Bleue im Jahre 1907 wurde dieses Werk auf Übelste verrissen. Nein, nicht die Musik von Paul Dukas erregte die Kritik, vielmehr das von ihr erzählte Drama. Dramatik nämlich wurde bei der Aufführung vermisst: Nichts geschähe in diesem Stück, alles verharre in der Dunkelheit der Katakomben eines heruntergekommenen Schlosses. Und schlimmer: Die Absicht der namensgebenden Heroin des Stückes, Licht und Freiheit in dieses Verlies zu bringen, scheitert auch noch so erbärmlich. Wald im Negativ: eine Bühne für die Oberwelt.
Was also geschieht auf der Bühne – und was eben nicht? Die Geschichte um eine gescheiterte feministische Befreiungsaktion ist angesiedelt im düsteren Sitz des düsteren Grafen Blaubart. Fünf Schwestern hat der Burgtyrann schon als Ehefrauen verschliessen und eine nach der anderen ins Verlies gesperrt, wo sie übelst mißhandelt werden. Und da nun kommt die sechste, Ariane. Ihre Schönheit löst einen Bauernaufstand aus und die Bauern liefern den gefesselten Grafen den Frauen aus. Die fünf Schwestern sind frei, aber ach, sie wollen gar nicht befreit sein, kümmern sich liebevoll um den verletzten Grafen. Ariane gibt auf und kehrt ihnen enttäuscht den Rücken – Ende einer Revolution, dunkel bleibt die Welt. Die befreiten Schwestern und mittendrin ihre Befreierin Ariane (Jeanne-Michele Charbonnet) und die Amme (stehend: Sylvie Brunet-Grupposo).
Es sei also nur konsequent, die Szenerie auch auf der Bühne im Dunkeln zu belassen, sagt der Regisseur der Straßburger Aufführung. Olivier Py hält sich allerdings selbst gar nicht daran. Der renommierte Theatermann hat die Bühne nämlich geteilt: Unten zwar der erwartet düstere Keller, worin zwar viel besprochen und besungen wird, sich aber bis zum Ende kaum etwas tut; oben drüber aber ein Ort der Handlung. Dort geht es zu, wie überall sonst auf Bühnen. Dank der guten alten Drehbühnentechnik wechseln die Bilder, mal ist es ein Wald, mal das Burggemäuer, mal der Prunksaal im Schloss: Die Revolution und die Rückblicke auf ihren Auslöser spielen sich im Oberstübchen der Bühne ab. Ariane (Jeanne-Michele Charbonnet) dringt in das Schloss ein und bemächtigt sich des Helmes von Blaubart, der ihn als tierischen Teufel erscheinen ließ.
Olivier Py ist seit drei Jahren leitender Direktor des Theaterfestivals von Avignon, und er hat eine Theorie zum Theater: Ein Regisseur könne nämlich noch so bewusst und intellektuell ans Inszenieren gehen, letztlich mache das Theater was es will. Und so ist aus der konsequent düsteren Welt eine gar nicht so düstere Bühne geworden, auf der ziemlich viel abgeht. Nicht nur Revolutionen, sondern vor allem viel Erotik, wenn sich all die schönen Schwestern im Evakostüm eifrig räkeln und winden. Dass es aber doch klappt, dass die Geschichte trotzdem schlüssig düster bleibt, das ist wohl auch dem Ansatz geschuldet, keine einzig und allein effekthaschende Nebensächlichkeiten zuzulassen. Denn letztlich machen sogar die im Libretto nicht verzeichneten Tanzeinlagen und die Tiermasken der Männer Sinn, der hier wohl am ehsten in der Sinnlichkeit liegen soll. An ihr nämlich scheitern alle Revolutionen: Die Tyrannen mögen geschlagen sein, aber das Volk ist nicht von ihrem Sog befreit. Während in den Katakomben der unteren Bühne das Ende der Tyrannei des Blaubarts besungen wird, läuft oben in der Erinnerung die Zeit noch einmal ab.
Paul Dukas hat nur diese eine Oper komponiert, und auch dies nur auf Betreiben des Librettisten, Maurice Maeterlinck, der seine schauerliche Geschichte auch noch in Töne setzen lassen wollte. Dukas galt seiner Zeit als Wagner Frankreichs und wurde später auch als "französischer Richard Strauss" bezeichnet. Beides ist wohl doch etwas übertrieben, denn wirklich innovativ, wie etwa Landsmann Claude Debussy, war er nicht. Bei ihm ist es der Klang, der die Musik macht, und der dichten Stimmungslage, die aber in den fast zwei Stunden Spieldauer auch nur einige wenige Schwankungen erfährt, werden das Orchester Mulhouse unter der Leitung von Daniele Callegari und der Chor, der aus Loge singt und somit den Klangcharakter noch erhöht, mehr als gerecht. Und die beiden weiblichen Hauptrollen, die die Oper fast allein bestreiten, wobei natürlich Ariane, gesungen von Jeanne-Michele Charbonnet, der bei weitem gewichtigere Teil zufällt, haben es nicht leicht. Dukas hat ihnen eine schwierige Partie komponiert, die in die höchsten Gefilde ihrer Stimmlagen führt, worin vor allem Sylvie Brunet-Grupposo als Amme besonders überzeugt. Frei aber nicht befreit: Die Schwestern kümmern sich um den verwundeten Blaubart, Ariane (Jeanne-Michele Charbonnet) wendet sich schließlich ab.
Ja, in dieser Inszenierung des Jahres 2015 passiert also schon wesentlich mehr auf der Bühne als noch bei der Uraufführung beklagt. Aber Revolutionen scheitern auch 108 Jahre später immer noch, nur dass es niemanden mehr so richtig überrascht. Die Illusionen von heute sind keine politischen mehr. Sie sind auf die Bühne verlegt worden, und sei es nur, dass selbst die Nakedeis auch nicht mehr sind, was sie mal waren. Denn wie der Kostümbilder Pierre-Andre Weitz gestand, tragen sie oft mehr Schaumstoff am Leib als die bekleideten Figuren Klamotten. Die Busen der Schwestern und das Gemächt des bösen Blaubart sind geweitet und verlängert, aber – und das ist das Geheimnis der Illusionen von heute – gerade immer soweit, dass sie noch als echt durchgehen könnten. Und kurz vor Schluss laufen noch zwei echte, unverkleidete Hunde über die Bühne, aber ach, auch sie sind nur Illusion, sollen sie doch eigentlich Wölfe sein.
Diese nur sehr selten inszenierte Oper hält einiges an Besonderheiten bereit, wie auch die Straßburger Inszenierung, die in manchen Momenten zwar etwas überinszeniert erscheint, aber letztlich durchaus ihren Sinn macht. Musiklisch ist Ariane und Blaubart sicher keines der ganz großen Opernwerke, aber es hat eine ganz eigene Note, besser: einen eigenen Klang. Eine Entdeckung ist diese Aufführung also allemal. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Symphonieorchester Mulhouse
Solisten
Barbe-Bleue (Blaubart)
Ariane
La Nourrice (Die Amme)
Selysette
Ygraine
Melisande
Bellangere
Ein alter Bauer
Zweiter Bauer
Dritter Bauer
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