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Grün ist die Hoffnung
Während die Wuppertaler Oper Anfang September unter dem neuen
Opernintendanten Toshiyuki Kamioka ohne festes Solisten-Ensemble im Opernhaus
die neue Spielzeit eröffnete, hat nun auch das Schauspiel die neue Spielstätte,
das Theater am Engelsgarten, eingeweiht. Und auch hier gibt es mit Susanne
Abbrederis eine neue Intendantin, die im Gegensatz zu Kamioka allerdings an
einem Ensemble festgehalten hat, sich allerdings mit der wesentlich
kleineren zweiten Spielstätte abfinden muss, die zugegebener Maßen mit ihren
etwa 150 Plätzen bezüglich der Beinfreiheit und der bequemen Sitze eher an einen
Kinosaal erinnert. Dass für die Eröffnung ein Liederzyklus von Franz Schubert
ausgewählt worden ist, der für diesen Zweck für sechs Schauspieler und drei
Schauspielerinnen arrangiert worden ist, mag verwundern. Soll den einzelnen
Ensemble-Mitgliedern damit die Möglichkeit gegeben werden, sich gleichwertig,
also ohne Haupt- und Nebenrollen, dem Publikum zu präsentieren, oder ist es
vielleicht doch ein versteckter Seitenhieb auf die Oper, dass man im Schauspiel
nicht nur am Ensemble festgehalten hat, sondern dann auch noch singend beginnt? Die Wanderschaft des jungen
Müllersgesellen beginnt: hinten von links: Thomas Braus, Stefan Walz, Uwe
Dreysel, Konstantin Shklyar, vorne Mitte: Daniel F. Kamen, am Flügel: Christoph
Schnackertz Die Idee, Franz Schuberts Liederzyklus Die schöne
Müllerin, die Schubert 1823 auf die gleichnamige Gedichtsammlung seines
Zeitgenossen Wilhelm Müller komponierte, in Szene zu setzen, ist dabei
grundsätzlich nicht neu. Zu erwähnen ist hier Christoph Marthalers Inszenierung
für das Schauspielhaus Zürich im Jahr 2002, die anschließend zum Berliner
Theatertreffen eingeladen wurde. Während bei Marthaler allerdings die Geschichte
um den jungen Müllersgesellen, der auf seiner Wanderschaft zu einer Mühle
gelangt und sich dort in die Tochter seines neuen Meisters verliebt, diese
jedoch an einen Jäger verliert und aus Kummer ertränkt, nah an der
Gedichtvorlage bleibt, baut man in Wuppertal eine zusätzliche Komponente ein.
Christoph Schnackertz setzt sich als personifizierter Franz Schubert nicht nur
selbst ans Klavier, sondern scheint auch einen Teil seiner eigenen Biographie
mit dem Schicksal des jungen Müllers zu verweben. So ist es am Ende der Pianist,
der sich im Bach zur Ruhe legt, während Julia Reznik am Klavier "Des Baches
Wiegenlied" spielt. Ob der Grund des Flusses dabei ein Sandkasten sein muss, ist
Ansichtssache. Vorfreude auf die Hochzeit: von
links: Philippine Pachl, Tinka Fürst, Julia Reznik als schöne Müllerinnen, am
Flügel: Christoph Schnackertz Jos van Kan verzichtet in seiner Inszenierung größtenteils
auf eindeutige Figurenzuordnungen. So stehen zu Beginn eigentlich alle sechs
Schauspieler für den wandernden Müllergesellen, der dann auf drei schöne
Müllerinnen in Gestalt der drei Schauspielerinnen trifft. Die Bühne von Jan Ros
besteht dabei aus zwölf Podesten, die in drei Reihen nach hinten hin aufgebaut
sind. Auf dem hinteren linken Podest steht ein Glaskasten, der zwischenzeitlich
als Heim des Rehs fungiert, das später wahrscheinlich vom Jäger niedergestreckt
worden ist, wenn man das Geweih, das zum Ende an der Rückwand prangt, richtig
interpretiert. In der mittleren Reihe befindet sich im zweiten Podest von vorne
ein Flügel, dessen Beine mit Eimern vor dem Wasser geschützt werden, mit dem das
offene Podest zur Hälfte gefüllt ist, womit wahrscheinlich die Bedeutung des
Bachs als Handlungsträger im Liederzyklus unterstrichen werden soll. Auf der
rechten Seite vorne befindet sich ein Sandkasten, in dem Daniel F. Kamen nicht
nur das grüne Band als Symbol für die Liebe des Müllergesellen zur schönen
Müllerin anzündet und vergräbt, sondern auch Schuberts "Mein Traum", den dieser
am 3. Juli 1822 als Verarbeitung seiner Kindheitserinnerungen niedergeschrieben
hat und der ihn zu seiner h-Moll Symphonie inspiriert haben soll. Die übrigen
Podeste lassen sich öffnen und geben unter anderem den Blick frei auf eine Tafel
mit den letzten drei Zeilen aus dem 11. Lied "Mein!" ("Ach so muss ich ganz
allein, Mit dem seligen Worte mein, Unverstanden in der weiten Schöpfung
sein."), auf ein Bild eines Flusslaufs, auf einen Spiegel oder auf einen mit
grünem Tuch ausgestatteten Sarg. Unklar bleibt, wieso über dem zweiten Podest
auf der rechten Seite Stühle hängen. Der Jäger (Stefan Walz)
gewinnt die Gunst der schönen Müllerin (Philippine Pachl). Die Farbe Grün wird in ihrer vielfältigen Bedeutung für die
Geschichte von van Kan in der Inszenierung immer wieder aufgenommen. So drückt
sie zum einen die Hoffnung des Müllergesellen aus. Alle sechs Schauspieler
treten zu Beginn nämlich mit grünen Socken auf und ziehen die Schuhe, die auf
dem vorderen Podest in der Mitte stehen, erst an, wenn ihre Wanderschaft
beginnt. Wenn sie glauben, die schöne Müllerin für sich gewonnen zu haben wird
ein großes grünes Tuch über die komplette Bühne gezogen, das selbst den
Pianisten einhüllt. Doch auch Stefan Walz trägt als Jäger ein grünes Kostüm, was
das Kippen der Hoffnung einleitet. Die Müllerin, die in ihrem weißen Kleid
bereits wie eine Braut aussieht, geht dem Müllersgesellen verloren, und so hat
seine Hoffnung und auch sein Leben ein Ende. Die Schuhe werden in das vordere
Podest auf der linken Seite gestellt, wo sich schon ganz viele andere Schuhe
befinden. Haben schon viele andere Menschen das Leid des jungen Müllersgesellen
geteilt? Daniel F. Kamen rezitiert
Schuberts "Mein Traum" (im Hintergrund: Tinka Fürst). Während diese Geschichte gut nachvollziehbar vermittelt und
von optisch ansprechenden Videoprojektionen in Form von Naturaufnahmen auf der
Rückwand unterstützt wird, bleibt der Einbezug der biographischen Ebene
Schuberts eher unverständlich. Zwar soll Wilhelm Müllers unerfüllte Liebe zu
Luise Hensel den jungen Mann dazu veranlasst haben, die Gedichtsammlung verfasst
zu haben, und auch Schubert soll beim Lesen dieses Gedichtes so beeindruckt
gewesen sein, dass er das Buch, das er bei einem Freund fand, sofort mitgenommen
und am nächsten Tag bereits die ersten Lieder auf die Gedichte komponiert haben
soll. Trotzdem bleibt der Zusammenhang zwischen dem rezitierten "Mein Traum" und
dem Liederzyklus unklar. Auch wenn Schubert mit gerade mal 31 Jahren starb, war
es nicht an gebrochenem Herzen oder Freitod wie der Müllersgeselle sondern an
einer Infektionskrankheit. Dass allerdings beim letzten Lied des Zyklus nicht
der Sprecher, sondern der Pianist wechselt und sich Julia Reznik an den Flügel
setzt, während die anderen Schauspieler die Bühne verlassen, beeindruckt
dennoch. Auch die Rezitation des nicht vertonten Gedichts "Blümlein
Vergissmein", das mit seiner schwarzen Farbe in keinen Strauß und an keinen
"Mädchenbusen" passe, zählt zu den berührenden Momenten des Abends. Musikalisch darf die Produktion natürlich nicht mit einer
Präsentation durch einen Tenor oder Bariton verglichen werden. Doch auch wenn
die Schauspielerinnen und Schauspieler teilweise stimmlich an ihre Grenzen
stoßen, gelingt dem Ensemble ein harmonischer Gesamtklang. Besonders
hervorzuheben sind Julia Reznik mit einer warm-timbrierten Mezzo-Stimme und Uwe
Dreysel mit wohligem Klang. Großartiges leistet auch Christoph Schnackertz am
Flügel, der mit seinem innigen Spiel tief in die im Zyklus vermittelte
Gefühlswelt eintaucht. So gibt es am Ende begeisterten Applaus im allerdings
sehr dünn besetzten Zuschauersaal. Bei aller Begeisterung der anwesenden Gäste
darf nämlich leider nicht verschwiegen werden, dass mehr als die Hälfte der
Plätze bei der erst fünften Präsentation des Stückes frei blieben, was die
Auswahl dieses durchaus interessanten Projektes für die Eröffnung des neuen
Hauses und zur Vorstellung des neuen Ensembles in Frage stellen dürfte.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung und Piano Regie
Bühnenbild Kostüme Dramaturgie
Solisten
Tinka Fürst
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- Fine -