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Musiktheater
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Les Pêcheurs de Perles (Die Perlenfischer)

Oper in drei Akten
Libretto von Eugène Cormon und Michel Florentiner Carré
Musik von Georges Bizet


In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h(eine Pause)

Premiere am 16. November 2014 im Theater an der Wien

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Theater an der Wien
(Homepage)

Der Mob sieht fern

Von Roberto Becker / Fotos: © Werner Kmetitsch/PhotoWerk

Die Perlenfischer sind das Frühwerk eines gerade mal Fünfundzwanzigjährigen. Nicht jeder war da wie Mozart schon als Genie geoutet. Es ist überbordend in der Musik, schräg in der Dramaturgie. Das 1863 in Paris ohne großen Erfolg uraufgeführte, mit den exotischen Moden der Zeit spielende Werk kam erst im Windschatten der ebenfalls erst posthum richtig erfolgreichen Carmen zu einigen Aufführungsehren. Die Nachwelt hat außerdem das Problem, dass es bislang nur einen überlieferten Klavierauszug gibt - die Instrumentierung ist heutzutage eine Herausforderung für jede Neuproduktion. Aber so farbig und überbordend, so melodisch fließend und emotional aufrauschend, wie es jetzt im Theater an der Wien bei dem von Jean-Christophe Spinosi geschmeidig und mit Verve geleiteten ORF Radio Symphonieorchester die Protagonisten auf der Bühne ebenso mitriss wie die Zuschauer, könnte das schon geklungen haben. Irgendwie flackert da noch die Ära der Grand Opera am Horizont. Ganz so gigantomanisch aufgedonnert geht es freilich bei den Perlenfischern nicht mehr zu.

Vergrößerung Alles ist eine Liveshow: Vorne die Macher, hinten die Zuschauer

Die Geschichte dieser Grand Opera für die Westentasche spielt weit weg in Ceylon. Der Koloratursopran namens Leila ist eine Tempelpriesterin mit Verhüllungs- und Keuschheitsgebot, aber auch mit einer Vergangenheit. In der hat sie als Kind dem Bariton Zurga das Leben gerettet und dafür eine Halskette mit Stein von ihm geschenkt bekommen. Und sie hat sich als junges Mädchen in den lyrischen Tenor Nadir verliebt. Neben dieser klassischen Dreieckskonstellation steht noch ein Bass. Dieser Nourabad ist als Gemeindeältester so etwas wie ein Spielführer. Die Handlung setzt ein, als Zurga gerade als Anführer der Perlenfischer und Leila als Priesterin in ihre Ämter kommen. Sie nimmt Fahrt auf, wenn Nadir dazukommt, die alte Leidenschaft wieder aufflammt und die Sache auffliegt. Sie spitzt sich dramatisch zu, als die beiden Liebenden zum Tode verurteilt werden. Und sie löst sich nach dem Motto "gerade noch mal gut gegangen" am Ende auf, als Zurga seine Lebensretterin von einst an der Kette erkennt und die beiden entkommen lässt.

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Spielen wie mal die Priesterin: Leila zwischen dem Chef der Perlenfischer und dem Moderator der Show

Weil das ganze eh schon nach TV-Show-Willkür klingt und als eins-zu-eins-Drama auf der Bühne kaum auszuhalten wäre, hat die Regisseurin Lotte de Beer gleich eine TV-Show im Stile von Big Brother oder Dschungelcamp daraus gemacht. Noch bevor es losgeht, sucht sich ein mit Liebe zum affektierten Detail hinzugefügtes Film-Team, dessen Arbeit vom Spielleiter live moderiert wird, einen passenden Strand. Reißt die Hütten der Einheimische einfach weg, lässt ein paar als Statisten mitspielen und fängt mit der Show "Die Perlenfischer The Challenge" an. Live und in Farbe. Interaktiv mit Publikumsvotum per Telefon. Dass Zurga so nach einem kurzen knackigen Wahlkampf der Schlagworte zum Anführer gewählt wird, hat ja noch einen eher leichtfüßigen Witz. Richtig unter die Haut geht aber eine zweite Abstimmung, zu der auch noch eine Publikumsumfrage auf dem Naschmarkt gleich vor der Tür des Theaters an der Wien eingespielt wird. Und da lautet die Frage, sollen die beiden sterben oder sollen sie begnadigt werden. Der Ton der Antworten ist so, als würde man harmlosen Quatsch wie "Bauer sucht Frau" zur Abstimmung stellen. Ihr Inhalt aber gehört zu einer Sendereihe, sagen wir mal aus dem Jahre 2018 mit dem Titel "Mob sucht Opfer", Tenor: wer A sagt (sprich einen solchen Vertrag unterschreibt) muss auch B sagen (sprich sich abfackeln lassen, wenn es schief geht).

Vergrößerung Interaktiv - oder wer A sagt muss auch B sagen: Nur 9% der Zuschauer votieren für "Gnade"

Der eigentliche geniale Einfall von Lotte de Beer ist nämlich die Dauerpräsenz der TV- Konsumenten. Im Hintergrund hinter einer kreisrunden Projektionsleinwand sehen wir nämlich in ein Dutzend Wohnzimmer - quer durch die Bevölkerung, von der gutbürgerlichen Bibliothek und dem Spießer-Wohnzimmer in verschiedenen Varianten, über die WG bis zum Migrantenbleibe. Das ordnet nicht nur dem Chor eine tragende Funktion zu, sondern erlaubt am Ende eine Fallhöhe, die dann doch ein Ausrufezeichen des Erschreckens hinter die an sich krude Story setzt.

Als Zurga durch ein Ablenkungs-Brandstiftung in der Nähe des Sets die Flucht der beiden Todeskandidaten ermöglicht, kommen die Normalbürger persönlich zum Drehort und binden ihn am Pfahl des mittelalterlichen Scheiterhaufens fest, schütten das Benzin übers Holz und entzünden ihre Feuerzeuge. Wer A sagt (und das Blödelfernsehn dauerkomsumiert, bei dem auch Tote versprochen sind) will eben auch B sehen! Lichtjahre sind wir davon in unserer Medikratur jedenfalls nicht entfernt. Lotte de Beer hat damit - nicht zum ersten Mal - bewiesen, dass man auch aus noch so abwegigem Opernlatein, packendes, auf die Gegenwart zielendes Musiktheater machen kann!

Vokal ist das natürlich der Abend der Diana Damrau. Mit gespieltem Übereifer bei der Sache, liefert sie freigiebig ihre betörenden Koloraturen und fasziniert ebenso mit ihrer reifer werdende Mittellage als Leila. Dmitry Korchak hat für seinen Nadir schmetternde Höhe, wenngleich man sich da mitunter etwas mehr Geschmeidigkeit gewünscht hätte. Nathan Gunn ist ein verlässlicher Durga und Nicolas Testé spielerisch und stimmlich eine Idealbesetzung für den immer finsterer werdenden Nourabad.


FAZIT

Das Theater an der Wien hat mit dieser Premiere erneut gepunktet. Und zwar musikalisch und inszenatorisch. Was sich von der Chowantschina- Premiere, einen Tag vorher, an der Staatsoper nicht sagen lässt. Die fiel beim Publikum und der Kritik durch.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jean-Christophe Spinosi

Inszenierung
Lotte de Beer

Bühne
Maruscha Levy

Kostüme
Jorine van Beck

Licht
Alex Brok

Video
Finn Ross

Chor
Erwin Ortner

Dramaturgie
Peter te Nuyl


Arnold Schoenberg Chor

ORF Radio-Symphonieorchester Wien


Solisten

Leila
Diana Damrau,

Nadir
Dmitry Korchak

Zurga
Nathan Gunn

Nourabad
Nicolas Testé


Weitere Informationen

Theater an der Wien
(Homepage)





Da capo al Fine

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