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Alessandro nell'Indie
(Alexander in Indien)

Dramma per musica in drei Akten
Text nach Pietro Metastasio, nach der Fassung München 1755, Edition: Reinhard Wiesend
Musik von Baldassare Galuppi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Mainfranken Theaters Würzburg am 20. Juni 2015
im Rahmen des Mozartfestes 2015

 



Mainfranken Theater Würzburg
(Homepage)

Barock-Ausgrabung im modernen Gewand

Von Thomas Molke / Fotos von Falk von Traubenberg

Baldassare Galuppi gehört neben Johann Adolf Hasse zu den im 18. Jahrhundert am meisten gespielten Barockkomponisten. So wurde er beispielsweise auch 1741 nach London berufen, um der Opera seria neue Impulse zu geben, nachdem Georg Friedrich Händel mit seinen Opern das dortige Publikum nicht mehr begeistern konnte und sich dem englischsprachigen Oratorium zugewandt hatte. Heute ist Galuppi nur noch sehr wenigen bekannt, und meistens wird sein Name auch eher mit der Opera buffa in Verbindung gebracht, die sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts allmählich in Italien etablierte. Gemeinsam mit dem Textdichter Carlo Goldoni schuf Galuppi auf diesem Gebiet zahlreiche Werke, die maßgeblich die Entwicklung der komischen Oper beeinflussten. Im Bereich der Opera seria basierten seine Vertonungen größtenteils auf Texten von Pietro Metastasio, dessen 27 Libretti für über 800 Opern verwendet worden sein sollen. Im Rahmen des alljährlichen Mozartfestes hat das Mainfranken Theater Würzburg mit Alessandro nell'Indie nun ein Werk ausgegraben, das seit über 250 Jahren nicht mehr auf der Bühne zu erleben war. Auch Georg Friedrich Händel hat sich mit dieser Geschichte beschäftigt, doch nicht etwa in seiner gleichnamigen Oper Alessandro, sondern in Poro, Re dell'Indie.

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Alessandro (Joshua Whitener) verhandelt mit der indischen Königin Cleofide (Silke Evers).

Die Geschichte baut um den historisch belegten Indienfeldzug Alexanders des Großen (Alessandro) mit dem Sieg über den indischen König Poros (Poro) am Fluss Hydaspes 326 v. Chr. rein fiktive Ereignisse voller Intrigen und Verwicklungen ein. Alessandro und Poro lieben beide Cleofide, die Königin eines weiteren Teils von Indien, der von Alessandro noch nicht erobert worden ist. Während diese in ihren Verhandlungen mit dem Makedonen-König relativ erfolgreich ist, muss sie ihrem Geliebten Poro stets ihre Treue beweisen. Dieser hat wiederum mit seinem General Gandarte die Rollen getauscht, um als indischer Krieger weiterhin Rache an Alessando nehmen zu können. Poros Schwester Erissena fühlt sich zu Alessandro hingezogen, was weder Gandarte noch Alessandros Vertrautem Timagene gefällt, da beide in die indische Prinzessin verliebt sind. Timagenes Zuneigung geht sogar so weit, dass er seinen König an die Inder verraten will. Ein Attentat auf Alessandro schlägt fehl. Cleofide soll dafür verantwortlich gemacht werden. Nach zahlreichen weiteren Verwicklungen wird Timagene als Drahtzieher enttarnt. Doch Alessandro lässt Milde walten, verzeiht seinem General und stimmt einer Hochzeit zwischen Poro und Cleofide zu.

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Kann Alessandro (Joshua Whitener, vorne) seinem Freund Timagene (Maximiliane Schweda, hinten) vertrauen?

Für die Aufführung im Mainfranken Theater hat der Musikwissenschaftler und Galuppi-Experte Prof. Dr. Reinhard Wiesend aus der in der Bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrten Abschrift für die Aufführung in München 1755 einen Notentext erstellt, der eine Nettospielzeit von fünf Stunden gehabt hätte, so dass Kürzungen und Striche unausweichlich waren. Wieso François De Carpentries allerdings an den Anfang seiner Inszenierung ein fiktives Gespräch zwischen Alexander und seinem Vater Philipp von Makedonien in griechischer Sprache aus Lukians Totengesprächen über Lautsprecher einspielt, in dem Alexander nach seinem Tod in der Unterwelt auf seinen Vater trifft, der ihm Vorhaltungen macht, sich zu Lebzeiten als Sohn des Gottes Ammon ausgegeben zu haben, erschließt sich nicht. Zum einen ist es anstrengend, dem Gespräch mit den teils zu schnell wechselnden Übertiteln zu folgen. Zum anderen wird nicht klar, welche Bedeutung dieser Szene für die nachfolgende Geschichte zukommen soll. Dient es als Rechtfertigung, die Handlung in die heutige Zeit zu verlegen und mit jeglicher Glorifizierung des antiken Alexanders oder der barocken Opulenz zu brechen? Schließlich ist der Ort der Handlung, der sich im Grenzgebiet zwischen Afghanistan, Pakistan und Indien befindet, auch in der heutigen Zeit noch ein Krisengebiet, das Carpentries im Gespräch über die Inszenierung als "Friedhof der Zivilisation" bezeichnet. Folglich wird auch in den Kostümen von Karine Van Hercke auf historische Anspielungen verzichtet. Lediglich Cleofides Kleider strahlen eine gewisse Exotik aus, die allerdings auch einem Bollywood-Film entstammen könnte. Die übrigen Figuren sind optisch absolut modern gezeichnet.

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Alessandro (Joshua Whitener, hinten) beobachtet Cleofide (Silke Evers) und Poro (Denis Lakey, vorne).

Alessandro passt in seinem weißen Anzug eigentlich nicht in dieses Kriegsgebiet, soll aber wohl deutlich machen, dass die Entscheidungen nicht durch kämpferische Auseinandersetzungen vor Ort gefällt, sondern von den Machthabern aus der Ferne getroffen werden. Wahrscheinlich hat er auch deshalb häufig das Mobiltelefon am Ohr, verhandelt - auf Englisch? - und stört mit diesen Gesprächen ein wenig den musikalischen Genuss. Ebenso unnötig sind die eingespielten Kriegsgeräusche zum Beginn der Ouvertüre und nach der Pause. Unklar bleibt auch, was Carpentries uns mit dem doppelten Ende sagen will. Natürlich ist es unrealistisch, dass Alessandro am Schluss der Oper Milde walten lässt. Wenn Cleofide also am Ende in dem Glauben, dass ihr Geliebter Poro tot sei, als Selbstmordattentäterin mit Sprengstoff beladen alles in die Luft fliegen lässt, anstatt Alessandro zu heiraten, macht diese Lesart durchaus Sinn. Den Vorhang nach dieser Szene aber zunächst fallen zu lassen und dann nach einem kurzen Moment das lieto fine zu spielen, wirkt völlig unmotiviert. Da hat man schon wesentlich stimmigere Varianten gesehen, mit einem unrealistischen Ende zu brechen. Absolut überflüssig ist dann auch die letzte Aktualisierung des Abends, wenn Alessandro bei seinem Abgang mit dem Handy am Ohr Frau Merkel verkündet, dass Griechenland aus der Eurozone aussteigen werde.

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Glückliches Ende: von links: Erissena (Sonja Koppelhuber), Gandarte (Anja Gutgesell), Alessandro (Joshua Whitener), Poro (Denis Lakey) und Cleofide (Silke Evers)

Sieht man von diesen Regiemätzchen einmal ab, hat der Abend vor allem musikalisch einiges zu bieten. Das Philharmonische Orchester Würzburg macht unter der Leitung von Enrico Calesso mehr als deutlich, dass Galuppis Musik mit Händel oder Vivaldi durchaus mithalten kann. Mit hervorragender Präzision arbeitet Calesso mit dem Orchester den Zauber des barocken Klangs sorgfältig heraus. Auch das Ensemble begeistert auf ganzer Linie. Joshua Whitener glänzt als Alessandro optisch und stimmlich mit strahlendem Tenor, der sich auch in den Höhen eine gewisse Leichtigkeit bewahrt. Ob man nun auf Alessandros vermeintliche Homosexualität anspielen muss und Whitener sich mit seinem Vertrauten Timagene im Zelt vergnügen muss, was durch ein Schattenspiel angedeutet wird, ist sicherlich diskutabel. Die Unmutsbekundungen eines einzelnen Zuschauers zu dieser Szene wirken allerdings dann doch übertrieben. Für die Partie des Poro ist der Countertenor Denis Lakey verpflichtet worden, der dem indischen König trotz der hohen Töne einen sehr virilen Klang verleiht. Während Lakey in der Mittellage ein warmes Timbre verströmen lässt, klingt seine Stimme allerdings in den Höhen bisweilen etwas schrill. Silke Evers stattet die Cleofide mit leuchtendem Sopran aus und beweist in den schnellen Läufen enorme Beweglichkeit. Sonja Koppelhuber verfügt als Poros Schwester Erissena über einen warmen Mezzo und begeistert ebenfalls mit flexiblen Koloraturen. Anja Gutgesell und Maximiliane Schweda überzeugen als Gandarte und Timagene mit sauberen Höhen und kräftiger Mittellage. Trotz ihrer hohen Stimmen werden sie darstellerisch den Hosenrollen absolut gerecht. So gibt es am Ende lang anhaltenden und begeisterten Applaus für die Solisten und für das Orchester. Beim Regie-Team ist der Zuspruch etwas zurückhaltender. Für Unmutsbekundungen am Ende der Vorstellung reicht es allerdings nicht.

FAZIT

Musikalisch sollte sich der Barockfan diese Ausgrabung in Würzburg nicht entgehen lassen. Nach drei weiteren Aufführungen in dieser Spielzeit wird die Produktion auch in der folgenden Saison am 26. September 2015 wieder aufgenommen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Enrico Calesso

Inszenierung
François De Carpentries

Bühne und Kostüme
Karine Van Hercke

Licht
Thomas Ratzinger

Dramaturgie
Christoph Blitt

 

Komparserie des
Mainfranken Theaters Würzburg

Philharmonisches Orchester
Würzburg

 

Solisten

Alessandro
Joshua Whitener

Poro, König eines Teils von Indien
Denis Lakey

Cleofide, Königin des anderen Teils von Indien
Silke Evers

Erissena, Schwester Poros
Sonja Koppelhuber

Gandarte, General Poros
Anja Gutgesell

Timagene, Vertrauter Alessandros
Maximiliane Schweda

 


Weitere
Informationen

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Mainfranken Theater Würzburg
(Homepage)



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