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Barock-Ausgrabung im modernen Gewand
Von Thomas Molke /
Fotos von Falk von Traubenberg
Baldassare Galuppi gehört neben Johann Adolf Hasse zu den im 18. Jahrhundert am
meisten gespielten Barockkomponisten. So wurde er beispielsweise auch 1741 nach
London berufen, um der Opera seria neue Impulse zu geben, nachdem Georg
Friedrich Händel mit seinen Opern das dortige Publikum nicht mehr begeistern
konnte und sich dem englischsprachigen Oratorium zugewandt hatte. Heute ist
Galuppi nur noch sehr wenigen bekannt, und meistens wird sein Name auch eher mit
der Opera buffa in Verbindung gebracht, die sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts
allmählich in Italien etablierte. Gemeinsam mit dem Textdichter Carlo Goldoni
schuf Galuppi auf diesem Gebiet zahlreiche Werke, die maßgeblich die Entwicklung
der komischen Oper beeinflussten. Im Bereich der Opera seria basierten seine
Vertonungen größtenteils auf Texten von Pietro Metastasio, dessen 27 Libretti
für über 800 Opern verwendet worden sein sollen. Im Rahmen des alljährlichen
Mozartfestes hat das Mainfranken Theater Würzburg mit Alessandro
nell'Indie nun ein Werk ausgegraben, das seit über 250 Jahren nicht mehr auf
der Bühne zu erleben war. Auch Georg Friedrich Händel hat sich mit dieser
Geschichte beschäftigt, doch nicht etwa in seiner gleichnamigen Oper
Alessandro, sondern in Poro, Re dell'Indie.
Alessandro (Joshua Whitener) verhandelt mit der
indischen Königin Cleofide (Silke Evers).
Die Geschichte baut um den historisch belegten Indienfeldzug Alexanders des
Großen (Alessandro) mit dem Sieg über den indischen König Poros (Poro) am Fluss
Hydaspes 326 v. Chr. rein fiktive Ereignisse voller Intrigen und Verwicklungen
ein.
Alessandro und Poro lieben beide Cleofide, die Königin eines weiteren Teils von
Indien, der von Alessandro noch nicht erobert worden ist. Während diese in ihren
Verhandlungen mit dem Makedonen-König relativ erfolgreich ist, muss sie ihrem
Geliebten Poro stets ihre Treue beweisen. Dieser hat wiederum mit seinem General
Gandarte die Rollen getauscht, um als indischer Krieger weiterhin Rache an
Alessando nehmen zu können. Poros Schwester Erissena fühlt sich zu Alessandro
hingezogen, was weder Gandarte noch Alessandros Vertrautem Timagene gefällt, da
beide in die indische Prinzessin verliebt sind. Timagenes Zuneigung geht sogar
so weit, dass er seinen König an die Inder verraten will. Ein Attentat auf
Alessandro schlägt fehl. Cleofide soll dafür verantwortlich gemacht werden. Nach
zahlreichen weiteren Verwicklungen wird Timagene als Drahtzieher enttarnt. Doch
Alessandro lässt Milde walten, verzeiht seinem General und stimmt einer Hochzeit
zwischen Poro und Cleofide zu.
Kann Alessandro (Joshua Whitener, vorne) seinem
Freund Timagene (Maximiliane Schweda, hinten) vertrauen?
Für die Aufführung im Mainfranken Theater hat der Musikwissenschaftler und
Galuppi-Experte Prof. Dr. Reinhard Wiesend aus der in der Bayerischen
Staatsbibliothek aufbewahrten Abschrift für die Aufführung in München 1755 einen
Notentext erstellt, der eine Nettospielzeit von fünf Stunden gehabt hätte, so
dass Kürzungen und Striche unausweichlich waren. Wieso François De Carpentries
allerdings an den Anfang seiner Inszenierung ein fiktives Gespräch zwischen
Alexander und seinem Vater Philipp von Makedonien in griechischer Sprache aus
Lukians Totengesprächen über Lautsprecher einspielt, in dem Alexander nach seinem Tod in der
Unterwelt auf seinen Vater trifft, der ihm Vorhaltungen macht, sich zu Lebzeiten
als Sohn des Gottes Ammon ausgegeben zu haben, erschließt sich nicht. Zum einen
ist es anstrengend, dem Gespräch mit den teils zu schnell wechselnden Übertiteln
zu folgen. Zum anderen wird nicht klar, welche Bedeutung dieser Szene für die
nachfolgende Geschichte zukommen soll. Dient es als Rechtfertigung, die Handlung
in die heutige Zeit zu verlegen und mit jeglicher Glorifizierung des antiken
Alexanders oder der barocken Opulenz zu brechen? Schließlich ist der Ort der
Handlung, der sich im Grenzgebiet zwischen Afghanistan, Pakistan und Indien
befindet, auch in der heutigen Zeit noch ein Krisengebiet, das Carpentries im
Gespräch über die Inszenierung als "Friedhof der Zivilisation" bezeichnet.
Folglich wird auch in den Kostümen von Karine Van Hercke auf historische
Anspielungen verzichtet. Lediglich Cleofides Kleider strahlen eine gewisse
Exotik aus, die allerdings auch einem Bollywood-Film entstammen könnte. Die
übrigen Figuren sind optisch absolut modern gezeichnet.
Alessandro (Joshua Whitener, hinten) beobachtet
Cleofide (Silke Evers) und Poro (Denis Lakey, vorne).
Alessandro passt in seinem weißen Anzug eigentlich nicht in dieses Kriegsgebiet,
soll aber wohl deutlich machen, dass die Entscheidungen nicht durch kämpferische
Auseinandersetzungen vor Ort gefällt, sondern von den Machthabern aus der Ferne
getroffen werden. Wahrscheinlich hat er auch deshalb häufig das Mobiltelefon am
Ohr, verhandelt - auf Englisch? - und stört mit diesen Gesprächen ein wenig den
musikalischen Genuss. Ebenso unnötig sind die eingespielten Kriegsgeräusche zum
Beginn der Ouvertüre und nach der Pause. Unklar bleibt auch, was Carpentries uns
mit dem doppelten Ende sagen will. Natürlich ist es unrealistisch, dass
Alessandro am Schluss der Oper Milde walten lässt. Wenn Cleofide also am Ende
in dem Glauben, dass ihr Geliebter Poro tot sei, als Selbstmordattentäterin mit
Sprengstoff beladen alles in die Luft fliegen lässt, anstatt Alessandro zu
heiraten, macht diese Lesart durchaus Sinn. Den Vorhang nach dieser Szene aber
zunächst fallen zu lassen und dann nach einem kurzen Moment das lieto fine zu
spielen, wirkt völlig unmotiviert. Da hat man schon wesentlich stimmigere
Varianten gesehen, mit einem unrealistischen Ende zu brechen. Absolut
überflüssig ist dann auch die letzte Aktualisierung des Abends, wenn Alessandro
bei seinem Abgang mit dem Handy am Ohr Frau Merkel verkündet, dass Griechenland
aus der Eurozone aussteigen werde.
Glückliches Ende: von links: Erissena (Sonja
Koppelhuber), Gandarte (Anja Gutgesell), Alessandro (Joshua Whitener), Poro
(Denis Lakey) und Cleofide (Silke Evers)
Sieht man von diesen Regiemätzchen einmal ab, hat der Abend vor allem musikalisch einiges
zu bieten. Das Philharmonische Orchester Würzburg macht unter der Leitung von
Enrico Calesso mehr als deutlich, dass Galuppis Musik mit Händel oder Vivaldi
durchaus mithalten kann. Mit hervorragender Präzision arbeitet Calesso mit dem
Orchester den Zauber des barocken Klangs sorgfältig heraus. Auch das Ensemble
begeistert auf ganzer Linie. Joshua Whitener glänzt als Alessandro optisch und
stimmlich mit strahlendem Tenor, der sich auch in den Höhen eine gewisse
Leichtigkeit bewahrt. Ob man nun auf Alessandros vermeintliche Homosexualität
anspielen muss und Whitener sich mit seinem Vertrauten Timagene im Zelt
vergnügen muss, was durch ein Schattenspiel angedeutet wird, ist sicherlich
diskutabel. Die Unmutsbekundungen eines einzelnen Zuschauers zu dieser Szene
wirken allerdings dann doch übertrieben. Für die Partie des Poro ist der
Countertenor Denis Lakey verpflichtet worden, der dem indischen König trotz der
hohen Töne einen sehr virilen Klang verleiht. Während Lakey in der Mittellage
ein warmes Timbre verströmen lässt, klingt seine Stimme allerdings in den Höhen
bisweilen etwas schrill. Silke Evers stattet die Cleofide mit leuchtendem Sopran
aus und beweist in den schnellen Läufen enorme Beweglichkeit. Sonja Koppelhuber
verfügt als Poros Schwester Erissena über einen warmen Mezzo und begeistert
ebenfalls mit flexiblen Koloraturen. Anja Gutgesell und Maximiliane Schweda
überzeugen als Gandarte und Timagene mit sauberen Höhen und kräftiger
Mittellage. Trotz ihrer hohen Stimmen werden sie darstellerisch den Hosenrollen
absolut gerecht. So gibt es am Ende lang anhaltenden und begeisterten Applaus
für die Solisten und für das Orchester. Beim Regie-Team ist der Zuspruch etwas
zurückhaltender. Für Unmutsbekundungen am Ende der Vorstellung reicht es
allerdings nicht. Musikalisch sollte sich der Barockfan diese Ausgrabung in Würzburg nicht entgehen lassen. Nach drei weiteren Aufführungen in dieser Spielzeit wird die Produktion auch in der folgenden Saison am 26. September 2015 wieder aufgenommen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühne und Kostüme Licht
Dramaturgie
Komparserie des Philharmonisches Orchester
SolistenAlessandro
Poro, König eines Teils von Indien
Cleofide, Königin des anderen Teils von Indien
Erissena, Schwester Poros Gandarte,
General Poros Timagene, Vertrauter Alessandros
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