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Musiktheater
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Orlando

Oper in drei Akten
Libretto anonym, basierend auf dem Epos Orlando furioso von Ludovico Ariosto
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere im Theater Aachen am 8. November 2015

 

Logo: Theater Aachen

Theater Aachen
(Homepage)

Im Labyrinth der Psychotherapie

Von Thomas Molke / Fotos: Wil van Iersel

Anlässlich des Karlsjahres 2014 hatte das Theater Aachen eigentlich einen auf drei Jahre angelegten Zyklus mit den drei Opern Händels geplant, die auf Ariosts großem Ritterroman Orlando furioso basieren. Aus dispositionellen Gründen musste der Abschluss dieses Vorhabens allerdings auf die Spielzeit 2015/2016 verlegt werden, so dass nach Ariodante im Februar 2013 und Alcina im April 2014 die eigentliche Titelfigur des Epos mit einer Spielzeit Verspätung den Weg auf die Opernbühne gefunden hat. Warum Jarg Pataki, der als Regisseur für alle drei Produktionen verantwortlich zeichnet, sich bei den drei Opern für diese Reihenfolge entschieden hat, lässt sich nur mutmaßen. Während in Ariodante eine Nebenhandlung erzählt wird, die mit Karl dem Großen nicht viel zu tun hat, beschäftigen sich die beiden anderen Opern mit den beiden Paladinen Karls des Großen, Ruggiero (in Alcina) und Orlando. Was die zeitliche Abfolge der Uraufführungen der drei Opern betrifft, stand Orlando am Anfang dieses Zyklus, während Händel mit Alcina seinen letzten großen Opernerfolg in London verbuchen konnte. Was den Bekanntheitsgrad dieser drei Werke betrifft, lässt sich feststellen, dass Orlando äußerst selten auf der Bühne zu erleben ist, wohingegen Alcina und Ariodante mittlerweile beide den Weg ins Repertoire gefunden haben. Vivaldis Oper Orlando furioso, die ebenfalls auf Ariosts Epos basiert, hat sich auf den Spielplänen mittlerweile mehr durchsetzen können als Händels Fassung, wobei es inhaltlich zahlreiche Unterschiede gibt.

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Orlando (Antonio Giovannini, Mitte) im Labyrinth der Psycho-Therapie (links: David Joost, rechts: Stefan Gergs)

Während Vivaldi in seiner Oper das Personal aus Orlando und Alcina zusammenführt, bleibt Händel in seiner Fassung bei dem Paladin Orlando und seiner unerfüllten Liebe zu der chinesischen Königin Angelica, die ihn in den Wahnsinn treibt. Angelica hat sich nämlich in den maurischen Prinzen Medoro verliebt, der ihre Liebe erwidert. Allerdings stehen ihrer Liebe nicht nur Orlando sondern auch die Schäferin Dorinda im Weg, die Medoro ebenfalls liebt. Während sie Dorinda mit einem Schmuckstück abfinden können, wenden sie bei Orlando eine List an. Angelica gibt Orlando gegenüber vor, eifersüchtig auf eine Prinzessin zu sein, die dieser gerettet habe, und fordert neue Beweise seiner Liebe. Während Orlando nun voller Tatendrang loszieht, planen Angelica und Medoro die gemeinsame Flucht. Doch sie werden von Orlando entdeckt, und Orlando verfällt dem Wahnsinn. Zunächst lässt er über dem Nebenbuhler ein Haus zusammenzubrechen und will die untreue Geliebte in einen Abgrund stoßen. Der Zauberer Zoroastro verhindert die Katastrophe. Vom Himmel erbittet er einen Trank, mit dem er den rasenden Orlando von seiner Eifersucht befreien will. Gleichzeitig rettet er Angelica und Medoro. Orlando erkennt seinen Wahn und bittet Angelica und Medoro um Vergebung. Es kommt zur Versöhnung, und Orlando ist stolz darauf, über sich selbst und seine wahnsinnige Liebe gesiegt zu haben.

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Angelica (Netta Or, vorne Mitte) liebt Medoro (Jud Perry, vorne Mitte) (Statisten von links nach rechts: Christine Hayashi, Bettina Disselhoff, Simone Schmadalla und Irina Orawiec).

Dieser Handlung folgt Pataki nur rudimentär. So verlegt er die Geschichte in ein von Zoroastro geleitetes Therapiezentrum, in das sich während der Ouvertüre die übrigen Protagonisten begeben, um ihre psychischen Störungen lindern oder beheben zu lassen. Im Programmheft baut Pataki dazu eine Ausgangssituation auf, die im weiteren Verlauf des Stückes allerdings nicht wieder aufgegriffen wird. So lassen sich weder die angeblichen Depressionen der "Hausfrau" Angelica, noch das Burnout-Syndrom des "Managers" Medoro oder die narzisstische Persönlichkeitsstörung der reichen Hotelerbin Dorinda im weiteren Verlauf des Stückes erkennen. Statt dessen injiziert Zoroastro zur Ouvertüre den einzelnen Figuren eine obskure Droge, durch die, so Pataki, "ihre normalen Kontroll- und Denkmuster ausgeschaltet werden". In wiefern der Aufenthalt in dieser Klinik die Figuren allerdings heilen soll, erschließt sich nicht im geringsten. Stattdessen bewegen sich die Protagonisten durch zahlreiche Räume, in denen von den Statisten bedrückend dargestellte Patienten mit echten psychischen Störungen gepflegt - oder sollte man besser sagen "gehalten"? - werden. Steffi Wurster hat hierfür ein eindrucksvolles Bühnenbild entworfen, das durch Einsatz der Drehbühne von einem deprimierenden Raum schnell in den nächsten führt. Hier findet man ein großes graues Zimmer, in dem eine Statistin (Christine Hayashi) akribisch zahlreiche Puppen zerlegt, neben dem fast schon heimelig anmutenden Wohnzimmer, in dem eine alte Frau (Irina Orawiec) einen Schal für ein ausgestopftes Reh strickt. Auch eine unter der Treppe angelegte kleine Abstellkammer, die als Schlafecke dient, darf nicht fehlen. Harry Potter lässt grüßen.

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Orlando (Antonio Giovannini, vorne mit David Joost) verfällt dem Wahnsinn.

So verirrt man sich in einem Labyrinth der psychischen Störungen und verliert die eigentliche Geschichte schnell aus den Augen. Erst wenn Orlando kurz vor der Pause in seiner großen Wahnsinns-Szene am Ende des zweiten Aktes mit unbeherrschter Aggression eine Gipsbüste zertrümmert, hält man im Publikum erschrocken den Atem an. Nach der Pause ist nur ein kleiner verschlossener Raum dieses Labyrinthes auf der Bühne zurückgeblieben. Angelica, Medoro und Dorinda tragen nun wieder ihre Alltagskleidung und wirken relativ normal. Scheinbar hat ihnen der Aufenthalt im Therapiezentrum doch etwas gebracht. Nur Orlando irrt mit zuckenden Bewegungen wie ein Patient aus der Klinik über die Bühne. Zoroastro erweckt mit einer Medizin den scheinbar toten Medoro wieder zum Leben. Doch für Orlando kommt jede Hilfe zu spät. Er begibt sich zu den anderen psychisch Kranken in den abgeschlossenen Raum zurück, während die übrigen relativ teilnahmslos im Schlusschor das vermeintliche lieto fine besingen, eine Deutung, die wesentlich schlüssiger ist als der Teil vor der Pause, auch wenn sie das Libretto gegen den Strich bürstet.

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Geheilt entlassen: Angelica (Netta Or, vorne links), Medoro (Jud Perry) und Dorinda (Soetkin Elbers, rechts)?

Während die Publikumsreaktionen auf die Inszenierung gespalten sind, ist man sich über die musikalische Leistung mehr als einig. Das Sinfonieorchester Aachen spielt auf Originalinstrumenten des 18. Jahrhunderts und Kopien von Instrumenten dieser Zeit, um einen Klang zu erreichen, der dem zu Händels Zeit so nahe wie möglich kommt. Justus Thorau arbeitet am Pult des Sinfonieorchesters die Feinheiten der Tonsprache differenziert heraus. Die Partie der Angelica ist mit Netta Or, die in dieser Produktion für das Ensemble-Mitglied Katharina Hagopian aufgrund einer Baby-Pause eingesprungen ist, hochkarätig besetzt. Or begeistert mit strahlenden Höhen und einer betörenden Stimmfärbung, so dass das Publikum nach ihren Arien frenetischen Zwischenapplaus spendet. Gleiches gilt für Antonio Giovannini in der Titelpartie. In der Arie "Cielo! Se tu il consenti" im zweiten Akt, in der er Medoro als seinen Rivalen erkennt und beschließt, Angelica bis in die Unterwelt zu folgen, setzt er mit seinem Countertenor die Koloraturen so messerscharf und sauber an, dass das Publikum mit seinem Jubel gar nicht mehr abwarten kann, bis das Orchester den Instrumentalteil dieser Arie beendet. Ebenso beeindruckend gelingt ihm die große Wahnsinns-Szene am Ende des zweiten Aktes. Dabei überzeugt Giovannini nicht nur durch seine Stimmführung sondern auch durch intensives Spiel. In diesem Moment nimmt man ihm den Wahnsinn darstellerisch wirklich ab. Glaubhaft macht er auch, dass Orlando nach dieser Szene den Weg zurück in die Normalität nicht mehr findet.

Jud Perry, der erst vor einigen Jahren den Wechsel vom Tenor ins Countertenor-Fach vollzogen hat, punktet als Medoro mit sauberen Höhen und kräftigem Volumen. Mit Or findet er in seinem großen Duett zu einer bewegenden Innigkeit. Soetkin Elbers stattet die Dorinda mit weichem Sopran aus und macht darstellerisch deutlich, dass sie keine Chance in der Gunst um Medoro hat. Hrólfur Saemundsson überzeugt als Zoroastro mit solidem Bass. Auch die Statisterie wird für ihr eindringliches Spiel im Therapiezentrum mit großem Applaus bedacht.

FAZIT

Musikalisch ist der Abend ein Genuss. Für die Regie hätte man sich einen anderen Ansatz gewünscht, der dem Libretto der relativ unbekannten Oper mehr verpflichtet wäre.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Justus Thorau

Inszenierung
Jarg Pataki

Bühne
Steffi Wurster

Kostüme
Sandra Münchow

Licht
Dirk Sarach-Craig



Sinfonieorchester Aachen

Statisterie Theater Aachen


Solisten

Orlando
Antonio Giovannini

Angelica
Netta Or

Medoro
Jud Perry

Dorinda
Soetkin Elbers

Zoroastro
Hrólfur Saemundsson


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Aachen
(Homepage)





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