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Vasco da Gama
(L'Africaine - Die Afrikanerin)


Grand Opéra in fünf Akten
Libretto von Eugène Scribe
Musik von Giacomo Meyerbeer

in französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 40' (zwei Pausen)

Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 04. Oktober 2015
(rezensierte Aufführung: 07.10.2015)


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Deutsche Oper Berlin
(Homepage)
Kampf zwischen den Religionen

Von Thomas Molke / Fotos: Bettina Stöß

Obwohl Giacomo Meyerbeer bereits 1851 die Handlung seiner 1837 begonnenen Oper L'Africaine dahingehend abänderte, dass mit dem portugiesischen Seefahrer Vasco da Gama nun eine historisch belegte Figur im Mittelpunkt der Handlung um die "afrikanische" Prinzessin Selica stand, und er auch zu diesem Zeitpunkt bereits den neuen Titel des Werkes festlegte, sollte es noch bis 2013 dauern, bis das Werk auch erstmalig unter diesem Titel auf einer Opernbühne zu erleben war. Der belgische Musikwissenschaftler François-Joseph Fétis, der das Werk auf Betreiben von Meyerbeers Witwe 1865, ein Jahr nach Meyerbeers Tod, an der Pariser Oper zur Uraufführung brachte, wählte nämlich wieder den ursprünglichen Titel, der nicht zuletzt durch die berühmte Tenor-Arie "O paradis" im Gedächtnis bleiben sollte. Erst die neuere Auseinandersetzung mit dem wohl größten Komponisten der französischen Grand Opéra führte dazu, dass die Oper Chemnitz vor zwei Jahren eine revidierte Fassung unter dem korrekteren Titel Vasco da Gama vorstellte, die nun auch als Vorlage für die Produktion an der Deutschen Oper Berlin dient und eine Meyerbeer-Renaissance einleiten soll, um das "Berliner Kind" zumindest in seiner Heimatstadt wieder mehr im Repertoire zu etablieren.

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Vasco da Gama (Roberto Alagna, Mitte) im Streit mit dem portugiesischen Kronrat (Herrenchor) und der katholischen Kirche

Mit Ausnahme der oben erwähnten Tenor-Arie ist die Oper um den berühmten Entdecker, der um 1500 für die Portugiesen Indien eroberte, eher unbekannt. Dabei stehen im Mittelpunkt der Oper aber auch nicht die Eroberungsfeldzüge, sondern zwei Frauen, die Vasco da Gama aus zahlreichen Gefahren retten. Da ist zunächst seine Jugendfreundin Ines, die zwei Jahre lang auf seine Rückkehr wartet und von ihrem Vater mit dem einflussreichen Don Pedro vermählt werden soll. Als Vasco da Gama von seiner Expedition schließlich zurückkehrt und ihm eine weitere Entdeckungsreise vom portugiesischen Kronrat auf Anraten des Klerus verweigert wird, wird da Gama so ausfallend, dass er als Ketzer hingerichtet werden soll. Ines kann eine Begnadigung erlangen, indem sie sich auf eine Heirat mit Don Pedro einlässt. Dieser will nun mit der Sklavin Selica und ihrem treuen Begleiter Nelusco selbst Afrika umschiffen, um Indien zu entdecken. Da Gama folgt ihm, und es kommt zu einer kämpferischen Auseinandersetzung zwischen den beiden. Als da Gama entwaffnet wird und hingerichtet werden soll, nimmt Selica, die ebenfalls in da Gama verliebt ist, Ines als Geisel und verhindert so die Hinrichtung. Als Don Pedro sie anschließend töten will, werden die Portugiesen von indischen Piraten überfallen, in deren Gebiet Nelusco die Schiffe gelenkt hat. Selica gibt sich als indische Prinzessin zu erkennen, und die Portugiesen werden hingerichtet. Erneut rettet Selica da Gama, indem sie ihn als ihren Gemahl ausgibt. Nach einer romantischen Liebesnacht taucht allerdings Ines auf, die der Hinrichtung entkommen ist, und weckt in da Gama alte Gefühle. Selica erkennt, dass da Gama Ines mehr liebt als sie, lässt die beiden ziehen und wählt den Freitod.

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Rivalen auf dem Weg nach Indien: Don Pedro (Seth Carico, rechts) und Vasco da Gama (Roberto Alagna, links)

Vera Nemirova wählt in ihrer Inszenierung einen relativ zeitlosen Ansatz und weckt dadurch unter anderem Assoziationen zur aktuellen Flüchtlingsproblematik, ohne dabei jedoch das Stück gegen den Strich zu bürsten. Wenn da Gama im ersten Akt die afrikanischen Sklaven dem Kronrat vorführt, um die Genehmigung für eine weitere Expedition zu erhalten, erinnern diese Sklaven in ihrer Kleidung eher an Flüchtlinge als an eine Beute, die man aus den erforschten Gebieten mitgebracht hat. Wenn Selica zur Hochzeit von Ines und Don Pedro im dritten Akt in ein Nonnenkostüm gezwängt wird und Nelusco bei seiner Ballade später eine Nonne vergewaltigt, zeigt das religiösen Fanatismus, wie er leider auch heutzutage wieder zu beobachten ist. Jens Kilian hat ein multifunktionales halbrundes Bühnenelement entworfen, das sich einerseits zu einer Landkarte auf einem Globus - oder sollte man besser sagen: Scheibe? - aufrichten lässt und andererseits auch als Verhandlungstisch im ersten Akt fungiert. Dahinter befinden sich sechs gewölbte Holzgestelle, die ebenfalls flexibel einsetzbar sind. Mal bilden sie im Halbrund eine Kuppel, dann fungieren sie als Segel eines Schiffes, wenn sich beispielsweise im dritten Akt die Portugiesen auf der Überfahrt nach Indien befinden. Dass die Piraten hier mit Maschinengewehren die Portugiesen angreifen, wird vom Publikum mit recht überzogenen Unmutsbekundungen bedacht. Wo hier der Stein des Anstoßes liegen soll, wird eigentlich nicht klar, da das Entern des Schiffes ebenso zeitlos dargestellt wird wie die beiden Portugal-Akte vorher, für die es zahlreiche Bravorufe aus dem Publikum gab.

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Vasco da Gama (Roberto Alagna) erliegt Selicas (Sophie Koch) Reizen.

Im vierten und fünften Akt findet Nemirova schon beinahe orientalisch anmutende Bilder. Auf dem halbrunden Bühnenelement befindet sich nun ein riesiges Bett, das mit roten Blütenblättern bedeckt ist. Wenn Selica am Ende unter den Manzanillobaum tritt, um durch die giftigen Dämpfe den Freitod zu suchen, regnen schwarzgraue Blätter aus dem Schnürboden auf das Blütenmeer herab und verbreiten einen Hauch des Todes. Großartig werden dann die Halluzinationen umgesetzt, die Selica kurz vor ihrem Tod unter dem Baum erlebt. Das halbrunde Bühnenelement wird wieder aufgerichtet, und das Bett wird mit seiner Blütendecke zu einer Projektionsfläche von beeindruckenden Bildern, die recht verschwommen ein Liebespaar beim Austausch von Zärtlichkeiten erkennen lassen. Wenn das Bühnenelement dann wieder gesenkt wird, tritt der Chor als Masse auf und bedeckt die ganze Bühne wie die Äste des Baumes. Selica verschwindet in dieser Masse. Ihr treuer Freund Nelusco überlegt, ob er gemeinsam mit Selica sterben soll, wobei Nemirova diese Entscheidung in ihrer Inszenierung offen lässt. Aus dem Chor tritt dann am Schluss Vasco da Gama heraus, der letztendlich als Sieger aus der Geschichte hervorgeht, weil Selica sich für ihn geopfert hat. Nach diesen Bildern zeigt sich das Publikum am Ende auch wieder versöhnt.

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Ines (Nino Machaidze) stürzt Vasco da Gama (Roberto Alagna) in einen Gewissenskonflikt.

Keine Wünsche lässt auch die musikalische Gestaltung des Abends offen. Roberto Alagna wird der Titelpartie in jeder Hinsicht gerecht. Ob man ihn als Che-Guevara-Verschnitt auftreten lassen muss, ist zwar sicherlich Geschmackssache. Sein Tenor lässt aber keine Wünsche offen. So überzeugt er mit leuchtenden Höhen und großer Strahlkraft in den mittleren Passagen. Nur bei der berühmten Arie "O paradis" hätte man sich noch ein bisschen mehr Glanz in den Höhen gewünscht. Szenisch wird diese Arie regelrecht beklemmend umgesetzt. Während Alagna in den höchsten Tönen von dem paradiesischen Land schwärmt, sieht man nämlich im Hintergrund bereits, wie die portugiesischen Frauen zur Hinrichtung unter den Manzanillobaum geführt werden. Zum weiteren Publikumsliebling des Abends avanciert Markus Brück als Nelusco. Mit kräftigem Bariton begeistert er als indischer Sklave, der einerseits fanatisch auf Rache an den Portugiesen sinnt, andererseits aber auch aus Liebe zu Selica Vasco da Gama rettet, indem er ihn als Selicas Gatten ausgibt. Ein musikalischer Höhepunkt dürfte seine große Ballade über Adamastor sein, der am Kap der Guten Hoffnung zahlreiche Schiffe zum Kentern gebracht hat. Auch Seth Carico und Clemens Bieber überzeugen stimmlich als Don Pedro und Don Alvar.

Die weiteren Stars des Abends sind Nino Machaidze als Ines und Sophie Koch als Selica. Direkt in ihrer Romanze zu Beginn der Oper beweist Machaidze, welch strahlenden Glanz ihr Sopran versprühen kann. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist das Duett der beiden Frauen im fünften Akt, wenn beide bereit sind, aus Liebe auf da Gama zu verzichten und Selica sich schließlich entschließt, die beiden ziehen zu lassen und selbst den Freitod zu wählen. Machaidze und Koch finden in diesem Duett zu einer Innigkeit, die unter die Haut geht. Koch begeistert anschließend in ihrer großen Szene im fünften Akt, wenn sie unter dem Baum den Freitod sucht, mit variabler Stimmführung und großer Dramatik. Die von William Spaulding homogen und klanggewaltig einstudierten Chöre und das unter Enrique Mazzola differenziert aufspielende Orchester der Deutschen Oper Berlin runden den Abend musikalisch auf hohem Niveau ab, so dass es für alle Beteiligten am Ende großen Applaus gibt.

FAZIT

Die Deutsche Oper leistet mit dieser Inszenierung einen wertvollen Beitrag, die Werke Meyerbeers wieder mehr im Repertoire zu etablieren.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Enrique Mazzola

Inszenierung
Vera Nemirova

Regie-Mitarbeit
Sonja Nemirova

Bühne
Jens Kilian

Kostüme
Marie-Thérèse Jossen

Video
Marcus Richardt

Licht
Ulrich Niepel

Chöre
William Spaulding

Dramaturgie
Jörg Königsdorf




Chor und Extrachor der
Deutschen Oper Berlin

Orchester der
Deutschen Oper Berlin

Statisterie der
Deutschen Oper Berlin


Solisten

*rezensierte Aufführung

Don Pedro, Rat des Königs von Portugal
Seth Carico

Don Diego, Admiral
Andrew Harris

Ines, dessen Tochter
Nino Machaidze

Vasco da Gama, Seeoffizier
Roberto Alagna

Don Alvar, Ratsherr
*Clemens Bieber /
Paul Kaufmann

Der Großinquisitor
Dong-Hwan Lee

Nelusco, Sklave
Markus Brück

Selica, Sklavin
Sophie Koch

Der Oberpriester der Bramahnen
Albert Pesendorfer /
*Alexei Botnarciuc

Anna
Irene Roberts

1. Matrose
Paul Kaufmann

2. Matrose / Priester des Brahma
Gideon Poppe

3. Matrose
Thomas Lehmann

4. Matrose / Gerichtsdiener
Michael Adams


Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Deutschen Oper Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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